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Rund um den Brenner

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Aber nicht deshalb neig' ich die Stirne in bangender Trauer, Weil du, mein Vaterland, ganz auf dich selber gestellt. Proben kannst du die eigene Kraft, die Kraft des Gerechten,

Und es sinkt und es steigt ewig die Woge der Zeit---

Und du bist noch mein Wien, noch ragt zum Himmel dein Turm auf. Uralt mächtiges Lied rauscht ihm die Donau hinan.

Und so wirst du bestehn, was auch die Zukunft dir bringe.

Dir und der heimischen Flur, die es umgrünt und umblüht.

Sieh, es dämmert der Abend, doch morgen flammt wieder das Frührot,

Und bei fernem Geläut segnet dich jetzt dein Poet

Ferdinand v. Saar: .Wiener Elegien“ ,

Am Brenner stehen wir, beim Gasthof „Kerschbaumer“, und schauen hinüber auf das fremde, fast feindselige Bild, das das vor dem Krieg 1914' so gemütliche und heimelige BergdÖrflein heute bietet. Kasernen um Kasernen, Baracken um Baracken/ fremde Bauwerke und öde Zinshäuser drängen sieb in wilder Unordnung zwischen den abweisend schroffen und dunklen Bergen durcheinander. Der ganze Anblick wirkt so kalt und protzig und verständnislos für Natur und Landschaft und für die Bergbewohner nicht am letzten. Fast scheu und furchtsam, wie das letzte fast versunkene Erinnern einer guten alten Zeit, die kaum mehr Wirklichkeit zu sein scheint, so duckt sich das alte turmbewehrte Kirchlein zum heiligen Valentin mitten in diesem fremden Wirrwarr und wird fast erdrückt von der grausamen Härte und Nüchternheit der Umgebung. Auch das altehrwürdige Gasthaus zur „Brennerpost“, das einst einen ganz großen Ruf im Wipptal bessesen hat, wo die Gastwirtefamilie der Lehner und der Gürtler ansässig war, auch dieses Gebäude wurde übertüncht von der umgebenden Fremde. Wohl erinnert noch die Goethe-Tafel daran, daß hier einmal Goethe eine Nacht verbracht hat, wohl erinnert manch anderer Schmuck und der Bau selbst an die alte Zeit, aber auch das große Ölbild, das am anschließenden Stadel angebracht war und das Bildnis Andreas Hofers und anderer Freiheitskämpfer darstellte, auch dieses Bildnis ist schon längst irgendwo im Dunkel verschwunden.

Das ist der Brenner von Heute! Mauern und Baracken und Zinshäuser und ein städtischer Bahnhof mit Marmorschmuck und ödem Beiwerk, und daneben erstreckt sich das Gewirr von Drähten und Schienenanlagen nach Nord und Süd. Denn der Brenner erfüllt immer noch die geschichtliche Aufgabe der Verbindung von Ländern und Welten, nicht der Trennung. Denn dort am Brenner, da steht auch ein Grenzstein seit dem Jahre 1918 und dort wurde eine Inschrift ein-gemeisselt, die lautet:

„Die Gewässer trenne ich, die Völker vereinige ich!“ Diese Inschrift aber sollte richtiger lauten, wie es der Geschichte und Aufgabe des Brennerpasses entspricht:

„Die Gewässer trenne ich, das Volk eine ich!“

Diese Gedanken werden uns immer wieder wach und drängen sich immer wieder auf, wenn wir über das Engtal der Klamm bei Lueg brenneraufwärts wandeln oder mit der Eisenbahn hinuntergefahren sind nach Süden oder wenn wir von der Steilkanzel der Vrennerberge, so am Vennspitz, hinunterschauen auf die Brennerfurche, die die Berge wie mit einem Messer aufgerissen hat. Da sieht man von der Höhe aus, wie sich Straße und Eisenbahn durch den engen Bergpaß windet, der wie ein Riesenspielzeug ausschaut. Tief ducken sich die schindelgedeckten

