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Salzburger Hochschulwochen

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Von einer Tagung mit ihren unzähligen Referaten, Namen, Erkenntnissen und Ereignissen in engem Rahmen ein Bild zu geben, will fast unmöglich scheinen, wenn man nicht versucht, sich von dem jeweils „real“ Gegebenen zu lösen und zum inneren Gehalt, zur Grundlinie des Ganzen vorzudringen.

Die erste — naturwissenschaftliche — Woche stand unter dem Dreigestirn: Schubert-Soldern, Wien, Meurers, Bonn, und Kälin, Fribourg. — Schubert-So 1 d e r n berichtet von seiner Auseinandersetzung mit der anderen Seite, dem Materialismus, um dann festzustellen: „Die Antwort auf die .Welträtsel' ist man mir schuldig geblieben!“

Meurers, Astronom der Sternwarte und Naturphilosoph in Bonn. Die Arbeitsgemeinschaft beginnt im Hörsaal 1, endet in der drangvollen Kiemen Aula. Meurers setzt die Aussagen hin, sie sind selbst von der Dynamik der neuen Atomphysik und Astronomie geladen. Sind die Naturwissenschaften auf dem Wege zu Gott? „Das ist das unglücklichste Wort, das je über die Naturwissenschaft gesprochen worden ist.“ Man weiß nur, daß man nichts weiß. Meurers will das Offene der heutigen Horizonte darstellen. Die Natur ist anders als unsere Begriffswelt! Das ist das eine — und das zweite: die Gesetze der klassischen Physik haben keine Gültigkeit mehr. Wer kann sagen was morgen sein wird? Die Naturwissenschaften können nur dort stehen, wo sie eigenen Grund unter den Füßen haben. Das andere überlassen sie der Philosophie oder der Theologie.

Kälin: er packt in seiner Arbeitsgemeinschaft — gleichfalls in der dichtbesetzten Aula — vor seinen kaum mitkommenden Zuhörern mit atemraubender Geschwindigkeit aus: streng wissenschaftlich-mysteriöse Namen und Lichtbilder. Es kann keinen Zweifel mehr geben, daß der Mensch sich aus praehominiden Formen entwickelt hat. Aber ist das ein Argument gegen die Schöpfung? — Und nun erhebt sich doch jenseits dieses Dreigestirns das Bild einer Persönlichkeit. P. Thum OSB, Rom-Salzburg, Naturphilosoph, der in der strengsten Bescheidung und in völligem Hintanstellen der eigenen Person die einzige Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis sieht.

„Es gehört zu den einmaligen Erlebnissen der Salzburger Hochschulwochen, daß sich hier die Physiker mit den Metaphysikern vertragen“, meinte Schubert-Soldern. Aber es stimmt doch nicht ganz. . Gabriel, Wien, zieht in der zweiten Woche gegen die „Wissenschaftler“ ins Feld: gegen jene, die spöttisch alles, was nicht auf „realen“ empirischen Grundlagen beruht, abtun als absurd und unwissenschaftlich. Was ist Empirismus? fragte Gabriel. Er hat selbst jahrelang in einem Laboratorium gearbeitet. Man kann ihm nichts vormachen. Wenn feststeht, daß durch unsere Beobachtung mit Apparaten das Phänomen selbst verändert wird, welche Grundlage bleibt noch für unsere Erfahrung? Gabriel rechnet ab mit dem Empirismus, dem Positivismus, allen — Ismen. Von der Wissenschaft und Technik her können wir nicht zur Wirklichkeit kommen! Wie aber dann? Hier gibt Gabriel die Lösung Heideggers: „Der Mensch muß zum Sein kommen. Das Sein muß sich dem Menschen offenbaren. Der Mensch muß ek-sistieren, stehen im Licht des Seins...“ Und: „Gott ist das Sein!“

P. Wetter, der Jesuit, bisher Leiter des russischen Kollegs in Rom, spricht mit Ruhe, sub specie aeternitatis. Manches klärt sich, was bereits in der ersten Woche gesagt wurde. Keine Verwechslung von Vulgär-Materialismus und dialektischem Materialismus. — Der Geist ist alles, die Lehre, die Theorie... Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Da befiehlt die Partei. Der Geist klagt: „Ich habe gesündigt.“ Wird es gesprochen werden, das Erlösende: Ego te absolvo?

Monsignore Pfliegler: der Name ist Begriff. Bei dem, worüber er jetzt spricht, geht es ihm um ein Herzensanliegen: „Die Pädagogik des christlichen Humanismus!“ (Die Betonung liegt auf jedem Wort!) Zum ersten, der Humanismus: die Träume einer bevorzugten Gesellschaftsschicht verfliegen; selbst die Ilias ist ipller Barbarei. „Die letzten Humanisten starben kopfschüttelnd und mit der Ahnung, daß die Welt nicht mehr auf sie hinhört.“ Pfliegler spricht über die heutige Schule, die nur das Gedächtnis, nicht aber den Menschen bildet und damit inhuman ist. Nur der menschliche Mensch, der wahrhaft christliche“ Mensch, kann die Verantwortung für das respektable, aber furchtbare Wissen übernehmen, das ihm anvertraut ist.“

Dies sind nur Teile, Beispiele aus dem Ganzen der großen Bemühung, Zeit- und Ewigkeitsdenken in Einklang zu bringen. Unendlich viel Wertvolles, das ferner gesagt wurde, kann hier nur angedeutet werden: Ueber die Verantwortung des katholischen Akademikers an fruchtbaren Gedanken, über die Erziehung des einzelnen, damit er nicht in die Masse entgleitet, über das Wesen des Rechtes, über die Krise des Religiösen, über den entleerten Mythos des Säkularismus, über das Wieder-Zusam-menkommen von Medizin und Theologie, über die Psychologie; über die Notwendigkeit gegenüber Situationsethik und Sündenmythos im modernen Roman das Gesetz anzuerkennen I über die mögliche Uebereinstimmung von Religion und Technik; schließlich über die Begegnung der Konfessionen in kulturpolitischer Sicht, die Schulfrage, von evangelisch-ministerieller Seite wohlwollend beleuchtet im Lichte der Toleranz..

Will man für all das ein einheitliches Band finden, so ist es dies: daß alles „Vorhandene“ und

„Zuhandene sich hinordnet zum Sein, zum Urgrund der Dinge, daß man auf die letzte gültige Offenbarung — hinter der Offenbarung des Seins, hinter der Offenbarung eines materialistisch bestimmten „tausendjährigen Reiches“ — wartet. Die Offenbarung aber ist geschehen in der Zeit, und wir müssen versuchen, die Sprache der Zeit zu sprechen. Dann wird die Heilsmacht der Kirche in der Zeit wirksam werden, wenn wir, im ewigen Anfang gründend, immer wieder versuchen, neue Wege zu gehen.

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