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Annäherungen an Samuel Beckett.

Im Jahr 1959 traf die junge amerikanische Lyrikerin Anne Atik in Paris zum erste Mal den irischen Dramatiker und Romancier Samuel Beckett. Er war der väterliche Freund ihres späteren Ehemanns, des israelischen Malers Avigdor Arikha. Bis zu seinem Tod 1989 blieb Beckett dem Ehepaar und seinen beiden Töchtern in inniger Freundschaft verbunden.

"Von Anfang an war mir klar - wie wohl jedem, der mit ihm zusammentraf -, dass dieser eigenwillige, unbeirrbare, hochgebildete, leidenschaftliche und zutiefst wahrheitsliebende Mann mit der eindrucksvollen Physiognomie belebt war von einem Atem, den man früher göttliche Eingebung' nannte", schreibt Anne Atik in ihren 2001 auf englisch erschienenen Erinnerungen an "Sam". Keine Biografie - die gibt es schon -, sondern sehr persönliche Einblicke.

Die Dichterin liebte Becketts phänomenales Gedächtnis, aus dem er englische, französische, deutsche Gedichte bis ins hohe Alter abrufen konnte. Ihr Mann, der Maler, ein Vierteljahrhundert jünger als Beckett, bewunderte den kunstverständigen Autor, der ihm von jeder Reise Ausstellungskataloge mitbrachte. Jahrelang glaubte Anne Atik, sie könne die denkwürdigen Gespräche mit Beckett im Gedächtnis aufbewahren. Bis die Eindrücke zu verschwimmen begannen. Der erste Teil ihres Buches "Wie es war" ist denn auch allgemeiner gehalten als der zweite, für den sie auf Aufzeichnungen ab 1970 zurückgreifen konnte. Der Umgang mit "Sam" war nicht immer leicht. Er verführte Avigdor Arikha zu Alkoholexzessen und verharrte ganze Abende in Schweigen: "Dabei war Sams Schweigen nicht feindselig, nicht gegen irgendwen gerichtet, sondern eher ein Versinken in seiner inneren Welt mit ihren Dämonen." Manchmal zeichnete Avigdor Arikha Beckett in seiner Versunkenheit. Das Buch ist reich illustriert und bietet auch Abdrucke von handschriftlichen Briefen Becketts an die Freunde. Becketts Ehefrau Suzanne, die das Englische kaum beherrschte, hielt sich auf Distanz. Viele gemeinsame Interessen banden Beckett an das Ehepaar, vor allem die Liebe zur Musik. Beckett muss auch ein hinreißender Rezitator gewesen sein, der Gedichte lebhaft, fast singend vortrug: "Damit verstieß er gegen seine eigene, immer so nachdrücklich durchgesetzte Mahnung an seine Schauspieler, die Farbe' aus ihren Stimmen herauszuhalten, so flach wie möglich zu sprechen."

Anne Atik berichtet von Becketts glücklicher Kindheit, der starken Bindung an seinen Vater wie überhaupt zur engeren Familie, der elementaren Mitleidensfähigkeit. Jemandem Hilfe zu versagen, war ihm "zu riskant". Oft sprach er mit der Autorin über die Berufung zum Dichter. Daraus einen Beruf zu machen, war ihm widerwärtig. Der unersättliche Leser fand in Anne Atik eine Gleichgesinnte. Sie tauschten Bücher aus und bisweilen konnte die bibelfeste Jüdin dem Protestanten Beckett seine Lieblingstexte, das Buch Hiob und die Psalmen, erläutern.

Die Tagebuch-Aufzeichnungen des zweiten Teils haben naturgemäß einen unmittelbareren Tonfall: "24. August 1983. Kam herein, wacklig auf den Beinen - offensichtlich nicht vom Trinken, sondern schlicht vom Altwerden. Sah so vogelhaft aus." Das Ehepaar besuchte Beckett, der 84 Jahre alt wurde, schließlich oft in seinem Pariser Altersheim, über das er sich nie beklagte: Es entsprach seinem Kargheitsideal. Nach Becketts Tod am 22. 12. 1989 fand Anne Atik auf dem Grab einen gelben Metro-Fahrschein, auf den jemand in kleiner Schrift gekritzelt hatte: "Godot wird kommen."

Dieses Buch rückt den spröden Nobelpreisträger des Jahres 1969, den Endzeitdichter nahe, ohne einen falschen, anbiedernden Ton: Berührend.

Wie es war

Erinnerungen an Samuel Beckett

Von Anne Atik

Aus dem Engl. von Wolfgang Held

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003

176 Seiten, geb., mit zahlr. Abb.,

e 25,60

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