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Saat der Geschichte

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Am Karfreitag pilgerte in Jerusalem eine Prozession von über tausend Menschen den Kreuzweg nach Golgotha hinaus. Die Sonne strahlte warm vom wolkenlosen Himmel, ein leichter Wind bewegte die Gräser am Wegrand und die Blumen vor den Kreuzwegstationen. An der Spitze der Pilgerschar schritt eine Dame in Schwarz, die großen, ausdrucksvollen Augen zum Kreuz erhoben, das ihre schmalen Hände fest umfaßten, um es der Pilgerschar voranzutragen. Die Dame in Schwarz war die Tochter des Regenten des Königreiches Spanien, Generalisimo de los ejėrcitos de fierra, mar y aire, Franco Bahamonde, die Marquise Maria del Carmen Franco de Villaverde.

In der Pilgerschar gingen der spanische Außenminister, Don Martin A r t a j o, seine Gattin, der Marquis de Villaverde und die Mitglieder der Sondermission, die gegenwärtig die Länder des Nahen Ostens btereist.

Von der letzten Kreuzwegstation hinweg nahmen die Pilger ihren Weg zum Heiligen Grab. Nach der Andacht führten sie Franziskanerpatres zu den Schreinen der behütetsten Reliquien der Christenheit. In der Grotte der heiligen Helena verweilten sie vor den drei Kreuzen des Kalvarienberges. Bewegungslos, Tränen der Ergriffenheit in den Augen, verharrte der Minister Spaniens inmitten der Gruppe lange Zeit in der Grotte, als könnte er sich nicht mehr entschließen, zurückzutreten in das Getriebe der Welt.

So stand es ungefähr in der spanischen Presse vom Karsamstag zu lesen, und wir beneiden den Minister, der sicher in jener Stunde in Demut daran gedacht haben mag, daß mit ihm das Volk, seine Landsleute, 28 Millionen Spanier, gewünscht hätte, wenn nicht überall, so doch dort an seiner Seite zu stehen.

Wenn nun seit Wochen in Staatskanzleien, Gesandtschaften und Pressebüros Politiker und Informatoren den Zweck der Reise Artajos und seine nächsten praktischen Auswirkungen zu enträtseln versuchen, so wagen wir von dieser spanischen Stadt aus, deren Alltagsleben, Geschäfte und Verkehr für einen Tag erstorben sind, weil unter dumpfen Trommelwirbeln und dem rhythmischen Takt der Schritte lange Prozessionen von Büßern durch die Straßen ziehen, die Stationen des Leidensweges des Herrn begleitend, zu behaupten, daß die Vertreter dieses Landes in diesem Augenblick den Zweck ihrer Reise erfüllter und mehr erreicht haben als je in dem Auf und Ab der nationalen und internationalen Ereignisse, da sie, ihnen entrückt, vor dem Heiligen Grab und dem lignum crucis standen.

In den Kommentaren der Weltpresse wird wieder einmal von der „Dritten Kraft“ gesprochen. 1949 verstand man unter ihr noch den von Madrid angestrebten Zusammenschluß der lateinamerikanischen Staaten unter Einschluß Spaniens und Portugals für eine gemeinsame Politik.

Aber die Erfahrungen mit seinen umschmeichelten Tochternationen jenseits des Atlantiks enttäuschten Spanien immer wieder. Zwar verdankt es der entschiedenen Parteinahme einer Reihe von ihnen seine schließliche Rehabilitierung vor dem Forum der Vereinten Nationen, sonst aber ist es wohl auch den spanischen Staatsmännern nie verborgen geblieben, daß eine einheitliche Koordinierung der Politik aller spanischsprechenden Nationen vorläufig ein unerfüllbarer Wunschtraum bleiben muß und schwerlich mehr zu erreichen ist als eine — auch nur ideelle — Zusammenarbeit recht exklusiven, akademischen Charakters.

