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Sammelsorfum

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Im allgemeinen ist der Sammler ein harmloser, friedliebender Mensch. Caligula, der römische Kaiser, von dem behauptet wird, er habe Schnaken gesammelt, macht da wohl die Aus-, nähme der Regel. Unsere Frauen lieben das geschäftige Tun des Sammlers und drücken beide Augen zu, wenn er am Abend seine Briefmarken auf dem Küchentisch ausbreitet und mit Lupe und Pinzette hantiert. Wenigstens stellt er mir sonst nichts an, meint sie. Als ob der Mann sonst immer was anstellen müßte! Sicher ist: Ruhe geben können die wenigsten Männer! Irgend etwas müssen sie tun, und jeder Frau ist es lieber, ihr Mann sammelt Briefmarken, als er schaut in den Kochtopf, kramt in der Speisekammer, nörgelt an ihr herum oder geht in den Kegelklub oder gar in den alkoholverbrämten Sparverein. Als Sammler ist er zumeist schön brav zu Hause, ist bei Bedarf greifbar, etwa für Hans, wenn eine Ohrfeige fällig ist, oder für Lisbeths Schulaufgaben.

Das Sammeln ist eine männliche Eigenschaft. Was er sammelt, wird von den Frauen nicht so ernst genommen. Die Hauptsache: er sammelt. (Ich will hier absehen von den wenigen Fällen, bei denen Sammlerleidenschaft die ganze Familie ins Unglück stürzt. Auch das gibt es. Denn Sammeln kostet nicht nur Zeit.) Gewöhnlich nimmt die Frau die Sammlerei des Mannes nicht ernst. Er aber, hat er sich einmal auf ein bestimmtes Sammlerhobby verlegt, hält hartnäckig daran fest und gibt es nicht auf, bis seine Sammlung vollständig ist. Und da es das nicht gibt, wird ihn das Sammeln sein Leben lang begleiten. Er sammelt Natur: Kakteen, Schmetterlinge, Pilze, Mineralien. Oder er verlegt sich auf Kultur- und Zivilisationsartikel, wie Briefmarken, Münzen, Bücher, Gläser, Uhren, Porzellan, Ansichtskarten, Autogramme, Handschriften, Biertassen, Zigarrenschleifen und Zeitungsköpfe.

Einen kenne ich, der sammelt seit Jahren schon Staub. Richtigen Staub. Nicht den ihm seine Gattin jeden Morgen von der Kommode wischt. Nein, historischen Staub sozusagen. Staub aus Pompeji, aus Hiroshima, von den Zinnsärgen der Habsburger in der Kapuzinergruft in Wien, Staub aus der Umwicklung der mumifizierten Kaiserin Kleopatra und Staub vom Schreibtisch Napoleons.

Ein anderer hat sich auf Terrassen — nieht Teetassen, bitte — spezialisiert. Auch seine Sammlung ist eigenartig. Sie besteht aus ungewöhnlichen An- und Aussichten, die der photographische Apparat festgehalten hat. Die Terrassen von Saint-Cloud mit dem Blick über Paris, die Terrasse auf dem Palatin in Rom mit dem Blick auf das Forum Romanum, die Terrasse des Kapitolplatzes mit dem Reiterstandbild des Mark Aurel sind ebensowenig seine Glanzstücke wie die berühmte Terrasse auf der Gloriette von Schönbrunn oder jene des Oberen Belvedere. Alles da ist viel zu gewöhnlich für unseren Sammler. Er hat es besonders auf Privatterrassen abgesehen, auf Ausblicke, die einer Lollobrigida oder Loren soviel Ruhm einbrachten.

In Edinburgh reitet ein Sammler ein ganz seltenes Steckenpferd. Er sammelt Wasser. Flußwasser. In seiner Junggesellenwohnung hat er ein eigenes Zimmer, das einer Hexenküche mehr ähnlich sieht als einem modernen chrom- und keramikprangenden Laboratorium, für seine Wassersammlung eingerichtet. Reagenzgläser, in Stellagen aufgereiht, etikettiert und verpfropft, wie Mutters Einmachgläser oder die Flaschen des Weinhändlers. Auf jedem Reagenzfläschchen sind Name von Fluß und Datum der Wasserentnahme verzeichnet. Rhein, Spree, Elbe, Donau, Moskwa, Wolga, Mississippi, Nil, Ganges und Jangtsekiang und viele andere Flußnamen. Auf dem Moskwafläschchen steht ein so ehrwürdiges historisches Datum wie „14. September 1812” zum Beispiel, und deine Gedanken sehen den Napoleonischen Soldaten an der Moskwa stehen, während die Stadt bereits in Flammen aufgeht. An deinem inneren Auge ziehen die Zeiten und Völker durch ihre Flüsse vorüber, deren Wasser im Museum des Edinburgher Steckenpferdreiters in winzigen Kostproben aufbewahrt ist. Ein Wunder der Narrheit, gewiß! Aber braucht nicht der Mann solche Oasen in der Wüste der Vernunft und Berechnung, die sein geplagtes Dasein ausmachen? Müßte der Sammler von Natur, der ein Mann nun einmal ist, nicht verdursten? Welcher Mann war nicht ein Knabe? Itj wessen Knaben Hosentaschen versteckten sich nicht die Beutestücke seines Jungendaseins? Nägel, Bierflaschengummi, Schnüre und Papiere?

