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Russische Walpurgisnacht

19451960198020002020

DER MEISTER UND MARGARITA, Von Michael Bulgakow. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Hermann-Luchterhand-Verlag, G. m. b. H., Neuwied und Berlin. Oktav, 654 Seiten. S 152.—.

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DER MEISTER UND MARGARITA, Von Michael Bulgakow. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Hermann-Luchterhand-Verlag, G. m. b. H., Neuwied und Berlin. Oktav, 654 Seiten. S 152.—.

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Nachdem er 18 Jahre von der Zensur verboten gewesen war, ist nunmehr (1966 67) auf die Intervention einer Gruppe von Literaten hin, ein Roman freigegeben worden, der jetzt auch (1968) in deutscher Übersetzung vorliegt und der zu dem Eigenartigsten, aber auch zu dem Eindrucksvollsten gehört, was uns seit langer Zeit an russischen Dichterwerken beschert worden ist. Mit den Mitteln hoffmanesker Phantasmagoric und faustischen Walpurgisnachtszaubers wird geschildert, wie eine Gruppe von mysteriösen Gestalten, an deren Spitze ein „großer Magier“ steht, mit allerlei unbegreiflichen Dingen, Hypnosen, Fernwirkungen, Verwandlungen, Massenhalluzinationen, Beseitigung und Vertauschung von Personen und Gegenständen, unbegreiflichen Voraussagen künftiger, und dann pünktlich eintretender Todesfälle und tödlicher Unfälle in Moskau, Verwirrung verbreitet.

Ein Dichter, der den Auftrag hatte, ein antireligiöses Poem zu schreiben, und dem der Redakteur der Zeitschrift vorhält, er habe den Fehler begangen, Christus zwar negativ, aber doch immerhin als einen Menschen zu schildern, den es wirklich gegeben hat, wird als erster durch diese Ereignisse in den Irrsinn getrieben, als er erleben muß, daß die Voraussage des gräßlichen Todes dieses Redakteurs, die der große Magier aussprach, sich vor seinen Augen sofort erfüllt, und anderes Verwirrende geschieht. Diese Voraussage hat der „große Magier“ gemacht, der es lächerlich fand, die Existenz Christi zu bestreiten — und noch lächerlicher, nicht an die Existenz des Teufels zu glauben. Im Irrenhaus trifft der Dichter einen anderen Irren, einen Schriftsteller — er nennt sich nur den „Meister“ —, der an einem Jesusroman schrieb. Nachdem schon ein Kritiker ihn angegriffen hatte, weil er versucht habe, eine Apologie Jesu Christi in die Presse einzuschmuggeln und ein Kämpfer für die alte Ordnung sei — man müsse einen Kampf gegen die „Pila- tuserei“ führen (die Hauptgestalt seines Romans ist nämlich vordergründig nicht Jesus selbst, sondern Pilatus, der an seiner Schuld leidet, aus Feigheit das Urteil über Jesus gefällt zu haben) und solchen „Gottesschmierern“ das Handwerk legen, sagte der Kritiker, da ergriff ihn die Angst. Er versuchte seinen Roman zu verbrennen — in der bescheidenen Wohnung, in der er mit seiner Geliebten zusammen lebte und an seinem Roman schrieb. Aber er wurde verhaftet — und fand sich nach langer Zeit, deren Erinnerung in ihm ausgelöscht ist, im Irrenhaus.

Es folgt eine Art Walpurgisnacht von makabrer Phantastik, an der, so scheint es, Verstorbene und Verdammte teilnehmen. Zum Dank dafür, daß sie die Rolle der Königin des Festes übernommen hat, darf sich Margarita — so heißt die Geliebte des „Meisters“ — vom „großen Magier“ etwas erbitten. Sie bittet nichts für sich, sondern um Gnade für eine Verdammte, deren Schicksal sie auf dem Ball zutiefst erschüttert hatte. „Wir werden aus der Tat eines unpraktischen Menschen keinen Nutzen ziehen“ sagt der Magier, der für ihr Mitleid nur Ironie übrig hat; „bittet etwas für Euch selbst“. Da verlangt sie, daß man ihr ihren Geliebten, den „Meister“, zurückgebe. Sofort erscheint er —, noch halb ein Irrer, gebrochen von dem, was er inzwischen erlebt hat, und auch das Manuskript wird ihm wieder ausgehändigt, obwohl der „große Magier“ findet: „Ein Roman über Pilatus? und das jetzt? Konntet ihr kein anderes Thema finden?“ Eine Stunde später finden sich Margarita und der Meister wieder in ihrer bescheidenen Wohnung, in der er an seinem Roman gearbeitet hatte, und sie liest weiter in der Leidensgeschichte Jesu, von seiner Hinrichtung und von den Qualen des Pilatus, der sich aus Feigheit hat mitschuldig machen lassen am Tode des Gerechten. Aber dem Meister ist nicht die Vollendung seines Werkes verliehen, sondern nur die Ruhe des Todes. Der Heiltrank, der ihn von seinem Jesuswahn hätte heilen sollen, in dem er selbst, ein gebrochener Mensch, auf die Fertigstellung seines Romans verzichtet hat, war in Wirklichkeit ein Todestrank, und auch Margarita, die noch an ihn und sein Werk glaubt, stirbt an diesem Tranke, den ihnen der Bote des Magiers gereicht hat. Hier münden die beiden Handlungen — der Jesusroman des Meisters und die Geschichte des Meisters selbst, ineinander. Auf Erden aber — gewisser maßen als Satyrspiel, nach dem tief symbolischen, bedeutungsschweren und poetisch-majestätischen Schluß der Haupthandlung — setzt die polizeiliche Nachforschung nach der entschwundenen Zauberkünstler- und Hypnotiseurbande ein, die in Moskau und selbst an weit entfernten Orten, wie in Jalta, diese verwirrenden und unbegreiflichen Ereignisse hat verursachen können (wozu auch das völlige Verschwinden des Meisters und seiner Geliebten gehört), und die einzig mögliche Feststellung bleibt, daß es sich hier um eine Bande von Leuten mit einer ganz ungewöhnlichen Kraft der Hypnose gehandelt haben muß, die mit ihrer Suggestivkraft sogar Morde und Brandstiftungen veranlaßt hatte.

Der unglaubliche, verwirrende Reiz des Romans liegt eben darin, daß auf der einen Seite mit grotesker Phantastik, ja zuweilen sogar mit banaler Komik das Hineingreifen der Zauberwelt in den Alltag geschildert wird, wobei doch, in hintergründiger Weise, das Gefühl des sinnlosen Ausgeliefertseins an ungreifbare und unkontrollierbare Mächte als eine sehr reale Grundstimmung all das Geschilderte durchzieht, während auf der anderen Seite dieselben Kräfte des Bösen sich in der, mit unnachahmbaren Plastik und monumentaler Größe geschilderten Leidensgeschichte als wirksam erweisen, so daß es zuweilen scheint, als ob die Gestalten der einen Handlung in den entscheidenden Personen der anderen transparent würden, bis schließlich beide Linien ineinander laufen und in mächtiger Symbolik ausklingen.

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