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Romische Karwoche

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Wie im Vorjahre hatte der Staatskanzler Fürst Metternich 1831 den Grafen Prokesch-Osten — damals noch Ritter von Osten — mit einer militärisch-diplomatischen Mission in den Kirchenstaat nach Bologna und das Jahr darauf (1832) direkt nach Rom entsendet. Prokesch traf am 4. März in Rom ein, konnte also das Osterfest, das damals auf den 22. April fiel, und die Zeit des stärksten Zustromes von Gläubigen aus aller Welt dort persönlich erleben.

Von den Erlebnissen der Karwoche, wie von seinem römischen Aufenthalt überhaupt, berichtete Prokesch seiner Braut. Bei der Fülle seiner Erlebnisse wurden die Mitteilungen nach Wien geradezu zu Sammelbriefen, die von Tag zu Tag unter neuem Datum fortgesetzt wurden und als Ganzes abgingen.

Man versteht es, daß Prokesch Unter dem 25. April schrieb:

„Dein Vater beneidet mich um die Karwoche in Rom.“

Prokesch fühlte sich aber keineswegs beneidenswert, wie sein Tagesprogramm der Karwoche zeigt, denn der Brief setzt fort:

„An Musik ist eigentlich nur das Miserere zu hören, dies aber außerordentlich. Drei Tage nacheinander hörte ich es in der Sixtinischen Kapelle und außerdem einmal in der Peterskirche und einmal in S. Marcello. Eines war von Allegri. die übrigen von Baini, der, zu seiner großen Erschöpfung, überall den Vortrag leitete ... Ich war bis in die tiefste Seele erschüttert. Die Zeremonie am Ostersonntag hatte viel Rührendes. Wir wohnten derselben in vollem Staat bei. Der Papst kommunizierte öffentlich in der Peterskirchc und war dabei einer Ohnmacht nahe. Diesmal war der Platz gesteckt voll Menschen und Wagen. Ein mächtiger Anblick.“

lieber Baini findet sich noch vor den Oster tagen folgender Vermerk von Prokesch-Osten:

„Baiiii ist immer krank. Nur jetzt erhob er sich gewaltsam aus dem Schlafsessel, um die Musik während der Karwoche in der päpstlichen Kapelle zu leiten. Da sah ich ihn gestern zanken und grollen, den guten alten Mann, und Takt geben, als wenn er das sämtliche Exekutorium gleich nach beendeter Messe zum Galgen wollte abführen lassen.“

Baini war der Vorstand der päpstlichen Kapelle und der Biograph Palestrinas. An der Uebersetzung des Werkes war Hofrat Krane-witter beteiligt. Er hatte sich auch mit der Musik der Araber, mit Guido von Arezzo, mit der alten niederländischen Schule befaßt und eine Geschichte der europäischen, abendländischen Musik herausgehoben. Kiesewetter führte ein gastliches Haus und lud seine Gäste zu vielbesuchten Hauskonzerten ein. Dort war es auch, daß Graf Prokesch, von der Schönheit und dem Klavierspiel Irenens begeistert, um die Tochter des Hofrates warb und sie noch im Herbst 1 832 heimführte.

Der erste Osterfeiertag findet bei Prokesch eine besondere Würdigung. Er schreibt am 22. April 1832:

„Ich will den Ostersonntag damit beginnen, meine geliebte Irene, Dir den besten, den heitersten guten Morgen zu sagen! Beten sollte überall ein Hauptgeschäft sein, hier aber ist das Kirchenlaufen während der Karwoche das ausschließende, und wer irgendein dringendes Vorbringen bei den hiesigen Leuten hat, möchte in diesen Tagen dej T ..., Gott verzeih mir die Sünde, werden! — Am Gründonnerstag bin ich von morgens 9 bis halb 3 und nachmittag von 5 bis 9 Uhr in der Kirche gewesen; am Karfreitag fast ebensoviel und gestern den größten Teil des Vormittages. Heute stehen mir drei bis vier Stunden bevor.

Die Zeremonien der päpstlichen Kapelle haben alle viel Würdiges und Ergreifendes, aber der Geist der Andacht ist aus den heiligen Mauern gewichen; man geht dahin statt und wie ins Schauspiel. Alle Bänke sind voll Leute, denen der Papst und die katholische Religion ein Greuel sind, z. B. die Engländer; an ihre Herzen schlägt der mächtige Choralgesang nicht; ihren Augen sind die rührenden Symbole von Hingebung. Opfer und Erlösung ohne Bedeutung, eben weil sie von Händen gebracht sind, die sie verachten. Wie in der Oper nur gewissen Musikstücken Aufmerksamkeit geschenkt, sonst aber geschwätzt und allerlei Zerstreuung getrieben wird, so auch hier; kaum daß die ungeheuren, unmittelbar an das Leben der Seele greifenden Töne des Miserere Stille gebieten und das Auge zurück auf den Altar oder wenigstens in die Richtung der heiligen Handlung ziehen können. Der Verfall der Religion berührt mich demütig. Gestern fand ich in ein paar Hauptkirchen, S. Maria Maggiore und S. Pietro in vincolis, die Bischöfe und Priester in großer Funktion der Auferstehung, und nicht eine Seele außer ihnen in den weiten Hallen. Letzthin, da der Papst von der Tribüne der Peterskirche den Segen gab, ein Augenblick, der sonst Hunderttausende vereinigt haben mag, sah man auf dem weiten Platze kaum ein paar hundert Menschen aus dem Volke.