Bauernhauser an die Hänge. Daneben träumen die breiten Gaststätten wie in Erinnerung der alten großen Zeit. Und so viele Gedanken und Erinnerungen werden uns dabei wach:

Was hat doch die alte Brennerstraße alles erlebt! Was könnte sie alles erzählen! Die ganze Weltgeschichte ist hier wie in lebendigen Bildern im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende vorübergewallt. Römische Legionen sind hier durchmarschiert nach Norden und haben das Urvolk der Breonen und Genaunen in blutigen Kämpfen “unterjocht und dann niedergehalten. Dann sind germanische Heerscharen zur Zeit der Völkerwanderung über den Brenner gezogen. Dann folgte die Glanzzeit der römisch-deutschen Kaiser. Mehr als 70 Romzüge haben über den Brenner geführt. Der Brenner wurde zu einem wichtigen Faktor der europäischen Geschichte, ja, unser Tiroler Historiker Prof. Dr. Wopfner spricht sogar von einer „Brennerpolitik“ der deutschen Kaiser im Mittelalter, denen die Sicherheit des Brennerpasses ganz besonders am Herzen lag. Daher allein ist es zu verstehen, daß der deutsche Kaiser Konrad II. im Jahre 1027 die Grafschaften im Inntal und im Eisacktal dem Hochstift Brixen verliehen hat, ähnlich wie zuvor eine solche Verleihung auch an das Stift Trient erfolgt war. Durch die Schaffung dieser einheitlichen geistlichen Fürstentümer war der Grundstein zur späjeren einheitlichen Entwicklung Tirols gelegt worden, im Norden so gut wie im Süden. Aber der Brenner hatte weder im Mittelalter noch in den ältesten Urzeiten eine Grenze gebildet, ja nicht einmal eine Gerichtsgrenze, wie wir später sehen werden.

Mehr als 70 Romzüge haben also über den Brenner geführt, darunter auch die prunkvollsten Romfahrten der deutschen Kaiser am Höhepunkt ihrer Macht. Als einer der glanzvollsten und zugleich auch der letzte dieser Kaiserzüge wird noch in alten Chroniken der Zug Kaiser Karls V. beschrieben, der am 3. Mai 1530 von seiner prunkvollen Krönung im Dom zu Bologna wieder nach Norden zurückgekehrt ist und am sogenannten „Kaiserbild“ in der Nähe von Gries am Brenner mit seinem Bruder Ferdinand zusammengekommen ist. .Noch heute erinnert eine Gedenktafel an diese letzte und vielleicht prunkvollste Fahrt eines deutschen Kaisers über den Brenner!

So hatte sich der Brenner zum Mittelpunkt des Weltverkehrs entwickelt. Man spürt fast das Rauschen der Fittiche des Weltgeschehens an den historischen Stätten des Brennerpasses. Denn groß und gewaltig rauschte und pulsierte hier das Leben. Wie durch eine lebendige Pulsader wogte der Verkehr von Nord nach Süd und von Süd nach Nord. Um eine ungefähre Vorstellung über die Stärke des Brennerverkehres zu bekommen, wird auf ein Statistik vom Jahre 1800 verwiesen, laut welcher jährlich etwa 2000 Lastwagen durchgezogen sind, vom Postverkehr und Personenverkehr abgesehen. Dadurch erzielten Land und Bewohner eine ungefähre Einnahme von einer Million Gulden. Am damaligen Brennerverkehr waren nun die umliegenden Bauern in stärkster Weise beteiligt. Eine Urkunde aus dem Jahre 1337 ermöglicht eine gute Vorstellung über Organisation und Durchführung des sogenannten „Rodwesens“ für das Gericht Steinach. Fast sämtliche größeren Höfe von Lueg bis Steinach waren daran beteiligt...

