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RUMISCHER TAG

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Diese Schritte kommen mit bekannt vor. Sie haben nordlichen Klang. Sie sind rasch, aber nicht behende. Sie sind ,,gut gelaunt", aber nicht beflugelt. Kein Italiener wurde so uber eine Treppe gehen. Dieser Mann muB feste Schuhe tragen, Reiseschuhe, die vor dem Staub schiitzen, doch bald unter den FiiBen zu gluh,en beginnen, wenn die Kraft der Sonne wachst und die Schatten Versiegen. Er hat Gliick. Noch ist es morgetidlich kiihl, und letzte Nacht hat es sogar geregnet. Ein laues Spriihen. Immerhin, es genugte, den Pflanzen und den StraBen eine fliichtige Frische zu geben.

Ich kann das Gesicht des Mannes nicht sehen. Seine Kleidung ist unauffallig. Keiner wurde ihm ansehen, daB er hier, im Nobelviertel um die Viale Bruno Buozzi, Quartier genommen hat. Rundum grassieren sonst nur Amerikaner (in Limousinen, die serioser aussehen als ihre Besitzer), Filmschauspieler oder sonstwie „Unsterbliche“. Nein, ein Amerikaner ist dieser Mann nicht. Er wirkt kontinental-bescheiden und nachdenklich. Aller- dings ist nicht auszunehmen, ob seine Besinnlichkeit der klaren Fassade der Villa Giulia gilt oder der beharrlich ausbleibenden StraBenbahn.

Ich mochte mich ia nicht in Ihr Konzept drangen, aber an Ihrer Stelle ginge ich jetzt. . . Ach. er hat begriffen (also auch kein Germane) und folgt dem griinen Schwung der Viale delle belle Arti. Die Nationalgalerie fiir moderne Kunst ist um diese Stunde noch geschlossen, wie es sich fiir ein Institut geziemt, das vom Staat betreut wird. Sie sind verargert? Wenn man Sie einliefie, wurden Sie ebenso enttauscht sein. In diesen Salen regiert die Fiille, nicht die Qualitat. iiberhaupt halte ich es fiir einen schlechten EntschluB, Rom von seinen Museen her kennenzulernen. Der wahre Reichtum einer Stadt wird nicht zur Schau gestellt, er offenbart sich in vermuteten Impressionen.

Jetzt gehe ich schon fiinfzehn Minuten .hinter dem Fremden her und habe beschlossen, ihm einen Namen zu geben: Pierre. Ich habe eine Schwache fur alles Franzosische, sogar fiir ihre extravagante Politik. Ich habe nicht den Wunsch, ein Gesprach zu beginnen. Durch Beobachten erfahre ich mehr als durch Worte. Jetzt zum Beispiel, daB er fiir Kitsch anfallig ist — mit Worten wiirde er das aufs bestimmteste geleugnet haben. Der romantische Teich im Giardino del Lago entringt ihm Seufzer der Bewunderung, und ietzt mietet er sogar eines der Boote und laBt sich zum Askulaptempel rudern. Enttauschend . .. sehr enttauschend . . .

Ein wenig versohnt mich, daB Pierre die Stille zu lieben scheint. Er vermeidet die um diese Zeit schoh belebte Viale di Porta Pinciana und wahlt den Weg durch die Pinienwalder der Villa Borghese. Stumme, schlafbringende Schonheit. Nach- mittag werden Tausende aus der gliihenden Stadt zu den Baumen fliichten, yiele Frauen,. umgeben vqm iHornissenschwarm ihrer

Pierre umgeht dais' RetrerstandbiW' drs Konigs Umberto I. — ich bemiihe mich, in seinem Riicken zu bleiben — und dann passiert ihm der erste Irrtum. Zwischen den Stammen grasen Ponnys. Sie haben einen kleinen Wagen mit Coca-Cola-Reklame zu ziehen. Pierre versucht dem Kutscher auseinanderzusetzen, daB er eine Flasche kaufen will. Der Alte grinst, bittet ihn ein- zusteigen und fiihrt eine gemachliche Runde. Wenn ich naher dabei ware, konnte ich vielleicht Pierres Fliiche verstehen. Es muB eine bilderreiche Sprache sein, ausgestattet mit einer jahr- tausendelangen Tradition an Schimpfwortern. In ihren kon- kreten Begriffen bleiben doch alle Sprachen konservativ.

Beinahe hatte ich jetzt iibersehen, dafi Pierre vom Wagen gesprungen und ein Stiick Wegs zuriickgegangen ist. Der nadel- iibersate Boden macht Schritte beinahe unhorbar. Wir halten vor der Piazza di Siena: ein weites, stufengesaumtes Oval, halb Tummelplatz fiir griechische Kiimpfe, halb Biihne fiir noch nicht komponierte, ebenso naturliche wie kiinstliche Ballette. Ein Geruch nach Mods schwebt dariiber. denn nahe bei der Hand aus Steinmuldcn oder gierigen kleinen Lowenmaulern, fliefien die glucklichen Wasser Roms und tranken die Wurzeln.

