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Rund um Picasso

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GESPRÄCHE HIT PICASSO. Von Brillit. Ans dem Französischen übertragen von Edmund Lutrind, Hit 45 Photo von Brat-sa'i und einem Abbildungsverzeichnis. Rowohlt- Verlag, Beinbeck bei Hamburg. 00 Selten. DH 24.-.

Brassai, dem Photographen, Journalisten, Maler, Bühnenbildner und Kunstkritiker in einem, mangelt es nicht an Genie und Talent, um auf jedem dieser Gebiete aus Eigenem zu bilden und groß zu sein, und er hat es oft genug bewiesen. Dennoch hat er recht getan, seine großen Gaben und seine Zeit in den Dienst der Kunst Picassos zu stellen, die, wie keine andere, für uns Ausdruck unserer Zeit geworden ist. Diese Kunst, ob wir sie nun schätzen oder nicht, hat sich durchgesetzt, und steht damit in einem Zusammenhang mit uns de. wir .licht n ehr zurückweisen können. Vielleicht glaubt der an

Malered wenig interessierte und deshalb nur selten mit ihr konfrontierte Laie auch weiterhin, es handle sich bei dem Spanier und Wahlfranzosen Picasso um einen esoterischen Künstler des l'art pour l'art oder gar um einen geschäftstüchtigen Betrüger. Wenn er nicht ganz blind ist, wird er dennoch feststellen müssen, daß die Bilder dieses Berühmten besser zum Stil der eigenen Wohnung, ja des Lebens passen, als die der Klassiker, deren Sehweise freilich, auf Grund der eigenen Verschlafenheit in Sachen Malerei, man immer noch als zeitgemäß betrachtet. Für einen solchen Laien wird allein der buchstäblich die Welt umspannende Erfolg dieser Kunst ein Grund sein können, von dem, in diesem Buche vorgenommenen ernsthaften Vergleich ihres Schöpfers mit dem größten deutschen Klassiker, Goethe, nicht schockiert zu werden. Nun ist Erfolg noch kein Beweis —, auch Schnulzensänger werden weltbekannt — aber immerhin kann auch ein 60 Jahre dauernder ununterbrochener Aufstieg überzeugen. Es ist hier weder der Ort noch eine Nötigung, für diese Kunst um Verständnis zu werben. Sollte aber ein im Grunde seines Herzens Ablehnender oder Skeptiker aus Snobismus das Buch kaufen, so sei ihm hier geraten, es auch aufmerksam durchzulesen. Aus diesen Gesprächen wird ihm nicht nur das einfache, natürliche Wesen des Menschen Picasso entgegentreten. — Ist einer etwas wirklich, so wirklich, wie Picasso Künstler ist, dann tritt dieses Berufs-Sein zurück und es erscheint wieder der Mensch — es wird ihn auch ein Strom von jener Freiheit anwehen, der ihn die Geburt einer solchen freien Kunst endlich selber begreifen und an sie glauben lassen wird. Frei von Dünkel, von unnützen Bindungen an leergewordene Konventionen mußte ein Genie sein, und frei, vor allem und eben dadurch, zur Entfaltung der im Bereich der Zivilisation bisher fast unbenutzten Kräfte ursprünglicher Erfindungsgabe, um jene Kunst hervorzubringen, die uns heute allein beglücken kann, weil sie in der Wahrheit steht, die wir ertragen müssen und wollen, in der Wahrheit unseres wirklichen, illusionslosen Lebens in der modernen Welt. Wer entschlossen ist, hier nicht mitzutun, der verharre ruhig als „ein trüber Gast auf der dunklen Erde“.

Geburt bleibt verhüllt, auch hier. Man erfährt nicht, wie es gemacht wird. Auch der Künstler weiß es nicht. Und wenn er es einmal, schwarz auf weiß, vor sich sieht — nämlich im Film — dann versteht er es nicht und ist erschüttert, wie Matisse, der über seine Gefühle beim Betrachten der Zeitlupensequenzen der eigenen malenden Hand aussagt! ... noch nie im Leben habe ich soviel Angst ausgestanden, wie beim Anblick meiner armen Hand, die im Schneckentempo auf Abenteuer ausging, als zeichnete ich mit geschlossenen Augen ...“ (S. 162).

Man müßte das ganze Buch hier nacherzählen, Seite für Seite, um die eigene Begeisterung mitzuteilen, die sich an den Nichtigkeiten der Außenseite dieses Künstlerlebens entzündet. Das Verdienst an dieser Wirkung liegt ganz bei Brassai, der den anti-intellektuellen Künstler Picasso so schildert, wie es ihm zukommt: antiintellektuell. Das hindert nicht, daß das Buch streckenweise zu einem Lehrbuch wird, hier eines für Photographie, hier für Anatomie und hier für Kunstbetrachtung. Was Picasso nicht kann, kommt auch zur Sprache, und gerade da wird am besten verständlich, was er kann und daß er es kann: „Jeder hat seine Grenzen, auch Picasso. Er ist der unbestrittene Meister der Form, aber das Formlose ist ihm nicht erreichbar.“

Man muß es diesem „Eckermann“ des großen Malers danken, daß er uns teilnehmen läßt an dem ungezwungenen Leben und Tratschen einer Gesellschaft, die sich während der deutschen Besetzung in Paris zusammenfand und die nicht interessanter gedacht werden kann, weil zu ihr keiner Zutritt finden konnte, der nicht ebenso einfach, natürlich und wahr gewesen, wie der Mann, um den herum sie sich bildete.

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