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Ruf nach der Haydn-Hymne

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Es ist tragisch, Ja geradezu beschämend, daß gerade Oesterreich, in dem durch anderthalb Jahrhunderte die schönste aller Volkshymnen der Welt erklang, eines im Herzen seiner Bewohner verankerten musikalischen Einheitszeichens entbehren muß. Denn die 1947 eingeführte Mo-zartsche Bundeshymne mit der Textunterlegung durch die zweifellos überaus feinsinnige Dichterin Preradovic ist niemals seelisches Gemeingut der Oesterreicher geworden. Kein Wunder. Entbehrt doch schon der dichterische Introitus „Land der Berge, Land am Strome, Land der Aecker, Land der Dome“ jener volkstümlichen, kindhaften Ausdruckskraft, der ein der seelischen Gleichschaltung dienender Gemeinschaftsgesang einmal nicht entraten kann.

Man hat viel geschimpft über die Leute, die 1946 als ein vom Unterrichtsministerium eingesetztes Musiker-Jurorengremium das österreichische Volk unter ein Diktat gesetzt haben. Ich will es dem Leser ganz im Vertrauen verraten: der Schreiber dieser Zeilen war auch eines von den 24 Mitgliedern dieses vielgeschmähten Preisgerichtes, das durch eine „Notlösung“ allen jenen eine Enttäuschung bereitet hatte, die von dem Wettbewerb „etwas Neues und Dauerndes“ erwartet hatten; eines Preisgerichtes, das (wie erst vor kurzem wieder eine Tageszeitung meinte) „durch seinen Entschluß die völlige Unfähigkeit der Juroren enthüllte“. Oh, wenn dieser neunmalweise Kritiker auch nur eine bloße Ahnung davon gehabt hätte, vor welch schwere Verantwortung jedes einzelne Mitglied der Jury damals gestellt worden war! Man stelle sich vor: Nachdem von den etwa anderthalbtausend Einsendungen die Spreu vom Weizen gesondert war, blieb eine Handvoll beachtlicher Arbeiten (es mögen etwa zwei Dutzend gewesen sein) übrig, die ob ihrer Qualitäten nach Text und Musik in die engere Wahl kamen. Sosehr wir uns mit dieser Auslese beschäftigten — immer wieder drang in unserem Unterbewußtsein Haydns Melodie, für die ja Ersatz zu schaffen war, in ihrer Einmaligkeit, absoluten Unwiederholbar-keit auf uns ein, und wir fragten uns: Ist unter den eingesendeten Liedern auch wirklich nur ein einziges, das man dem feinhörigen Oesterreicher als Erbe des klingenden Juwels zumuten dürfte, jenes Liedes, das nach Furtwängler „das schönste und vollendetste melodisch-musikalische Gebilde der gesamten Musikgeschichte“ ist? Wir mußten es verneinen. So entstand eine „Notlösung“. Es wurde Haydns Freund, Mozart, zu Hilfe gerufen. Mozarts „Bundeslied“, das als überhaupt letzte Komposition dieses Meisters immerhin Anspruch auf eine besonders respektvolle Beachtung verdient, ist seiner ursprünglichen Bestimmung nach ein Scharlied und vermöge seiner würdevollen Haltung und eines gewissen hymnischen Einschlags als jene Weise erkannt worden, die man der österreichischen Bevölkerung — als „Provisorium“ unbedenklich präsentieren dürfe. (Daß es sich nur um einen Behelf handeln konnte und die Haydnsche Melodie über kurz oder lang trotz aller Hindernisse ihren Weg in die Heimat zurückfinden werde, schienen alle um eine vernünftige Lösung in der Hymnenfrage Bemühten zu fühlen.) Die letzte Sorge galt der Gewinnung eines geeigneten, der Mozart-Melodie angepaßten Textes. Auf welche Weise dieser gewonnen wurde, ist den Musikjuroren unbekannt geblieben. Der Schreiber dieser Zeilen wurde in weiterer Folge offiziell mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, die vokale und instrumentale Einrichtung der flüchtigen Bundesliedskizze Mozarts zu besorgen und die Aufführung der ersten konzertanten Wiedergabe der neuen Bundes-hvmne in die Wege zu leiten. Diese fand unter allen Anzeichen eines vaterländisch bedeutungsvollen Ereignisses am 9. März 1947 in der Volksoper statt. (Ausführende: Wiener Schubertbund und Staatsopernorchester.)

