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Rumänische Literatur von heute

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im Westen kennt man von der in Rumänien entstandenen Literatur seit dem Kriegsende so gut wie nichts. Zwar haben einige rumänische Emigranten in den letzten eineinhalb Jahrzehnten viel Aufsehen erregt, wie etwa Eugene Jonesco, Constantin Virgil Gheorghiu, Petru Dumitriu und Vintila Horia — als Religionshistoriker schätzt man Mircea Eliade —, doch von den in ihrer Heimat verbliebenen Autoren ist kaum irgendeine Kunde durch den Eisernen Vorhang gedrungen. Natürlich ist es überaus schwierig, sich während eines nicht allzulangen Besuches ein auch nur annähernd klares Bild von der Literatur eines Landes zu schaffen, über die keinerlei Orientierung vom Westen aus zu finden ist. Und vor allem über eine Literatur, die aus einer sehr stattlichen Anzahl von Autoren besteht.

Man hat nach wenigen Tagen einer solchen Expedition ins völlig Unerforschte den Eindruck, daß in Rumänien außerordentlich viel geschrieben und noch mehr darüber diskutiert wird. Die zehn Literaturzeitschriften, von denen die verbreitetste wöchentlich 30.000 Exemplare absetzt, die Theaterzeitschrift, die Lesungen und die ganze dadurch schon einmal rein personell enstehende Bewegung schaffen ein intellektuelles Klima, dessen Intensität man sofort bemerkt. Allerdings wird ein mit der Situation in den Satelliten vertrauter Besucher die Ambivalenz dieser Sphäre nicht übersehen, denn es gibt allgemein sehr große Unterschiede zwischen Augurenwissen und offizieller Kunst, zwischen esoterischen Gesprächen und dem, was exo- terisch an Werken für das Volk verbreitet wird. Ein mit den raffiniertesten westlichen und östlichen Gedanken vertrauter Schriftsteller, der auch in der westlichen Literatur um den jüngsten Stand der Dinge weiß und sie weitgehend objektiv beurteilt, dem alle wichtigen westlichen Zeitschriften zugänglich und bekannt sind, wird ohne weiteres mit irgendeinem Werk oder Artikel auftreten, dessen Niveau man diesem Mann einfach nicht zutraut. Plakatierte Propaganda in unverdaulichem Tonfall. Nun, das eine man für das Volk, das ja, so hört man, noch lange nicht reif genug ist, alles zu verstehen, und daher vorgesetzt erhält, was gleichsam im pädagogischen Sinn — und dies nach den Zielen des Systems — geeignet erscheint. Es gibt da auch keinerlei ungutes Gewissen gegenüber dem westlichen Besucher, denn man setzt bei jedem auch nur einigermaßen kundigen Fachmann die Kenntnis voraus, daß eine solche Diskrepanz zwischen Intern und Extern nicht nur bestehe, sondern absolut legitim sei. Freilich führen die Rumänen den bisherigen Bildungstiefstand der breiten Bevölkerung an und die Notwendigkeit, eine dort verständliche Sprache zu sprechen. So hat man oft den Eindruck, es wird von ein paar Hochintellektuellen eine völlig voraussetzungslose Literatur mühsam synthetisch erzeugt. Man arbeitet planmäßig an einer Literatur für die Masse bisheriger Analphabeten, versucht, die Probleme der Kolchosen literarisch zu gestalten, der Industriearbeiter, der Landjugend, aber vorsichtig innerhalb des Horizonts eben dieser Kolchosisten, die man dadurch überhaupt einmal an das Bücherlesen oder an das Theater heranführen will. Das Niveaugefälle zwischen Intellektualität und der breiten Bevölkerung ist nun in Rumänien besonders groß, und der Mut zu intellektueller Literatur, die sich an einen kleinen Kreis wendet, begann weitaus später als etwa in Polen.

Natürlich gibt es noch die beiden großen alten Männer der rumänischen Literatur, Mihail Sadoveanu und Tudor Arghezi. Der einundachtzigjährige Sadoveanu, Autor unzähliger Romane, wurde mit allen Ehren bedacht und lebt nun zurückgezogen, außerdem nach zwei Schlaganfällen schwer leidend, in Bukarest. Der im gleichen Alter stehende Lyriker Tudor Arghezi, ebenfalls vom Regime vielfach ausgezeichnet, wird von genauen Kennern mit den größten zeitgenössischen Erscheinungen auf eine Stufe gestellt. Man nennt Eliot und Pound, doch wird man bald durch eine im Hanser-Ver- lag, München, erscheinende deutsche Auswahl Gelegenheit haben, diesen Autor wenigstens in der Übertragung kennenzulernen. Die Proben, die ich las, „Psalm“, „Zu den Sternen“, „Der Schatten“ und andere, sind von wunderbarer Transparenz.

