SAID: Seelische Exile

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Eine hoffnungslose Geschichte von Mutter und Sohn.

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Eine hoffnungslose Geschichte von Mutter und Sohn.

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Die Mutter eine Fremde in der Heimat Persien. Der Sohn ein Verbannter im deutschen Exil. Innere Exile, äußere Exile. Spät, mit 43, ist er ihr für kurze Zeit einmal näher begegnet. "raum für annäherung" hat sich trotzdem nicht ergeben. "nein, wir sind keine liebenden geworden. wir hatten nicht das zeug dazu. wir sind nicht einmal mutter und sohn geworden." Zu viele Hohlräume sind zwischen ihnen geblieben. "keine erde. nur luft."

In seinem jüngsten Buch "Landschaften einer fernen Mutter" hat sich SAID, ein in München lebender Autor iranischer Herkunft, seiner persönlichen Lebenspartitur zugewandt, einem subjektiven Stück Geschichte, das für ihn ein herbes geblieben ist. Er ist ohne Mutter aufgewachsen. Vor seiner Geburt ließen sich die Eltern scheiden. Man legte fest, dass er beim Vater bleiben würde. Die Abwesenheit der Mutter schwebt über einer Kindheit, die er als schmal und amorph bezeichnet. In Erinnerung geblieben ist ihm aus einer kurzen Begegnung nur der Geruch stark duftender Feldblumen, ein Geruch "nach kleinen leuten aus der provinz".

Irgendwann, viel später, beginnt ihn seine Mutter zu suchen, den Sohn, der in seine Exile hineingewachsen ist. Toronto wird Ort einer dreiwöchigen Begegnung. Beim Bruder, den er gar nicht persönlich kannte, trifft er sie, erinnert sich im festen Griff ihrer Umarmung an den Geruch von damals. Kichern, Nuscheln, das zurückrutschende Kopftuch, kein Lächeln. Zwischen Teezeremonien und Essritualen beginnt die Mutter zu erzählen. Von ihrem Leben.

Vordergründig lässt sich der Autor auf familiäre Gedächtnisbilder ein, in deren Zentrum die Mutter steht. Subtil eingeflochten in die Herkunftsgeschichte wird die politische Entwicklung des Iran und damit zugleich seine eigene Haltung zur politischen Situation seines Landes. Sie ist eine der Voraussetzungen für die Fremde zwischen den Welten, die einander diametral gegenüberstehen. SAID verspinnt ihre Darstellung geschickt, rührt in der Reflexion an die verkarsteten Defizite seiner mutterlosen Kindheit.

Die Begegnung mit der Mutter spult er auch erzähltechnisch raffiniert wie einen konzentrierten Erinnerungsfilm ab. Ein langsames Herantasten im Auf und Ab diffuser Gefühle der Unsicherheit und Angst vor plötzlicher Nähe, das Einprägen der mütterlichen Hände, Füße, Haare oder Knie, das Übergeben der Bücher des Sohnes an die Mutter, die sie ungelesen im Koffer mit nach Hause nimmt.

Wie lässt sich so Persönliches in Worte fassen? Wie ihm einen adäquaten sprachlichen Raum geben? SAID ist ein viel zu souveräner Autor, um ins Rührselige oder Kitschige abzugleiten. Unsentimental und offen zugleich nähert er sich den Landschaften einer Frau, die für ihn unnahbar bleibt. Aus der Begegnung wird ein irreversibel anmutender Abschied, den er in einem sehr intimen Epilog begründet. Hier schwingt Verbitterung mit, die sich zu einer heftigen Anklage auswächst. In dieser authentischen Mischung aus imaginärer Rede und Reflexion kommt ein wichtiges Lebenskapitel zu einem Ende: "ein abschied von dir und von meinem land. beide habe ich geliebt, auf meine weise. beide wurden mir mit der zeit unzugänglich gemacht." Einmal mehr zeigt sich hier, dass der Abschied vom Verlorenen nur noch Vollzug ist, ein Schlussstrich unter Verletzungen, Enttäuschungen und Schweigen. "du bietest zu wenig fleisch an, reibungsfleisch - für einen sohn."

Beeindruckend ist der sparsame, schnörkellose Erzählduktus, die Reduktion der Emotion auf das Wesentliche, die einen sensiblen Teil eines Ichs und seiner Identität freilegt. Dieses Buch ist ein zutiefst persönliches, ein Buch über fehlende Fragen und Abschiede, über familiäre Bindungen und ein ausgefranstes Gefühl von Heimweh.

Landschaften einer fernen Mutter
Von SAID
Beck Verlag, München 2001, 118 Seiten, brosch., öS 175,-/e 12,71

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