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Rückkehr zu Busch?

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Vielen Tausenden von Lesern wird die neue, schön gebundene, vortrefflich gedruckte und vor allem nicht nur mit den berühmten Originalzeichnungen des Verfassers versehene, sondern auch durch mustergültige Reproduktionen von Bildern und Radierungen Büschs geschmückte Ausgabe seiner Werke großes und dauerndes Vergnügen gewähren. Sie bereitet der Wiederkunft eines Autors die Bahn, der von allerlei dem vorüberhastenden Zeitgeschmack huldigenden Handbüchern zur Un-person degradiert und aus der Liste der Fortlebenden gestrichen worden ist. Sehr zu Unrecht. Wenn Josef Nadler, ein allerdings weit hellsichtigerer Kenner und Beurteiler des deutschen Schrifttums, einmal gesagt hat, ziehe man von der Literatur ihrer Epoche Nietzsche und Richard Wagner ab, dann bleibe Karl May, so möchte man diesem Namen hinzufügen: Wilhelm Busch. Das soll nicht etwa heißen, der in der Beschränkung auf sein eigentliches Schaffensgebiet meisterhafte Verfasser der unsterblichen „Max und Moritz“, der „Frommen Helene“, sei mit dem armen, ob auch reichbegabten, Wortunkünstler und Erzerzähler des „Winnetou“ und der „Kara-Ben-Nemsi-Serie“ gleichzusetzen. Nur soviel steht fest: Busch ist, in zugleich höherem und geringerem Grade, für den Durchschnittsdeutschen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so repräsentativ wie Karl May. In geringerem, weil der grundgescheite, überlegene Spötter weit über den Durchschnitt ragte und bewußt die Oberflächen durchbrach; in Tiefen und Untiefen vorstoßend, die von dem vor Enthüllung seiner eigenen kläglichen Vergangenheit zitternden Karl May sorgsam zugedeckt wurden. In höherem Grade, eben deshalb, weil Busch bloßlegte, was sich unter Plüsch und Firnis, hinter Muckerei und Kon venienz verbarg.

Die breiten Massen der Leser nehmen die Werke des Satirikers unbefangen hin, ohne nach der Scherze zeugnishaftem Wert zu fragen. Sie ergötzen sich an den genialen Zeichnungen und an den in ihrer vermeinten Primitivität oft sehr raffinierten Versen. Sie finden sich — ohne das, und damit den Urgrund ihres Entzückens, zu verspüren — in den Gestalten und im Geschehen wieder, die der Dichter aufs Papier beschwört. Sie wähnen, und hier ist des Genusses zweite Ursache, über Bosheit und Dummheit der Verhöhnten erhaben zu sein: dem Onkel Nolte in der „Frommen Helene“ nicht unähnlich, der nach dem erschröcklichen Ende seiner unverbesserlichen Nichte jubiliert:

„Ei, ja! — Da bin ick wirklich froh! Denn Gott sei Dank! Ick bin nickt so!“

Und sie gleichen ihnen dennoch, den Helden der Buschschen Epik ..., sie gleichen ihnen, einmal die Zeitgenossen, die Träumer der Butzenscheibenromantik, die Vergötzer des Reichsschöpfers aus Blut und Eisen, ehrfürchtiger vor seinem als vor Gottes Gebot (den der zu fürchten vorgab); die tugendstolzen Viktorianer samt ihrer Jingo-Moral, sodann, in ihrer durch Sentimentalität keineswegs zu versteckenden und nur durch Einatmen der antiken Humanität wie des christlichen Geistes unterdrückbaren Grausamkeit, Rauheit, Roheit, die Erben des altnordischen Wesens aller Zeiten. Gemüt hat nur der Germane, sagte Karl May, der davon zutiefst überzeugt war. Gemütlichkeit, die aufhört, wenn gewisse Urinstinkte entfesselt werden, ist, als Ausfluß des Gemüts, sehr häufig eine Maske, die sich über tierische, ja teuflische Bosheit breitet, lehrt Wilhelm Busch.

Wir könnten auf seine Geschöpfe den Satz anwenden, den der ihm entfernt weltanschaulich verwandte Nestroy zum Kern einer weniger pessimistischen als illusionslosen Weltanschauung erkoren hat: „Ich glaube von allen Menschen das Schlechteste, auch von mir, und ich habe mich dabei selten getäuscht.“ Der Unterschied zwischen dem von jeder Selbsttäuschung freien und ganz senti-mentlosen Österreicher und dem im Herzenskämmerlein gefühlsselig gebliebenen Niedersachsen liegt darin, daß der zweite den Einschub „auch vop mir“ gestrichen hat. Busch war über sich gerührt und betrachtete die Bezirke seines eigenen Erlebens als geheiligtes Land. Um das zu merken, genügt es, seine Selbstdarstellungen „Was mich betrifft“ und „Von mir über mich“, wie einige seiner — in Form und Gedanken gar banalen — Gedichte zu lesen.