Daß es der neuen Hymne nicht gelang, den Weg zum Herzen des Volkes zu finden, ist unbestreitbar. Und so will denn auch der Schrei nach der alten Haydnschen Volkshymne nicht verstummen. Der Umstand, daß der Verfasser bei der Geburt der derzeitigen Bundeshymne selbst Pate gestanden war, kann ihn nicht hindern, mit einzustimmen in den Ruf- Man gebe dem Volke, was des Volkes istl Man entschließe sich endlich, unserem geliebten wiedererstarkten Heimatland nicht mehr länger jenes Hohelied der Vaterlandstreue vorzuenthalten, dem die Prophezeiung Beethovens gegenüber dem Schöpfer desselben galt: „Du hast ein Lied gesungen, das zum Pulsschlag unseres Volkes werden wird.“

Schauen wir einmal der Situation ins Auge, und versuchen wir offen und ohne Zimperlichkeit, alle Einwände zu durchleuchten, die gegen die Restitution der Haydnschen Hymne ins Treffen geführt werden.

Haydns Melodie diente doch der Glorifizierung der Habsburger-Dynastie und ist nicht loszulösen von den blutigen Ereignissen, in die unser Vaterland durch sie gestürzt wurde.

Tatsächlich nahm knapp nach der vor einem Vierteljahrhundert erfolgten Wiedereinführung der Haydnschen Hymne mit dem Kernstock-Text ein damals führender österreichischer Politiker öffentlich Stellung: das Lied sei „befleckt“ durch die Erinnerung an das Habsburger-Regime und seine kriegerischen Ereignisse. •

Die Zeiten ändern sich: Vor kurzer Zeit hat ein Parteigenosse desselben, der erste Mann unserer Bundesrepublik, Bundespräsident Doktor Körner, am „Tag der Flagge“ (25. Oktober 1955) zur österreichischen Schuljugend folgende Worte gesprochen: „Vor vielen Jahrhunderten, zur Zeit der Babenberger, sind diese Farben (Rot-Weiß-Rot) zu Oesterreichs Farben geworden.“ Obwohl diese Farbenrrias dann durch Jahrhunderte hindurch auch das Hauswappen der Habsburger geschmückt hat, vernahm die Jugend aus dem Munde des Landesvaters weiterhin die Worte: „Die ehrwürdigen Farben Rot-Weiß-Rot sind das gemeinsame Band, das Symbol der Zusammengehörigkeit, das uns Oesterreicher alle vereint... Im Licht der wiedergewonnenen Freiheit leuchten aufs neue die Farben Rot-Weiß-Rot.“ Man setze für die symbolische Flaggenfarbe „Rot-Weiß-Rot“ sinngemäß die viel jüngere, daher weniger „befleckte“ Haydnsche Hymne ein, und es stimmt alles haargenau.

Die Haydn-Hymne ist doch bei allen Staaten der Welt durch Hitler völlig in Mißkredit geraten, war sie doch als „Deutschland über alles“ gelegentlich der Einbrüche in Frankreich, Belgien, Holland und Rußland der deutschen Reichsarmee aufmunternder Begleiterl

Ja, der Begleiter der „reichsdeutschen“, aber nicht der österreichischen Armee! Oesterreich wurde damals doch von keinem der fremden Staaten überhaupt mehr als existent betrachtet.