Auch ich habe ein Sammlerhobby. Warum soll ich nicht von meiner Haarsammlung erzählen, auch wenn sie in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurde? Angefangen hat es mit einem goldgerahmten Bild. Auf dem von Zeit und Staub gebleichten Leinwandgrund stand fein säuberlich der Spruch eingestickt: „Ein großes Glück und ein tiefer Schmerz zerbrechen bald ein Menschenherz.” Die Stickerei bestand aus Haaren, Aus Menschenhaar. Meine Mutter belehrte den Knirps, es seien Großmutters Haare. Ach, waren die aber schön! Ihre Großbuchstaben prangten in reinem Blond: dabei kannte ich meine Großmutter nie, so früh hat sie das Zeitliche gesegnet. Hat ein großes Glück oder ein tiefer Schmerz ihr Herz gebrochen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls, ihre Haare blieben unversehrt und sind heute noch von wunderbarer Frische wie am Tag des Schnittes. Sollte dieses Geheimnis nicht die Phantasie des Knaben angeregt haben?

So kam ich eines Tages auf den Gedanken, eine Haarsammlung anzulegen. Zunächst schnitt ich mir eine eigene strohblonde Strähne ab, legte sie in einen Briefumschlag und den Großen Brockhaus als Presse darauf. Auf den Briefumschlag schrieb ich dann mit der steilen Schrift des Schülers meinen Namen und das Datum des Schnittes. Der nächste Fang war die Locke meiner älteren Schwester und das Haar- biischl meines kleineren Bruders. Beide beraubte ich während des Schlafes. Auch meine Eltern ging ich an und auch meine Verwandten, die Tanten und Onkels, die Nichten und Vettern. Nur vor meinem Klassenvorstand schreckte ich zurück. Alle ließen Haare und mußten sie lassen, nur er nicht!

Als ich mein erstes Liebesgedicht schreiben mußte, blieb die Haarsammlung stecken. Denn meine Angebetete ließ kein Haar und hacte doch so schöne braune Zöpfe! Auch als ich ihr scheuen Blicks mein Gedicht überreichte und dabei meinen sehnlichsten Sammlerwunsch vorbrachte, fielen Wunsch und Hoffnung ins Wasser. Sie dachte nicht daran, sich von mir rupfen zu lassen.

Leichter hätte ich ein Haar in ihrer Suppe finden mögen als aus ihrem Zopf. Nein, meine Angebetete hatte nur ein schallendes Gelächter für meine Sehnsucht übrig. „Du Dummerl!11 hatte sie gesagt. Es waren später dann noch mehrere Klippen weiblicher Verführungskunst zu bestehen, wie das eben so geht. Nicht jedesmal gelang es mir, eine Locke meiner Angebeteten zu entlocken. Aber von einer weiß ich ganz genau, daß sie meinen Wunsch begeistert aufnahm. Es war ein schwarzes Haar, ein zigeunerhaftes Haar, das sie als Schnecken auf den Ohren trug. Noch heute verwahre ich einen Strang davon in einem Briefumschlag und darauf Steht nur der Vorname iJlse”. Ist es nicht sonderbar, zu denken, daß das Mädchen Von damals längst weiße Haaie hat, während ihre Jugend sozusagen im Briefumschlag bei mir verwahrt liegt?

Einer meiner Onkels sammelt Uhren. Eine kostspielige Sache. Er ist ihretwegen zu nichts gekommen und wohnt recht ärmlich mit seiner Frau in einem alten Wiener Zinshaus. Als ich ihn kürzlich wieder einmal besuchte, fand ich den Dilettantenuhrmacher gerade dabei, eine im Dorotheum erstandene Barockuhr in Gang zu setzen. Die hohen Wände seiner beiden Zimmer hängen voller Uhren. Da tickt es, schlägt es, rasselt es, daß du beim Stundenschlag dein eigenes Wort nicht mehr verstehst!

Mein Onkel hat so ziemlich alle Uhren, die einmal im Handel waren und eine Mechanik besitzen. Sonnen-, Wasser-, Sand- und Lichtuhren sind bei ihm nicht gefragt. Sonntags spaziert er ins Wiener Uhrenmuseum und steht vor den kostbaren Uhren, eine Träne im Auge. Er ist ein Held des Verzichtes, daß er sich und seine gute Erziehung noch nicht vergessen hat! Längst schon hätte er gerne eine Uhr geklaut, Sammlerleidenschaft kennt keine Hemmungen.

Mein Onkel ist ein Fanatiker der Zeit. Geht ein Chronometer um ein paar Sekunden vor oder nach, so ist er todunglücklich. So lange ist er unglücklich, bis die Kranke oft nach komplizierten Eingriffen und langwierigen Beobachtungen wieder gesundet ist und mit den anderen Uhren genau geht. Jede Uhr ist, wie es sich gehört, beschriftet: Fundstelle, früherer Besitzer, Jahreszahl der Herstellung. Bei einer Uhr ist eine ganze Gespenstergeschichte vermerkt: „Sie blieb stehen, als ihr Herr im Gebirge von einer Lawine erfaßt worden war und umgekommen ist.” Genau zur selben Stunde blieb sie stehen. Mein Onkel konnte es nicht lassen, seine philosophischen Gedanken dazuzuschreiben: „Nie stille steht die Zeit, der Augenblick entschwebt, und den du nicht benützt, den hast du nicht gelebt. — Kein Ding auf Erden steht der menschlichen Seele näher als die Uhr. Auch diese Uhr blieb stehen, als die Lebensuhr ihres Herrn abgelaufen war.”

So ist das mit meinem Onkel und seiner Uhrensammlung. Einmal wird auch seine Uhr wie die meine abgelaufen sein und unsere Sammlerleidenschaften werden, zusammen mit unseren Werken, in die ewigen Scheunen eingefahren. Ob die Sammler, die fleißigen und spielenden Männer, dabei so schlecht fahren? Ich kann es nicht glauben.

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