An Romanautoren nannte man mir den sechzigjährigen Zaharia Stancu und seinen Roman „Barfuß", den vierzigjährigen Marin Preda und die jüngeren Emil Galan mit „Haragan“, Titus Popovici mit „Durst“, Tic Ghera- sius und Ivan Ghilea. Alle diese Bücher folgen dem Stil des „sozialistischen Realismus“. An Dramatikern werden der fünfzigjährige Aurel Ba- ranga, der gleichaltrige Mihai Davi- doglu, der zweiundvierzigjährige Horia Lovinescu und die beiden jüngeren Alexandre Mirodan und Dorei Dorian genannt. Mirodans „Der berühmte 702“ ist ein merkbarer Schritt zu Problemen, die auch im Interesse des westlichen Zuschauers liegen. Langsam diskutiert man sich zur Satire — freilich gegen den Westen gerichtet — und zur Komödie durch. Als Lyriker führt man außer Tudor Arghezi noch den vierundfünfzigjährigen Mihai Beniuo, den fünfzigjährigen Marcel Breslasu, den gleichaltrigen Eugen Jebeleanu und die jüngeren Maria Banus, Veronika Parumbacu und Dan Dėsliu an. Und es sollen auf allen Gebieten starke junge Begabungen heranwachsen, es gebe einen erheblichen Andrang zur Literatur — natürlich kann man als Besucher da kaum wirklich kompetent urteilen.

Daß aber die ungeheuren Investitionen an Geld und Mühe, die in das literarische Leben, in die Autoren, in die Literatur seit etwa sechs oder sieben Jahren gesteckt werden, zumindest das „interne" Niveau, also die persönliche intellektuelle Qualität der Fachleute ständig hebt, darüber kann kein Zweifel bestehen. Ob Literatur von dichterischem Format innerhalb der gesteckten Ziele — sogar wenn sie aus Überzeugung angestrebt werden — gedeiht, ist eine andere Frage. Programme werden selten Dichtung. Doch sind immerhin Anzeichen zu bemerken, daß man bereits als Programmpunkt die Notwendigkeit vor sich sieht, das Programm zu erweitern. Und es ist allem Anschein nach gerade die jüngere Generation, die, obwohl sie durchaus im Sinne des Systems argumentiert, an dieser Erweiterung stärkstes Interesse hat.

Übersetzungen

Erkundigt man sich nach westlichen Werken in rumänischer Übersetzung, so erhält man meist den Hinweis auf die verschiedenen Literaturzeitschriften, in denen immer wieder westliche Literatur abgedruckt wird. Wenn allerdings diese Zeitschriften auch eine nicht geringe Auflage haben, etwa zehn- bis fünfzehntausend, so bleibt der Leserkreis doch sehr begrenzt. In Buchform aber liegt im Vergleich zu Ungarn oder gar Polen außerordentlich wenig in Übersetzungen vor. Natürlich wird darauf hingewiesen, daß alle Klassiker nachzuholen gewesen seien, daß man vorerst die Bildungsfundamente schaffen mußte, und weiter, daß man aus Devisengründen mit dem Erwerben westlicher Rechte sehr haushalten müsse. Doch dies alles trifft auch für andere Satelliten zu, die auf diesem Gebiet großzügiger und scheinbar organisatorisch tüchtiger vorgingen. Man erklärt auch, daß das ganze Verlagswesen geradezu eine grundlegende Umgestaltung erfahren habe uni.eiweuer Pląn Ailgearbeitet-werde. set wMtlcIen lS hC vorliegt, ist auch vergleichsweise recht spärlich. Zwar übersetzt man in dem dafür zuständigen Staatsverlag aus nicht weniger als 45 (!) Literaturen, doch sind unter Berücksichtigung ausgefallener Negersprachen die Proportionen sehr ungünstig.

Was fehlt…

Unter den bis 1965 geplanten Werken dominiert die russische Herkunft mit 71 Titeln weitaus. Es folgen Frankreich mit 51, Italien mit 37, England mit 34, Ost- und Westdeutschland mit insgesamt 33, die USA mit 32, China mit 18 Titeln. Das gilt in diesen Sprachen für einen Zeitabschnitt von drei Jahren, von 1962 bis 1965. Vorgesehen sind darunter Thomas Manns „Lotte in Weimar", Novellen von Heinrich Böll, Erzählungen von Saroyan, eine Auswahl von Saint-Exupery, Mauriacs „Natterngezücht“, Faulkners „Das Dorf“ und „Die Stadt“, Lampedusas „Leopard". Stories von Hemingway. Eine lückenlose Orientierung über die bisher erschienenen Titel fiel einigermaßen schwer. Jedenfalls fehlen so wichtige Autoren wie Kafka, Musil, Broch, Proust, Eliot, Rilke, Thomas Wolfe, Joyce vollkommen, was in Polen und Ungarn keineswegs der Fall ist. Hermann Hesse fehlt und „Doktor Faustus“ von Thomas Mann fehlt. Dafür findet man Galsworthys „For- syte-Saga“, vier Stücke von Garcia Lorca, Lion Feuchtwangers „Goya“, von dem man rund 50.000 Stück verkauft hat, Sinclair Lewis’ „Dr. Arrowsmith", John Steinbeck, Thomas Manns ..Buddenbrocks“, Levi’s „Christus kam nur bis Eboli“, Graham Greenes „Der stille Amerikaner“, Dreisers „Eine amerikanische Tragödie“.

Sehr im Gegensatz zu Warschau, aber auch zu Budapest, findet man in den Schaufenstern der Buchläden praktisch keine Importbücher aus dem Westen; zwei, drei französische Romane waren alles, was ich trotz genauer Musterung der Auslagen von etwa acht Buchläden der Innenstadt sehen konnte. „Es fehlen die Devisen“, hört man als Antwort. Doch ist dies natürlich nicht der einzige Grund, da man ja die Beispiele anderer Satelliten zitieren kann.

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