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Rückblick auf eine Kulturepoche

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RICHARD STRAUSS UND SEINE ZEITGENOSSEN. Von Walter Iktlll. Lanfen-Mfil-lrr-Verlag, München-Wien, 1964. Sun Selten. Freii .80 DM.

Ein sympathisches Richard-Strauss-Buch. Der Autor, Regisseur und Intendant, zählte zum Wiener Kreis um den Meister, ist ein Kenner der Geistes- und speziell der Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts, ein belesener und gebildeter Forscher und ein bestens informierter Historiker. Der Versuch, Richard Strauss mit seinen bedeutenden Zeitgenossen zu konfrontieren, wird dabei für beide Seiten aufschlußreich, so daß das umfangreiche Buch keineswegs nur für den Musiker von Interesse ist. Man erfährt sehr viel und sehr viel Wesentliches über Musiker, wie Brahms, Bülow, Reger, Wagner, Mahler und Clemens Krauss, aber auch über Dichter wie Hauptmann und Stefan Zweig, über Schriftsteller wie Romain Rolland und Bernhard Shaw, vieles, das durchaus geeignet ist, auch diese Persönlichkeiten in neuem und besserem Licht zu sehen.

Manches, was einmal ein „Fall“ war, wird hier aufgerollt, und zwar sine ira et studio. Der Autor läßt sich niemals hinreißen, die Streitfälle vergangener Zeit im selben Tonfall fortzuführen: er bringt die Dokumente bei, entzieht sich dann durchaus nicht dem Urteil, weiß es aber in einer Weise zu begründen, die den „Fall“ ein für allemal erledigt. So etwa die Kontroversen mit Pfitzner, das Verhältnis mit Thomas Mann. In dieser ruhigen, sachlichen Betrachtungsweise wird alles auf das richtige Maß gebracht: Bosheiten werden als solche erkannt, Verzerrungen beseitigt. Alma Mahler schrumpft auf das Format zusammen, das ihr von Rechts wegen zukommt, der „Pfitz-nerianer“ Walter Abendroth wird noch kleiner. Die Charakteristik der Librettisten stimmt ungefähr mit dem überein, was man bisher dem Briefwechsel entnommen hat, doch werden bemerkenswerte Züge hinzugefügt. Niemals hat man dabei den Eindruck, daß Tratsch die Grundlage der Betrachtungen ist. Thomas weiß enorm viel, und es will scheinen, daß er fast durchwegs glänzend informiert ist. Leider haben sich im Fachmusikalischen einige Fehler eingeschlichen, wenn er etwa Alban Berg als „Zwölftöner“ bezeichnet oder Mahlers „Lied von der Erde“ als dessen letzte vollendete Komposition.

Und wie geht Richard Strauss selbst aus diesem Anschauungsunterricht hervor? Ohne daß Thomas auf Beschönigung ausgeht, wird doch bei der Lektüre dieses Berichts die Gestalt des Großen von Garmisch-Partenkirchen noch größer. Gerade aus dem Verhältnis zum offiziellen Parteiprogramm und dessen Repräsentanten wird klar, wie hoch der Meister auch in der Zeit der Diktatur über der Sache stand und wie sehr er Distanz zu halten wußte. Man darf jetzt schon abschließend sagen, daß Strauß sich die Hände nicht schmutzig gemacht hat. Gerade dadurch, aber auch in vielen anderen Parallelen wird die Haltung des Strauss-Buches von Heinrich Kralik quasi dokumentarisch bestätigt.

So ist das Buch von Walter Tho-

mas wohl einer der interessantesten und fesselndsten Beiträge zum Verständnis der mit Straussens Tod erloschenen Kulturepoche geworden. Leider ist das Register nur auf Namen abgestellt, so daß man das Buch nur in dieser Dimension zum Nachschlagen benutzen kann, nicht aber auf Grund von Sachwörtern und vor allem nicht auf der Basis der Strauss-Kompositionen. Eine Zeittafel wäre vorteilhaft durch ein ausgiebigeres Register ersetzt worden. Trotzdem wird man alles finden, was den Meister und sein Werk begreifen und verstehen hilft.

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MUSIK, FORM UND DARSTELL UNO. Tob Erwin S tI n, R. Piper A Co. Verlar, Manchen. 00 Selten. Preis 18,50 DM.

Dieses Buch hat der 1958 in England verstorbene Wiener Musikschriftsteller, der bekanntlich zum Schönberg-Kreis und später zu den Freunden Benjamin Brittens zählte, fast vollendet hinterlassen. Es erschien unter dem Titel „Form and Performance“ 1962 bei Faber & Faber in London und liegt nun in deutscher Ubersetzung, die keineswegs „das Gepräge des Gesicherten, Offenbaren“ (dies nur eine Probe von hunderten) trägt. Aber selbst bei Nachsicht aller Taxen in dieser Be-

ziehung wird es nicht klar, wozu dieses Buch dienen soll, es sei denn als pietätvoller Nachruf auf den Dahingegangenen. Erwin Stein versucht, aus der Struktur der Musik Anweisungen auf die Interpretation zu geben. Mit Unterstützung zahlreicher Notenbeispiele gelingt ihm dies in vielen Details. Doch weiß jeder Interpret, aus wie vielen Details sich eine Interpretation zusammensetzt, wie die unzähligen Komponenten einander bedingen, aufheben oder kompensieren, wie relativ jede Wiedergabe ist, nicht nur abhängig von der Struktur der Musik, sondern von der Aktualität der Interpretation, vom Instrument, vom Publikum, von Zeit und Ort und hundert anderen Imponderabilien. Das meiste, was Stein aus der Musik schließt, hat Hand und Fuß, ist aber nur ein Aspekt unter vielen. Die Formulierung verabsolutiert auf Grund der Logik Dinge, die vielfach nichts mit Logik zu tun haben. Starke Persönlichkeiten neigen zu solchen Edikten. Sie können aber im Betreich der musikalischen Relativität nur subjektive Bedeutung haben. Unter diesem Gesichtswinkel wird der Musiker manche Anregung finden. Wertvoller ist das Buch wohl für den Laien, wenn er die Darlegung Steins „mit einem Körnchen Salz“ (so der Übersetzer) nimmt.

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