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SALZBURGER FESTSPIELE 1961

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Gemeinsames gibt es zwischen Jedermann und Faust mehr als wir im Augenblick anzunehmen geneigt sind, sofern sich das Übermaß eines umfassend Geistigen mit dem engen Be- vergleichen läßt. VmtejSkt fauDom Salzburg ragt hinter dem kleinen Jedermann die Gestalt des Faust auf. Schon Carl Gustav Carus hat Goethes Werk insgesamt mit den alten gewaltigen Domen unserer Vorfahren verglichen, mit denen es bis auf ihre phantastische Verzierung soviel Verwandtes habe. Und Salzburg gehören sie beide zu, dieser Jedermann ebenso wie auch Faust, den nicht erst Max Reinhardt hierher gebracht hat, der war schon vordem höchstselbst und leibhaftig da, im Bischofskeller zechte er und durch die Luft fuhr er davon.

Hier wie dort sehen wir einen Menschen als Stellvertreter der gesamten Menschheit oder doch eines Teiles von ihr zwischen die Mächte des Himmels und der Hölle gespannt, hier wie dort kreuzen sich in ihm irdische Gewalten, hier wie dort wird ein Menschenleben vor uns hingestellt und peinlich auf seinen letzten Wert befragt, geht der vielleicht Schuldhafte schließlich doch ins Göttliche ein. So besehen möchte man behaupten: Nimmt man Faust das Titanische, den Erkenntnisdrang, das Rastlose, Unselige — was nun freilich für uns zum Inbegriff des Faust wurde —, so bleibt Jedermann. Und dies erweist sich nun wohl auch als ganz allgemein richtig, denn der Mensch ohne den Drang nach Geistigem, das ist — jedermann.

Eben jener Physiognomiker Carl Gustav Carus, der so manches Wesentliche über Dichtung geschrieben hat, erklärt, die Liebe, dieser „höchste Quell inneren Friedens und inneren Glücks“, fehle dem Faust und bedinge sein Elend. Nun, fehlt die Fähigkeit zur Liebe nicht auch dem Jedermann? Und stürzt sich Faust nicht in eben jene sinnlichen Genüsse,

die so reckt das Leben Jedermanns ausmachen? Da Faust die innere Verbindung zum Unnennbaren fehlt, die er äußerlich zu erzwingen hoffte, gerät er, als er die Ohnmacht der Ratio erkennt, in bedenkliche Nähe zu jenem Durchschnittsmenschen Jedermann, der sich als ausschließlich materiell verhaftet, den Genußtrieben ergeben erweist. Eudämonist ist Jedermann sein Leben lang, zum Eudämonisten wird Faust nur geraume Zeit, der eine findet sein selbstisches Glück im sinnlichen Genuß, der andere sucht es in ihm.

Schuldig werden beide, indem sie sich der Welt des Sinnlichen ergeben. Jedermann ist ein ,,Buhler“, ,.Verführer“ und „Ehebrecher“, ein Ungläubiger, ein „Witwen-und-Waisen- Gutsverprasser“, ein „Unterdrücker“, „Neider“, „Hasser“. Faust wird zum Totschläger und zum Verderber eines Geschöpfes, das unserem, des Zuschauers Herzen so nahesteht, wie kaum eine andere Gestalt der Weltliteratur. Beide brechen selbstsüchtig in des Nebenmenschen Recht, werden ihm zum Unheil, beide sehen die Welt als ihre Beute an, deren sie sich selbstherrlich bemächtigen. Und trotz ihrer schweren Verfehlungen, die wir bei Faust in allen Schauern miterleben, bei Jedermann aber szenisch nur angedeutet finden, wird beiden vergeben. Weshalb sie aber Vergebung erlangen, das scheidet die beiden Gestalten ebenso, wie die beiden Dichtungen.

Albert Schweitzer sagt, es gäbe keinen Inbegriff des Seins, sondern nur unendliches Sein in unendlichen Erscheinungen. Und deshalb sei die Hingebung des eigenen Seins an das unendliche Sein nur möglich als Hingebung des eigenen Seins an alle Erscheinungen des Seins, die der Hingabe bedürfen und denen man sich hingeben kann. Nun, das ist der Weg Fausts, als er sich aus der sinnlichen und später ästhetischen Verhaftung löst und in den moralischen Bereich aufrückt. Da aber wird er schuldig nicht mehr aus Selbstsucht, nicht mehr aus persönlichem Glücksverlangen, sondern, im Dienst an seinen Mitmenschen, in einem altruistischen Tun, das wie jedes Tun zwiegesichtig ist, im Heil das Unheil mit einschließt. Damit aber kann er auf Gretchens Bitte hin erlöst werden.

Trotz des Schlusses, der bei Goethe aus katholischen Vorstellungen ersteht, läßt sich feststellen, daß die Entsühnung Fausts, der Weg dazu durch das altruistische Tun, aber doch dem protestantischen Gedankengut noch wesenhafter zugehört als dem katholischen. Auch Albert Schweitzer, auf dessen Ethik wir uns hier beziehen konnten, war bekanntlich protestantischer Geistlicher und Theologe. Dementgegen bedarf es dieses Weges in dem durch und durch katholischen „Jedermann“ nicht. Der Verführer, der Witwen-und-Waisen- Gutsverprasser, der Unterdrücker bereut, und damit treten die vordem schwächlichen Werke „starken Schrittes einher“, und Jedermann geht ein in die Schar der Geretteten. Die Kritik nun freilich ist feilt,''dfie 'iüeint? ėš' sei’ billig, hirifö her" zü bereuen, rechttuns genossen habe. Wer so spricht, verkennt das Wesen der Reue, die nur dann wirkliche Reue ist und „lohende Feuerskraft“ besitzt, wenn „sie von Grund die Seele umschafft“. Wird damit auch die Welt geändert? Zweifellos ungleich mehr als durch die Wandlung der äußeren Verhältnisse, denn stets bestimmt Inneres das Äußere und nicht umgekehrt Äußeres das Innere. Allerdings wird die Wandlung bei Jedermann erst durch den nahenden Tod erreicht. Seine Wandlung wandelt die Welt nicht mehr, und sei es auch nur im kleinsten Bereich.

Eben diese große innere Wandlung aber vermißt Reinhold Schneider, der Katholik, bei Faust; ja er meint, wir vermögen uns die Vollendung des Menschen ohne solch eine Wiedergeburt nicht zu denken. Er würde sie wohl bei Jedermann nicht vermissen. Ja, der ungläubige Jedermann ergibt sich, indem er bereut, dem Glauben. Faust dagegen wird nicht gläubig, obwohl ihn selbst noch der schwache Widerschein seines Kindheitsglaubens in der Osternacht vor dem Selbstmord rettet. Eben dies bemängelt Reinhold Schneider, Faust müßte, so meint er, die Verkündigung „Christ ist erstanden“ nicht nur hören, sondern auch für sich selbst annehmen. Goethe aber läßt Faust nicht durch den Glauben entsühnt werden, sondern durch sein Streben, das den ichhörigen Eudämonismus überwindet. — Das große Spiel um die Reue bedarf nicht der ungleich gewaltigeren Ausmaße des Spiels um die Entsühnung durch die altruistische Tat…

Bei den heurigen Salzburger Festspielen wird sowohl Goethes „Faust" wie Hofmannsthals „Jedermann“ aufgeführt.

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