Die andere „Dritte Kraft“, die sich inzwischen am politischen Horizont abzuzeichnen beginnt und die man, etwas voreilig, schon „Block“ der arabischen Staaten nennt, erwies sich von Anfang an Spanien wohlgesinnt. Das kam in der Abstimmung der UN in der Spanienfrage eindeutig zum Ausdruck und in dem stets angelegentlich wiederholten Wunsch, außer den schon in der Zeit der spanischen Isolierung bestehenden diplomatischen Beziehungen auch einen lebhafteren kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zu pflegen. Weit entfernt davon, als „Mutter von Nationen“ auf seine Nachfolgestaaten in Übersee die Anziehungskraft auszuüben, die auszuüben sich Spanien gewünscht hätte, unterliegt es nun in typisch europäischer Sentimentalität — jener Sentimentalität, die jungen Völkern unbekannt ist — seinen eigenen geschichtlichen Erinnerungen und ist auf dem Wege, sich in das Kraftfeld jener Völker zurückzubegeben, von denen es in der Reconquista mit Feuer und Schwert seine Taufe als geeinte Nation empfing.

Es mag müßig erscheinen, auf die Kon- venienz der arabischen Staaten hinzuweisen, auf europäischem Boden einen mindestens ideellen Bundesgenossen zu besitzen, dessen schlechteste außenpolitische Beziehungen die zu Großbritannien und Frankreich sind, den beiden Mächten, gegen welche heute die arabischen Völker ihre Reconquista auszufechten sich anschicken. Wenn auch die Erfolge dieses mit den Waffen unserer Zeit ausgefoch- tenen Kampfes — Demonstrationen, Ma- nifeste, Streiks, Terror — die Araber vorläufig nodi nicht befriedigen mögen, so muß es sie jedoch mit Stolz und Genugtuung erfüllen, daß ihr einstiger europäischer Außenposten, ihr erster europäischer Feind, Spanien, offenbar gern die Bande wieder knüpfen will, die 1491 Ferdinand und Isabel vor Granada zerschnitten. Jene Bande, mit denen sich all die Jahrhunderte hindurch nur noch die geistige Elite der arabischen Welt mit Spanien verbunden fühlte in jenem Geist, in dem Boabdil, der letzte Maurenkönig von Granada, König Ferdinand die Schlüssel der Stadt übergab: „Dein sind wir, mächtiger und gepriesener König. Nimm, Herr, die Schlüssel dieses Paradieses …

Ja, sie sind „sein geblieben, und Jahrhunderte nach dem Tod der katholischen Könige kommen sie herüber, die vornehmen Scheichs aus Marokko und Tunis, die jungen Studenten aus Ägypten und dem Jordanland, und wandeln wie im Traum durch den Alcazar und seine Gärten, blicken verzaubert auf Almansors Giralda, auf den Borg-al-Dsageb, den Goldenen Turm Cid-Abu-el-Ola’s, studieren versunken die alten, mit goldenen Lettern in die Marmorwände der Alhambra und der Gran Mezquita del Oriente von Cördoba gemeißelten Inschriften. — Cördobal Im 10. Jahrhundert bedeutendstes Kulturzentrum Europas, das Franzosen Italiener und Deutsche anzog. — Cördoba mit seiner Bibliothek, die unter Kalif Alhaquem auf 400.000 Bände an- wuchs; Cördoba und Sevilla, über deren Verlust Abulbeca weinte:

Wo seid ihr, berühmte Könige des Yemen, mit dem Glanz eurer prächtigen Hofstaaten? Wo seid ihr, Sassaniden, die ihr dem Iran so weise Gesetze gabt?

Und so Malaga — „oh Mälaga que- rida! — Auch dich kann mein Herz nie vergessen! sang Abensaid, als er in Ägypten das Almogrib schrieb; so Toledo und im Norden Zaragoza… oh, dulce An dalus!

Spanien, das herbe Spanien, schien den Völkern der Wüste eine einzige grüne Oase, und heute, da ein spanischer Würdenträger, mit Freundesbotschaft gleichsam, zu den Quellen, die spanisches Blut speisten, zurüdckehrt, bricht die alte Sehnsucht wieder auf, werden Erinnerungen wach und dringen tief in das Bewußtsein von ganzen Völkern ein. Symptomatisch d’afür jene tunesischen Studenten, die; .auf die Kunde von dem bevorstehenden ‘kulturellen Austausch zwischen Spanien und den arabischen Staaten zu einem ihnen bekannten spanischen Journalisten in Paris gehen und ihm ihren Wunsch mitteilen, ihre orientalischen Studien in Spanien fortsetzen zu wollen, anstatt in dem ihnen innerlich fremden Frankreich.

Der Zweck der Reise Artajas?