*

Pierre hat es plotzlich eilig, unter Menschen zu kommen, als fliichte er vor Traumen. Mit einem Schlag ist die Weltstadt gegenwartig. Bewunderswert sicher passiert er das lebensgefahr- liche StraBenbiindel bei der Porta Pinciana. Ich erreiche ihn noch bei der Haltestelle der Circolata Chiesa Santa Teresa . . . Piazza Fiume . . .

DaB der amerikanische Film sich das romische StraBenbahn- milieu entgehen laBt, ist unbegreiflich. In Hollywood hat man doch eine Schwache fur „Ausnahmesituationen": Passagiere in lecken Flugzeugen, Schiffbriichige auf einem FloB, die auf Leben und Tod um ein FuBbreit Holz kampfen. Hier, eingepfercht zwischen imposanten Matronen, die sich unablassig Kiihlung in den Busen facheln, Touristen, Raffael-Schonheiten und Jugend, Jugend und nochmals Jugend, sieht man sich einem Ensemble unangenehmer Todesarten ausgesetzt. die mildesten: Ersticken oder Erdriicktwerden Porta Pia . . . Castro Pretorio . . .

Die Dichter behaupten, das Herz sei das Zentrum aller Emp- findungen, und haben von dieser. fiir geistige Menschen reich- lich ,,organischen“ Hypothese recht schamlos Gebrauch gemacht. Und gewifi: Man nehrne nur einmal alles Organische aus der Lyrik fort, sie wiirde als Kunstform aufhoren, moglich zu sein. Das Herz ist schon, wenn es verborgen ist und nur dunkle und Starke, eben herzhafte Schlage als lebensspendende Erschiitte- rungen durch den Korper sendet. BloBgelegt ist es ein haBlicher Muskelsack, der zuckt und sich windet, wie der Rumpf eines amputierten Tintenfisches. Stazione Termini ist ein blofigelegtes Herz: faszinierende Natur, zugleich prazis funktionierender Me- chanismus, verwirrend, bestiirzend, begeisternd und doch im Tiefsten hafilich. Der Einzelne vertritt das in gewaltiger Ver- grofierung erst sichtbare Blutkorperchen, das dutch die Herz- kammern geschleudert wird. Das tausendleibige Kommen und Gehen deutet nur an, dafi hier keine Bleibe ist, nicht einmal fiir jene. die der Beruf zwingt. hier ihr Leben zu verbringen: Schuhputzer Zeitungsverkaufer. Trodler und Taxischauffeure. Pierre kritzelt Griifie auf eine Postkarte. Zu Hause wird sie bestaunt und hetumgereicht werden: ..Wie lieb er an uns ge- dacht hat." Ja. eine Minute lang und vielleicht nur aus Lange- weile oder weil der Tumult ihm Angst gemacht hatte und er sich besinnen mufite, daB anderswo Halt und Bestandigkeit war. Wenn die Zuhausegebliebenen wiifiten. dafi man sie in der Feme zutrefender „Hinterbliebene“ nennen miiBte — und auch so an sie denkt!

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Ein Lied auf die Pflaster der StraBen Roms ware zu singen. Wie anders uWWW* † dei WWvour zu FiiBen der Santa Maria Maggiore. , wje anders . in. der, . Via Viminale langs dem■ OpcmnaSwBWWWfreRFWHlfonale. Hbren*Wv Pierre! (Natiirlich konnen Sie mich nicht horen): Wenn Sie zu den Ruinenfeldern gehen, warum schwenken Sie nicht beizeiten links ein? Ihr Stadtplan liigt. Im vollen Prunk ist in ihm das Ehrenmal fiir Vittorio Emmanuele IL eingetragen, als handle es sich um ein uberzahliges Weltwunder. Miissen Sie sich das antun? Tatsachlich, wer den patriotischen Exhibitionismus nicht als MaBstab fur Kunst anerkennt, wird nicht umhin konnen, vor dem vielstufigen Marmorhiigel die Augen zu schlieBen. Und daran ist nicht etwa die Sonne schuld, die vormittags heiB uber die weiBen Stufen stiirzt, sondern einzig der mafilose Repra- sentationswille eines Bauherrn, der beharrlich die eigene Stil- losigkeit zum Absurden fiihrt. Wie ehrlich dagegen die Triim- mer des Forum Romanum, die eine sorgfaltige Archaologie ge- ordnet hat, ohne theatralisch zu verfalschen.

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Pierre setzt die Hitze zu. Die schattenlose Via dei Fori Im- perali hat seine Neugier so ermiidet, daB er wenig Lust ver-

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