Er, der die Mitmenschen so wohl durchschaute, freilich fltir Itts? ihm attäbrthehen,'4iat'Wede SäWst-“ erkenntnis noch Einfühlung in Andersgeformte besessen. Als Denker ist er platt, in sogenannte Aufklärung und in jenen Wust von Vorurteilen verstrickt, der gerade dem vernunftstolzen Liberalismus der Gründer- und Alles-Ergründer-Zeit den Blick versperrte. Alles, was nicht in den Rahmen eines preußisch-deutschen, protestantischen Rationalismus paßte, war ihm verhaßt, schädlich, dumm: Katholische Kirche, Pattikularisten, Franzosen, Aristokraten, Proletarier, Frömmigkeit galt ihm als Heuchelei, Welfentum als stupid-störrischer Volksverrat, Welschsein als lächerliche Verderbtheit, Tugend als verlogene Sinnlichkeit. Er entlarvt die Menschen (wie er sie kennt und sieht) am ehesten und am leichtesten, solange und soweit sie sich nicht hinter einem festsitzenden Panzer von gesellschaftlicher Politur, Bildung und gewandter Welt-läufigkeit tarnen. Kinder, Bauern, Frauen, bei denen die Natur schnell durchbricht oder überhaupt noch nicht unterdrückt worden ist, und in denen die konventionellen Lügen vom Trieb zum Schweigen gezwungen werden, sind Büschs liebste Figuren. Ihnen reihen sich vermenschlichte Tiere an, die schon in der zeichnerischen Darstellung absichtlich Züge des homo sapiens tragen: Der vorzügliche Zeichner hätte sonst seine Affen zweifellos wirklichkeittreuer umrissen. Max und Moritz, die vielen andern schlimmen Buben, die scheinheilig-fromme Helene, Hans Huckebein, der Unglücksrabe und Fips, der Affe sind allesamt Geschöpfe der Natur, die ungehemmt ihrer Lust und ihrer Laune huldigen und deshalb Böses tun, bis sie die in ihrer Grausamkeit als unrecht empfundene Strafe trifft. Die Moral, an deren metaphysischen Urgrund Busch nicht glaubt, und deren irdische Rechtfertigung er in ihrer Fragwürdigkeit, in ihrer Relativität, in ihrer Bedingtheit durch Zeit und Ort empfindet, wird durch die stets übersteigerte Sühne verulkt, ad absurdum geführt. Man kann nicht anders, als mit den erbärmlich vom Leben zum Tod Beförderten Mitleid zu fühlen, je mehr man über ihre Streiche gelacht und ihre Erzieher, Widersacher und Opfer verabscheut hat. Soweit, so gut, soweit, so schlecht. Büschs Angriff auf die Pseudomoral seiner, der Bismarckisch-Wilhelminischen, der Viktorianischen Epoche weckt bis heute Sympathie, wenn es einem auch dabei, denkt man zu Ende, unheimlich zumute wird.

Wer mit so völliger Seelenruhe schmunzelt, wenn die Petroleumlampe umfällt „und hilflos und mit Angstgewimmer verkohlt dies fromme Frauenzimmer“, der ruft heute in uns die Erinnerung an Millionen Menschen wach, die, oft zur quitsch-vcrgnügten Lust für sonst Sentimentale, hilflos und mit Angstgewimmer verkohlt sind, verkohlt wurden . . Die Grausamkeit, die fühllose Härte gegenüber als bös oder auch nur als unsympathisch betrachtete Personen, hat Busch mit seinen Vorläufern. Vorbildern gemeinsam, mit dem deutschen Märchen, mit den sogenannten Volksbüchern des Mittelalters und mit dein -.Struwwelpeter“ des wackeren Irrenarztes Hoffmann. Er hat noch andere literarische Ahnen, deutsche und sofort erschaubare, wie Kortum, den Reimer der grobkörnigen „Job-siade“ (die Busch neu bearbeitet und illustriert hat) oder Swift, dessen „Tale of a Tub“ durchaus an Büschs Stellung zur Religion gemahnen. Die lustig vermeinten Zoten, in denen er nicht nur, wie das im Kulturkampfzeitalter des Landes der Brauch war, den „Klerikalismus“ und die Jesuiten aufs Korn nahm, sondern auch, in plumper, widerlicher Weise, den Kult Mariens und des Heiligen Antonius von Padua verhohnepipelte, verderben einem den Spaß an Reimen und an Zeichnungen, die auch in diesen anekelnden Pasquillen das außergewöhnliche Talent des Verfassers bestätigen.

Denn das muß, nach allen Einwänden und Vorbehalten, mit Nachdruck unterstrichen werden: Wilhelm Busch ist als Schöpfer eines Gesamtkunstwerks in seinem um soviel geringeren Gehre nicht minder unerreicht, und wohl unerreichbar, wie Richard Wagner im Musikdrama.