„Spanien wünscht, den arabischen Nationen seine Dankbarkeit für die so unerschrocken bewiesene Freundschaft während der Zeit seiner Isolierung zu beweisen und eine Reihe von Staatsbesuchen wie den des (inzwischen ermordeten) Königs Abdullah und anderer arabischer Staatsmänner zu erwidern. — „Spanien wünscht, seine Vereinsamung zu durchbrechen und eine aktivere Rolle in der internationalen Politik zu spielen. — Das sind einige Stimmen der spanischen Presse. Minister Artajo präzisierte die Dinge in Beirut noch weiter. Indem er sich auf die Stellung seines Landes in dem schwelenden Konflikt zwischen Amerika und Rußland bezog, deutete er den Platz an, den Spanien zwischen den atlantischen Mächten und der arabischen Welt einnehmen könnte: „Ich kann behaupten, daß unsere guten Dienste nicht ungelegen kommen werden. Wir sind bereit, sie mit bestem Willen zu leisten. Und weiterhin: „Alles läßt darauf, schließen, daß im Falle eines Konflikts eine Neutralität, die letzten Endes nur den Kommunismus begünstigen würde, weder opportun noch realistisch ist.

Aber wie wissen auch diese Spanier in morgenländischen Staaten zu verhandeln! Das ist keine Kommission von sich geräuschvoll jovial gebenden öl- und Stahlmagnaten • und Finanzgewaltigen, von verkniffen blinzelnden Generälen und nach Luft- und Flottenbasen Ausschau haltehden Geometern, die es gerade für nötig halten, mit mehr oder weniger ihresgleichen zu verhandeln, ohne sich um anderes zu kümmern. Natürlich, ein Wirtschaftsattache des spanischen Außenministeriums gehört mit zu der reisenden Gesandtschaft und auch ein General, um es genau zu sagen, der Divisionsgeneral Mohamed Ben Mizzian Ben Kessen, ein Marokkaner im Generalsrang in der spanischen Armee. Aber wenn diese Mission auch von Königen, Präsidenten, Ministern, Generalstäblern und Handelsexperten empfangen wird, so vergißt sie es doch nie, demütigst die hohen Würdenträger der verschiedenen mohammedanischen und christlichen Religionsgemeinschaften um die Ehre einer Audienz zu bitten. Sie konferiert mit den Rektoraten der Universitäten, besucht Klöster, Wallfahrtsorte und Heiligtümer von Mohammedanern und Christen und hinterläßt kostbare Geschenke. Während ihres Aufenthalts in Syrien und im Libanon wurden die Spanier vom Patriarchen der Maro- niten in Antiochien, den Patriarchen der syrischen, armenischen und griechisch- katholischen Kirche empfangen; dem Kardinal Tappouni, von der Propaganda Fide, vom Mufti Mohammed al Aya und dem Rat seiner Ulemas. Im Kloster Maron verehrten sie den unversehrten Leichnam des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen heiligmäßigen Mönches Pater Charbel, an dessen von Pilgern mehrerer Konfessionen umlagertem Grab Wunder geschehen; sie besuchten Baalbek, das Heliopolis der Römer, und schließlich erlebten sie als gute Katholiken die heiligen Stätten Jerusalems.

Da werden Fäden geknüpft, die überhaupt nur aufzunehmen eine andere Kommission sich schwerlich die Mühe gäbe.

Spanien, das alte europäische Land, in dem Blutströme der Iberer und Kelten, der Römer, Germanen, der Araber, Berber und selbst Slawen Zusammenflossen, hat mit dieser seiner seit Jahrzehnten ersten diplomatischen Mission ins ferne Ausland begonnen, große internationale Politik zu treiben, an die anzuknüpfen jene Regierungen nicht versäumen sollten, denen das Schicksal der Alten Welt — die sich, wie einst, wieder um das Kulturbecken des Mittelmeers drängt — am Herzen liegt. Auch der katholischen Kirche ist dank dieser Gesandtschaft in Spanien ein Mittler erstanden, dessen Einfluß in der künftigen Gestaltung des Zusammenlebens von Katholiken und Mohammedanern im Orient noch nicht abzumessen, wohl aber zu ahnen ist.

Seit dem Ende der Reconquista ist es überhaupt das erste Mal, daß Spanien eine Gesandtschaft dieser Art in mohammedanische Länder schickt.

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