Das Dritte Reich wurde geschlagen. Aber phönixgleich stieg aus der Asche die kleine Meistermelodie, und sie erklingt in Deutschland bis zum heutigen Tag. Kann aber jemand ernsthaft daran glauben, daß das Festhalten Deutschlands an der „bescholtenen“ Nationalhymne beispielsweise bei den künftigen Friedensverhandlungen Schwierigkeiten bereiten würde?

Die Wiedereinführung der alten Hymne birgt doch durch den Umstand, daß dann die Haydnsche Melodie gleichzeitig die „Volkshymne“ beider Nachbarstaaten ist, die Gefahr, daß gewisse Kreise zur neuerlichen Entfachung des nationalsozialistischen Geistes angeregt werden.

In zäher, mühevoller Aufbauarbeit wurde unser kleines Vaterland wieder aufgerichtet. Nicht zum letzten ist der Weg in die Freiheit dem persönlichen Mut und der bewundernswerten Unerschrockenheit seiner tapferen Baumeister zu danken. Und dieses mutig befreite Land soll nun angstvoll vor der Möglichkeit erzittern, daß eine Gruppe ewig Unbelehrbarer das nationale Bedürfnis empfinden könnte, die Hymnentexte beider Nachbarstaaten so gelegentlich auszuwechseln?

Durch die 1923 in Berlin erfolgte Einsetzung des sogenannten „Deutschlandliedes“ zur Reichsdeutschen Nationalhymne ist doch das Schicksal der Haydnschen Melodie bereits definitiv entschieden!

Die Haydn-Melodie ist eine echt österreichische, in unserem Heimatboden verwurzelte Pflanze, die uns nur dank der längst erloschenen urheberrechtlichen Schutzfrist von den Deutschen als Bundeshymne weggeschnappt werden konnte. Bei den guten nachbarlichen Beziehungen aber wäre es nicht ausgeschlossen, daß das Reich über kurz oder lang das natürliche Eigentumsrecht Oesterreichs respektieren und das Deutschlandlied als seine „offizielle Nationalhymne“ zurückstellen werde. Bleibt diese Hoffnung aber unerfüllt, so wird Oesterreich dadurch ebensowenig Schaden erleiden wie etwa England, dessen Nationalweise (God save the King) Deutschland im Jahre 1793 erborgt hatte und die von den Deutschen als „Heil dir im Siegerkranz“ bis zum Ausgang des ersten Weltkrieges gesungen wurde (also 125 Jahre lang!). Es ist nicht bekanntgeworden, daß das Deutsche Reich durch diese langfristige englische Anleihe einen Prestigeverlust erlitten hätte

Die Gemeinsamkeit beider Volkshymnen muß doch beispielsweise beim Austausch internationaler Höflichkeiten mit reichsdeutschen Funktionären (bei Empfängen und Repräsentationsfesten) zur Quelle unerquicklicher Verlegenheiten werden?

Gegenfrage: Ist denn etwa die derzeitige Situation erquicklich? Klingt es denn nicht wie ein Witz, daß es die internationale Courtoisie gebot, den reichsdeutschen Außenminister v. Brentano anläßlich seines jüngsten österreichischen Besuches mit der von dem Gastland entlehnten Nationalhymnenmelodie „Deutschland über alles“ zu begrüßen — also mit den Klängen unserer ureigenen, zur Zeit allerdings aufs Eis gelegten Bundeshymnenmelodie Haydns? Uebrigens: Die Lösung solch heikler Fragen überlasse man getrost unseren Diplomaten.

Man sagt dem Nachdichter der Haydnschen Bundeshymne, dem Pfarrherrn der steirischen Festenburg, Ottokar Kernstock, nach, daß er sich mit Leib und Seele der nationalsozialistischen Bewegung verschrieben habe. Beweis: sein Gedicht „Das Hakenkreuz“.