Ich — ich glaubte selbst nichts, aber ich fühle die Notwendigkeit und den Segen der Religion. Wenn ich die Geschichte aufschlage, so finde ich kein Volk anders als durch Glauben groß geworden.“

Für die Veröffentlichung hat Graf Prokesch-Osten diesem letzten Absatz des Briefes vom Ostersonntag eine andere Fassung gegeben. Sie steht in dem 5. Band (1844, Abt. I) der „Kleinen Schriften von Ritter Anton von Prokesch-Osten, gesammelt von einem Freunde“. Dort veröffentlichte Prokesch auch „Bruchstücke“ von Briefen aus Rom — geschrieben im Jahre 1832“ (sie erschienen in der „Wiener Zeitschrift“). Diese Bruchstücke aber sind ohne ein Tagesdatum und ohne den Adressaten zu nennen und ohne jede persönliche Schlußformel geschrieben. Im Vorstehenden habe ich diese Briefe an Irene Kiesewetter unmittelbar den Originalhand-gehriften, die mir zur Verfügung standen, geschöpft. Im folgenden zitiere ich den letzten Absatz des Originalbriefcs an Irene in der Fassung des Abdruckes in den „Kleinen Schriften“, 5. Band, 1844:

„Wie gedankenleer, wie abgestorben dem menschlichen Vereine muß nicht derjenige sein, der nicht die Notwendigkeit, nicht den Segen der Religion fühlt.“ (Vergleiche das Buch „Die Jugendzeit, des Grafen Prokesch von Osten“ von Prof. Friedrich Engel-Janosi, Innsbruck 1938.) Von einer wunderbaren Erhebung des Herzens und des Geistes, ja der Andacht und der Verzückung spricht der Abendbrief des Grafen an Irene vom 18. April:

„Ich bin froh, den Brief nicht geschlossen zu haben, so kann ich Dir das noch sagen, daß ich die herrlichste Kirchenmusik gehört habe, die man sich denken kann. Ich möchte sie die einzige nennen, so verschieden von den anderen, so ganz heilig ist sie, so über allem Ausdruck weich und erhaben.

Dichtgedrängt war die Kapelle. Ich hatte Mühe, bis zu den Bänken der Gesandtschaften zu kommen und hielt mich ruhig im Haufen. Da entdeckte mich der französische Botschafter und zog mich zu sich; so erhielt ich einen guten Platz, was zum Hören so notwendig wie zum Sehen ist. Der Fürst G. versicherte mir, ihn solle die Erwartung des Miserere nicht um das Mittagmahl zur gewohnten Stunde bringen und ging. Andere Russen und ein starkes halbes Dutzend Franzosen schwätzten mir die Ohren voll. So brachte ich die Stunde hin, bis nach Absingung der verschiedenen Psalmen die letzte Kerze erlosch, der Papst vor den Altar trat, alle Kardinäle sich erhoben und nur die wunderbare Melodie erklang, die ich im ersten Augenblick für einen Verein von Harmonikastimmen nahm, bis sich nach und nach die Töne bald einzeln, bald in Massen lösten und ihren unnachahmbaren Reihengang begannen. Mir kam es vor wie ein Gottesdienst aus urältester Zeit, wie Feier orpheischer, wie Musik der geheiligten Tänze der Sternenanbeter. So einfach und doch so zaubervoll verschlungen; dabei Stimmen, welche geradezu die lautgewordene Seele zu sein scheinen!

Da gleichzeitig der Tag abstirbt (es wird um Ave Maria gesungen), das Licht immer schwächer durch die Fenster tritt, die frommen Gestalten Peruginos und die riesigen Michelangelos auf den Wänden immer mehr erlöschen, dabei die Musik immer klagender, immer drängender wird, so ist es gerade, als wiche das Leben aus den Adern, als verblaßten die so glühend umarmten Hoffnungen, die so mächtig festgehaltenen Wünsche! ... als sähe das Auge mit immer steigender Kraft nur noch einen Punkt; der wird lichter und lichter und prunkt immer herrlicher in Gold und von oben daher tönen die Gesänge der Engel. Es ist die Loge, worin der Chor der Sänger steht, verborgen hinter mächtigen Choralbüchern; der entzückten Phantasie nicht unähnlich der Pforte des Himmels!

Lebe wohl, meine Seele! Komm, mein Frieden, und wohne in mir!

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