Und so schauen wir von steiler Höhe hinunter auf die Brennerfurche. Wir verfolgen von einem vorspringenden Punkt am Aufstieg nach Padaun oder am „Walenstein“ die Straße, die sich in eleganter Schleife hinaufwindet bei Lueg bis zum Brennersee, früher Lueger-See oder auch Dornsee genannt. Dieser „Wildsee“, wie ihn das maximilianische Jagdbuch nennt, hatte einst wie auch heute „sonder gut vorhen und rencken“. „Er ist auch ein sonder lustiger See für einen Landsfürsten / dann so er zu Stainach oder in Smirn jagd/. mag er Ime

solhen See vischen und dieselben visch an die end in dreien Stunden albeg bringen lassen!“ Dann wird hinzugefügt, daß er diese Fische sogar in einem Tag bis nach Innsbruck bringen lassen kann.

Der Lueger-See war einstens viel größer, wie man noch deutlich erkennen kann. Hier gab es einen eigenen Seehüter, dann den Seehof, der im Jahre 1305 als „super lacum“, am See, erwähnt wird. Hier am Brennersee aber wurden 1935 beim Straßenbau genau unter der jetzigen Straßendecke Uberreste eines alten Straßenzuges aufgedeckt, die vermutlich noch von der alten Römerstraße stammen. Die mäditigen rillendurchfurchten Steinplatten wurden in gleicher Anlage und Form neben der jetzigen Straße wieder aufgestellt. Mit diesem Funde wurde die alte Streitfrage über den Lauf der Rörnerstraße

in neues Licht gerückt, und zwar wohl

zugunsten der Brennersenke selbst und nicht des Sattelberges. Wohl aber dürfte auch über den Sattelberg ein uralter Straßenzug oder Übergang verlaufen sein. Auf diese Probleme können wir hier nicht näher eingehen.

So hat uns die alte Römerstraße wieder in alte Zeiten zurückgeführt und uns wieder die' Erinnerung an die ältesten Bewohner wachgerufen, von denen vielleicht nur noch einige seltsame Bergnamen Kunde geben, um an das Tal zu Venn zu erinnern — im 13. Jahrhundert findet sich dafür der Name „Agerser“, — oder an die Alm „Martitsch“ im Venntal, an Pflersch und Pfitsch und nicht zuletzt an das alte vorrömische V i p i t e-n u m und endlich noch an die Urbewohner selbst, die Breonen und Genaunen. Der Name Breone wurde nun früher nicht selten in Verbindung mit dem Brenner gebracht. Als Name der Bergbewohner im Brennergebiet findet er sich noch in der berühmten Quartinus-Urkunde von Sterzing aus dem Jahre 827, wo ein Edler Quartinus aus dem Stamme der Pregnarii, angeführt wird. Aber es läßt sich in keiner Weise der Name „Brenner“ mit den alten „Breonen“ in Zusammenhang bringen. Der Name „Breone“ hat sidi vielmehr aus der Tradition vollständig verloren, während der Name Genaun vielleicht in Valgenaun bei Sterzing weiterlebt. Der Name des Brennerpasses selbst hat eine viel einfachere Erklärung, die sich geschichtlich genau ableiten läßt. Bis zum 13. Jahrhundert herauf scheint es überhaupt keinen eigenen Namen für den Bergpaß gegeben zu haben, wohl aber wurde die ganze Paßhöhe von Gossensaß bis Lueg der W i b e t w a 1 d genannt, weil sich über den Paß bis ins 13. Jahrhundert hinauf ein einziger Wald erstreckt hat, ähnlich wie der Matreierwald von Matfei bis Schönberg. Aus diesem Namen kann man daher mit Recht auf das damalige Bild der Brennerlandschaft schließen: Ein dichter Hochwald, von einer Straße durchzogen, mit Sümpfen und Seen, die zum Beispiel noch in der Karte von Peter Anich eingezeichnet sind. Nun läßt sich die Entstehung des Namens Brenner ganz genau verfolgen und die Deutung bietet keine Schwierig-

keiten. Mitten in diesem Wald sind Höfe angelegt worden. Einer dieser Höfe war der Hof zu „Aiterwanch“, ein Name, der auf der südlichen Seite zutrifft und soviel wie „Giftwiese“ bedeutet. Auch das Dorf Heiterwang im Außfern hat namenkundlich die gleiche Bedeutung.

