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Sergio Pitol und Ilma Rakusa liefern Hintergründe zu russischer Literatur.

Seit dem Russland-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse im Oktober vergangenen Jahres ist uns die Literatur dieses weiten Landes ein wenig näher gerückt. Aus den Auslagen der Buchhandlungen blickten uns Moskau-Krimis entgegen, der Skandalautor Vladimir Sorokin zählt nun auch hierzulande nicht mehr zu den ganz Unbekannten, so mancher liest sich kreuz und quer durch die junge Szene, andere sind vielleicht eben dabei, die russischen Klassiker für sich wieder zu entdecken. Wer sich dazu ein bisschen Hintergrundlektüre wünscht, liegt bei Ilma Rakusa und Sergio Pitol richtig.

Beide Bücher, von Nicht-Russen geschrieben, handeln von der Faszination Russland ebenso wie von der Liebe zum Text, dem leidenschaftlichen Lesen. Während Pitols Zugang dazu allerdings ein sehr persönlicher ist, unterzieht Ilma Rakusa die behandelten AutorInnen und Werke der literaturwissenschaftlichen Analyse.

Der mexikanische Diplomat Sergio Pitol reiste während seiner Tätigkeit in Warschau und Prag wiederholt nach Russland, und nennt die Niederschrift seiner Eindrücke folgerichtig auch "Die Reise".

Im Mittelpunkt steht ein Besuch Moskaus und St. Petersburgs im Jahre 1986, jene Aufbruchsstimmung, die den bevorstehenden Zerfall der Sowjetunion ankündigt. Pitols Reise ist aber nicht zuletzt auch eine literarische.

Und eine, die schließlich völlig anders verläuft, als geplant. Anfang 1986, vier Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit in Prag, erhielt der mexikanische Diplomat eine Einlandung des Schriftstellerverbandes von Georgien, dem Land, das auf Grund des "subversiven Tons seines Kinos" zu der Zeit eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Voll freudiger Erwartung stürzt Pitol sich in die Reisevorbereitungen - um schließlich, nicht ganz freiwillig, in Moskau und St. Petersburg zu landen. Georgien ist offensichtlich keine Gegend, in die man ausländische Gäste schicken möchte.

Nach anfänglicher Enttäuschung fügt sich Pitol in sein Schicksal, und lässt sich eben auf Russland ein, wobei er für sich der besonderen Stimmung in den beiden Metropolen nachspürt. Dabei kommt Moskau eindeutig besser weg. Dort rede man freier, kritischer, mutiger; möglicherweise ist es die Anonymität der Metropole, die jener intellektuellen Atmosphäre förderlich ist. St. Petersburg hingegen ist die hübsche Kulisse, vor der keiner zu sagen wagt, was er denkt. Wer weiß, vielleicht ist der ausländische Diplomat ja doch ein Spitzel...

Mittels Literatur tröstet sich Pitol über so manche Enttäuschung hinweg, vor allem Marina Zwetajewa hat es ihm angetan, ebenso als Autorin wie auch als interessante, starke Persönlichkeit.

Marina Zwetajewa wird auch von Ilma Rakusa porträtiert, schließlich gilt sie neben Anna Achmataowa als die bedeutendste russische Dichterin des Jahrhunderts und als solche darf sie in dem Bändchen "Von Ketzern und Klassikern. Streifzüge durch die russische Literatur" natürlich nicht fehlen.

Selbst Schriftstellerin, Übersetzerin und Kritikerin entwirft Ilma Rakusa ein vielseitiges Porträt russischer Literatur, ausgehend von Baratynskij, Tolstoj, Dostojewskij und Puschkin über Anna Achmatowa und Joseph Brodsky bis hin zu Zeitgenossen wie Vladimir Sorokin oder Oleg Jurjew. Und für alle gilt: Russische Literatur entstand kaum je in einer ruhigen Umgebung. Von Puschkin bis Brodsky war es das Los der Schriftsteller, gegen autokratische oder totalitäre Regime anzuschreiben.

Was aber keineswegs heißt, dass damit die russische Literatur einfach über einen Kamm zu scheren wäre: "Künstlerische Autorität, so lautet das Fazit der tragischen russischen Literaturgeschichte, ist beglaubigt durch Widerstand gegen die Herrschenden. In der Sowjetzeit wäre zu ergänzen: durch Verfolgung von Seiten des Regimes. Kein namhafter Schriftsteller, der ungeschoren blieb, kein Werk, das nicht gehärtet wurde durch den rauen Wind der Zeit. Soviel Gemeinsamkeit darf allerdings nicht über die große Stimmenvielfalt hinwegtäuschen: Je bedrohlicher der Epochenhorizont, desto stärker das Bedürfnis nach Selbstbehauptung, nach Rettung der künstlerischen Individualität."

DIE REISE

Ein Besuch Russlands und seiner Literatur. Von Sergio Pitol

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003

155 Seiten, geb., e 23,20

VON KETZERN UND KLASSIKERN

Streifzüge durch die russische Literatur

Von Ilma Rakusa

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003

236 Seiten, kart., e 10,30

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