Der Krämersohn aus Wiedensahl war ein bedeutender Maler, der seinem Rembrandt Erhebliches abgeguckt hat, ein hervorragender Zeichner und als Karikaturist einer vom Maße der Daumier und Gavarni. Er verstand es, Zeichnung und Text zu einem untrennbaren Ganzen zu verbinden, das auf den Beschauer den haftendsten Eindruck ausübt. Die Bilder sprechen, und die Worte sind bildhaft; vereint sind sie mehr als ihre bloße Summe. Der Maler-Dichter ist zudem ein Meister des knappen, passenden sprachlichen Ausdrucks. Und er hat eine Eigenschaft, die Franzosen und Italiener aufs höchste schätzen, die, durch Kontrastwirkung, durch das Aneinandernähern scheinbar entlegener Begriffe, krasser Gegensätze besonderen Reiz, Anregung und einprägsame Schau zu bieten: er besitzt Esprit. Er bedient sich, nicht in seiner Malkunst, doch in seiner sprachlichen Kunst, der Technik des Impressionismus. Aus geschickt aneinandergereihten Farbpatzen ersteht das faszinierende, gültige Gesamtgemälde.

Bewundernswert ist die Prägnanz und die Schnelligkeit, mit der Busch nicht nur ein Ereignis, eine Gestalt, ein Ding charakterisiert, sondern auch den Grundgedanken einer lehrhaften Erzählung in wenige Sätze zusammenfaßt. (Moral predigen alle seine Werke und Werkchen; um so aufdringlicher, je weniger sie daran glauben.)

Diese Würze in der Kürze hat uns zahlreiche Aussprüche geschenkt, in denen sich eine bald unsagbar flache Lebensweisheit, bald tiefe Einsicht in Tragik und Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz offenbart.

Über alle äußerlichen Stimulantien, durch die Busch seine Leser gewinnt, ragen indessen immer wieder die inneren, tieferen Lustquellen, die er — natürlich uneingestanden, obzwar nicht ungewollt — auslöst: eine faunische Sinnlichkeit, Schadenfreude, Selbstgerechtigkeit und endlich jene, andern Nationen schwer verständliche, morbide Todessehnsucht, die in einem stürmischen Lebenshunger, im Drang zum Nützen des v,wbeieiknden,Tageis.(.|da Gegenstück findet, jene lastende und dennoch stachelnde Vorstellung vom „Sein zum Tode“, das die „Toten auf Urlaub“, sind sie gläubig, zur Buße und zur Kasteiung bewegt, die Zweifelnden oder gar die Leugner zur taumelnden Torschlußpanik des Genusses von Wein, Weib und, nun es sei, Gesang aufmuntert.

Das offen auszusprechen ist Pflicht dessen, der Büschs' Muse auf Herz und Manieren prüft. Damit ist weder an der sehr hohen Sprachkunst und an der in seinem Sondersektor unüberbietbaren Meisterschaft des Dichter-Malers gemäkelt noch sei behauptet, daß seine große Gemeinde erfühlt, was bei einem, im letzten Hintergrund dämonischen, Schaffen Pate gestanden ist. Gullivers „Reisen“ des Busch kongenialen britischen Einsiedlers und Men-schenverachters Swift, die giftigste, ätzendste Streitschrift gegen seine Epoche, sein Land und seine Kirche, sind vor allem ein die Kinder entzückendes und ihnen unschädliches Buch geblieben. „Max und Moritz“, „Hans Huckebein“, „Knopp“ in drei Fortsetzungen, „Fipps, der Affe“, „Balduin Bählamm“, „Maler Klecksel“ und sogar die „Fromme Helene“ werden noch lange jeden erfreuen, der sich dem lustigen Einklang von geistreicher Zeichnung und in seiner Nüchternheit den für Ausdruckkunst Empfänglichen berauschendem Vers gefangen gibt. Nur weiche man im Bogen Geschmacksverirrungen, wie dem „Heiligen Antonius von Padua“ und „Pater Filucius“, aus, auch der Lyrik Büschs und seinen beiden, an sich harmlosen, Prosafehlleistungen „Eduards Traum“, „Der Schmetterling“. Das politische Credo Büschs aber und sein religiöser Unglaube, den er übrigens im Alter mit einem vagen an sich selbst zweifelnden Mystizismus vertuschte, bedürfen keiner Abempfehlung. Sie haben uns heute — wenigstens im katholischen Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, schon gar jenseits der deutschen Sprachgrenzen — nichts zu sagen. (Busch ist weitherum in der Welt populär geworden. „Max und Moritz“ hat sogar eine lateinische und eine japanische Übersetzung erfahren.)

„Nicht jeder, der von Weisheit troff, Ist darum auch ein Philosoph. Doch wem sich Reim und Bild so einen, Daß unzertrennlich beide scheinen, Wes scharfer Witz und Aberwitz, Einschlägt wie \äh ein heller Blitz, Von dem gesteht der strengste Richter: Du bist ein schätzenswerter Dichter. Kommt mir auch das Bekenntnis sauer: Du hast die Bürgschaft künft'ger Dauer.“

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