Entstehungszeit dieses Gedichtes 1922. Es entstammt also einer Zeit wirtschaftlicher Ohnmacht, jammervoller Zerrissenheit und erbarmlicher Unsicherheit unseres kleingewordenen Vaterlandes, einer unter dem Druck der Alliierten stehenden Atmosphäre der Demütigung, in der — wer möchte es leugnen? — der Blick jedes Oesterreichers nach Deutschland gerichtet war. Mit dem dort später autflammenden Nazismus hat das Gedicht nichts zu tun! Die Behauptung, daß der Dichter diesen mit besonderer Sympathie weiterverfolgt habe, ist völlig unzutreffend. Kernstock fühlte sich trotz seines stolzen Bewußtseins, gleich den Minnesängern des Mittelalters zu einem über die Grenzen des Vaterlandes hinausreichenden Künder poetischen Sprachgutes berufen zu sein, zeitlebens als ein aufrechter Oesterreicher und hat auch seine Zugehörigkeit zu seinem Vaterlande niemals verleugnet. Der Schreiber dieser Zeilen gehörte dem engeren Freundeskreis des Dichters an und kann bezeugen, daß er niemals aus dessen Munde (oder dessen Feder, die dem mit ihm rege unterhaltenen Briefwechsel diente) auch nur ein einziges Wort vernahm, das obigen Anwurf rechtfertigen könnte. Und vollends absurd wäre es, zu denken, daß Kernstock sich ein Jahr vor seinem Tode (1928. also ein Jahrzehnt vor Oesterreichs Umbruch) dazu hätte verleiten lassen können, „gegen seine innere Ueberzeugung“ seinem Vaterland Oesterreich ein so herzenswarmes Loblied zu schenken, wie er es durch die Textunterlegung der Haydnschen Melodie tat. (Die offizielle Erhebung seiner Verse zur Volkshymne 1929, die vom Autor der damals eingeführten Kienzl-Hymne, dem Bundeskanzler Dr. Renner, in rührendem Verzicht selbst empfohlen wurde, hat der Dichter nicht mehr erlebt.)

Die Unterstreichung des Wortes „Deutsch“ in der ersten Strophe „Deutsche Arbeit, ernst und ehrlich, deutsche Liebe, zart und weich“) weist doch unmißverständlich auf des Dichters betont deutsche Gesinnung hin?

Es läßt sich einmal nicht leugnen: „Wer d i e-selbe Sprache redet, ist durch die bloße Natur durch eine Menge von unsichtbaren Banden verknüpft“ (Fichte). Diese innerliche Verbundenheit wird bei den beiden dem deutschen Kulturkreis angehörigen Nachbarvölkern auch für alle Zeiten untilgbar sein. Würde es einem gebildeten Oesterreicher einfallen, etwa das Werk Goethes oder Schillers, Bachs oder Richard Wagners als das Erbgut einer „fremden Nation“ betrachten zu wollen? Wer an den obigen Versen Kernstocks Kritik übt oder, mit andern Worten gesagt, wer in beständiger Angst davor lebt, Hochverrat zu begehen, wenn er sich als Oesterreicher des Wortes „deutsch“ bedient, der ist unwert, Sohn einer deutschsprachigen Mutter zu sein. Dies ist die Meinung des hochbetagten Verfassers dieser Zeilen, der ob seiner nicht zu beugenden österreichischen Gesinnung und Vaterlandstreue in den Jahren des Unheils 1938 bis 1945 seine künstlerische Aechtung durch die deutsche Gewaltherrschaft (Dirigierverbot und Reichsboykott seiner Werke) zu erdulden hatte.

Unsere gesetzgebende Körperschaft nütze also die Gelegenheit des Mozart-Festjahres, indem sie durch die Wiedereinführung der alten Haydn-Hymne den musischen Jahresregenten Mozart seiner unwürdigen Stelle als bloßen Platzhalter enthebe Er hat die ihm vor einem Jahrzehnt durch die Not aufgedrängte Rolle eines Lückenbüßers lange genug gespielt.

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