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„San ja alles kane Verbrecher ..."

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Das Gebäude am Hernalser Gürtel wirkt trotz des neuen Anstrichs farblos. Freiwillig betreten es nur die wenigsten. Denn hinter der grauen Gründerzeit-Fassade verbirgt sich das größte Schubhaft-Gefängnis von Wien. Drinnen führt der Weg vorbei an den ehemaligen Räumen des Bezirksgerichts zum Pförtner. „Grabner von amnesty international", sagt Sabine in die Sprechanlage. Schlüsselklirren. Dann herrscht wieder Stille auf den langen Gängen.

Im Gefängnisbereich ist an Schildern neben den versperrten Türen die Zahl der Christen, Moslems und Hungerstreikenden vermerkt. Nur eine Zelle pro Stockwerk steht offen: ein Privileg der „Putzmannschaft" aus Häftlingen, denen diese Illusion von Freiheit und ein zusätzlicher Kaffee mit Zucker ein wenig den Alltag versüßen.

Sonst sehen ihre Zellen aus, wie die anderen auch: Vier Stockbetten, ein Tisch, zwei Bänke, gelegentlich Nacktfotos an den schmuddeligen Wänden. In Nummer 209 ein Bild von Mutter Teresa. Neben den Mahlzeiten, der Dusche und einer Stunde Hofspaziergang pro Tag gibt es hier kaum etwas zu tun. Viele versuchen, die Zeit möglichst zu verschlafen.

Das kleine Aquarium, einziger Aufputz im karg eingerichteten Beamtenzimmer, wirkt fast rührend. „Buhig is bei uns", sagt Johannes Ferstl, der heute als einer von zwei Stockbeamten Dienst hat. „Aber des is ja ka Wunder, san ja alles kane Ver-brecha." Die Beamten arbeiten im „Fünfer-Radl": Vier Tagdienste, ein Nachtdienst, zweieinhalb Tage frei -theoretisch: „Bei dem Personalnotstand, den wir habn, muß ma nach der Nacht oft dableibn, ob ma jetzt wü, oder net." Vor allem ein freier Silvester „war a Gschicht".

Unten, im Büro, sagt Sabine, wen sie besuchen möchte. Den Namen hat sie von amnesty international. Die Geschichte zu den Namen erfährt sie oft erst hier.

Er sei Algerier und nach der Ermordung seiner Mutter durch die Fundamentalisten aus seiner Heimat geflohen, ist in dem - von der Behörde abgelehnten - Asylantrag von Alain zu lesen. Ob das stimmt, weiß auch Sabine nicht genau. „Bei der Beurteilung von Asylanträgen kommt es immer auf die Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und seiner Fluchtgeschichte an. Denn der einzige endgültige Beweis, daß sich jemand in seinem Land in Lebensgefahr befindet, ist ja, daß er getötet wird", erklärt sie das Dilemma, vor dem auch die -oft überarbeiteten - Beamten des Bundesasylamtes stehen. Gerade deshalb kämpfen Sabine und Vertreter verschiedenster Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) für eine genaue Prüfung jedes Falles.

Glaubwürdigkeit

In Alains Bescheid heißt es unter anderem: „Aufgrund Ihrer mangelnden und unrichtigen Angaben zu Ihrem angeblichen Heimatland Ruanda konnten Sie nicht glaubhaft machen, algerischer Staatsbürger zu sein." Fehlerhafte Bescheide wie dieser seien nicht die Begel, die Ausnahme aber auch nicht, erklärt Sabine.

Lesen kann Alain die Begründung für die Ablehnung seines Äsylantra-ges ohnehin nicht. Sie ist in deutsch abgefaßt. Nur Spruch und Rechtsmittelbelehrung werden in die jeweilige Fremdsprache übersetzt. Für Alain schreibt die Jus-Studentin eine Berufung. Ob das hilft, weiß sie nicht. Wie lange er noch im Gefängnis bleiben muß, kann ihm auch keiner sagen.

Nach Sabine Grabners Besuch muß Alain zurück in die Zelle. Um 11.30 Uhr gibt es Mittagessen. Manche Häftlinge lehnen es ab. Und das täglich. Denn rund 50 der insgesamt 217 Schubhäftlinge in Hernais befinden sich an diesem Herbsttag in Hungerstreik, schätzt Hauptmann Josef Zins-berger, der Leiter der beiden Wiener Polizeigefangenenhäuser. Sind die Häftlinge leicht genug, müssen sie als „haftunfähig" entlassen werden. Mit dieser „Methode" riskieren die Häftlinge schwere gesundheitliche Probleme bis hin zu lebensgefährlichen Magen-Darm-Erkrankungen. „Diese Gerippe haben sie bisher ohne einen Schilling auf die Straße gestellt, manchmal Sonntag vormittag", empört sich Sabine Grabner.

Mit der Neuregelung der Schubhaftbetreuung (siehe unten) wird sich das bald ändern. Für Alain kommt Hungerstreik nicht in Frage: „Wenn du draußen dann zunimmst, lochen sie dich ohnehin wieder ein."

Nach dem Mittagessen darf er mit den anderen vom Stockwerk eine Stunde lang in den Hof. Wären da nicht die Gitter und die mit Stacheldraht umwickelte Dachrinne, man könnte dort glauben, man sei im Basar: In allen Stockwerken kleben Schubhäftlinge an vergitterten Fenstern, verständigen sich schreiend mit den Kameraden unten. Im allgemeinen Spra-chenwirrwarr ist kaum das eigene Wort zu hören. Der Gefängnishof ist für viele die einzige Kommunikationsmöglichkeit. Nach dieser kurzen Zeit im Freien kehrt wieder der graue Alltag ein. Bis auf das Abendessen wird heute nicht mehr viel passieren.

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