Der andere Hof aber wurde „mitten im Wald“ angelegt und hieß daher der Hof „ze Mittenwald“, als solcher schon um 1280 erwähnt. Mitten in der Wildnis des Hochwaldes hat daher ein Bauer den Wald geschlagen und gerodet und einen Hof gegründet. Solche Neugründungen wurden häufig mit Brand und „Schwenden“ durchgeführt, wie noch aus vielen Ortsnamen hervorgeht. Auch der Brennerwald wurde auf diese Weise niedergebrannt und zu Feld und Acker umgewandelt. Zur bleibenden Erinnerung daran hat sich der Name für alle Zeiten erhalten: „Prenner de Mittenwalde“! Seit 1328 heißt dieser Hof kurzweg der Prenner und die Bauern, die dort in der einsamen Wildnis hausten, trugen den gleichen Namen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts taucht öfters in Urkunden oder in den Zinsbüchern ein „Heinrich der B r e n-n e r“ auf. Allem Anschein nach hat es sich um eine bekannte und wichtige Persönlichkeit gehandelt. Schon 1360 taucht dann der „B r e n n e r h o f“ auf. Aber erst 13 8 8 wurde der ganze Bergpaß mit dem Namen „Brenne r“ bezeichnet. So ist es ein Tiroler Bergbauer gewesen, der mit Axt und Feuer die Wildnis des Brennerpasses gerodet hat und dessen Name noch heute im „Brenner“ weiterlebt.

Aber auch ein anderer Name taucht bald hernach auf, der im Zusammenhang mit dem

dortigen Kirchlein steht: St. Valentin. Die Erwähnung von „St. Valentin auf dem Brenner“ erfolgte zum erstenmal im Jahre 1430, während die Reisebeschreibung von Faber aus dem Jahre 1483 folgendermaßen berichtet: „Vipa ad s. Valentinum in altitu-dine montis Brenner i“, also ein Dörflein bei St. Valentin in der Höhe des Brennerberges“. Schon im Jahre 1495 wird dort eine ständige Kuratie eingesetzt. Um das Jahr 1600 wird der Brenner wie folgt von Burglechner beschrieben: „Zu hechst auf dem B r e n n e r ist ein Würtshaus und dabei ain Kürchen bey St. V a 11 i n“. 1

Es drängt sich noch die letzte große Frage auf, die der Brenner seit 1918 jedem Tiroler mit Gewalt wachruft und die die Geschichte dieses Bergpasses gebieterisch fordert: nämlich die Frage der Grenze. Die Beantwortung ist einfach: Es gab und gibt ruft eine Grenze am Brenner, weder völkisch noch wirtschaftlich noch gerichtlich noch sprachlich!

Der Brennerpaß war nie völkerscheidend, sondern verbindend: Gleiche Kultur, gleiche Art, gleiches Brauchtum und Sitte, gleiche Bauweise, gleiche Sprache, nur etwas klangvoller und weicher im Eisacktal. Es ist überhaupt auffallend, wie selbst hohe Jöcher in den Bergen nicht trennend, sondern verbindend gewirkt haben. So gehörte das Lizum im Wattener Tal nach Navis, Hintertux zum Gericht Steinach, die innersten Höfe von Obernberg sollen nach Pflersch gehört haben. Ähnliche Verhältnisse, historisch und geographisch bedingt, bestanden auch am Brennerpaß. Sinnbildhaft für diese Entwicklung ist der vorrömische Name Wipptal, der auf die Urbewohner dieser Gegend zurückgeht, auf Breonen oder Genaunen, und der vom einstigen Sterzing aus seine Wanderschaft immer weiter nördlich angetreten hat und heute noch in unserem W i p p t a 1, also nördlich des Brenners, gebieterisch und stolz weiterlebt! Dieser Name W i p p t a 1 ist der lebendige und unvergängliche Beweis für die Einheit und Gleichheit beider Täler, die am Brenner ihren .Ausgang nehmen, das Si 111a 1 und das Eisacktall

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