6657989-1959_40_09.jpg
Digital In Arbeit

Sankt Frans predigt vor Sankt Karl

19451960198020002020

Eine moderne Legende, erzählt von WILLY LORENZ

19451960198020002020

Eine moderne Legende, erzählt von WILLY LORENZ

Werbung
Werbung
Werbung

Als dieses Jahr der 4. Oktober, der Namenstag des heiligen Franz von Assisi nahte, ließ der liebe Gott den Heiligen zu sich an Seinen himmlischen Thron rufen und forderte ihn auf, aus Anlaß seines Namensfestes einen Wunsch zu äußern, welcher ihm sofort erfüllt werden sollte. Der Heilige überlegte nicht lange, sondern erbat sich, an seinem Festtag auf eine kurze Weile auf die Erde zurückkehren zu dürfen. Und zwar erbat er sich die Gnade, diese kurze Weile seines neuen Erdenwandels in Wien zu verbringen. Er wolle dort vor der Kirche von Sankt Karl zu den Hundebesitzern von Wien predigen. Denn er, der Heilige, hatte vernommen, daß dort alljährlich am Sonntag nach seinem Namensferi eine Andacht zu seinen Ehren stattfinde und alle Tierfreunde mit ihren Lieblingen erschienen. Der liebe Gott willfahrte der Bitte des Heiligen und erlaubte ihm auch, die nötigen Vorbereitungen für seinen kommenden kurzen Erdenaufenthalt zu treffen. So setzte sich denn der Heilige flugs mit den Veranstaltern dieser Festlichkeit in Verbindung und tat ihnen seine Absicht kund. Ihre große Freude wurde nur etwas dadurch gemindert, daß der Heilige ihnen verbot, irgend jemandem auch nur ein Wort zu sagen, daß er dieses Jähr die Ändäcfifvof1 der 'Kätfekirclie persönlich halten wolle. Sie dürften bei den An- künflitfüngen nuf bruder predigen werde. Ferner bat er sie, diesmal nur die Hundebesitzer zur Feier zuzulassen, da er speziell zu diesen sprechen wolle. Die Veranstalter fragten nicht lange nach den Gründen, warum der Heilige so zu verfahren wünsche, sondern ließen sofort die nötigen Plakate drucken, auf welchen zu lesen stand, daß der Karlsplatz zu dieser Feier nur in Begleitung eines Hundes betreten werden dürfe. Damit aber die Besitzer der anderen Tiere sich nicht benachteiligt fühlten, versprach der Heilige — falls Gott es ihm erlauben sollte — das nächste Jahr wiederzukommen und dann nur für diese zu predigen.

So kam denn der Sonntag, der dem Namensfeste des Heiligen von Assisi folgte, heran, und schon lange vor Beginn der Festlichkeit war der Platz vor der schönen Karlskirche mit Tausenden und aber Tausenden von Hunden und. deren Begleitern angefüllt. Pünktlich zu Beginn der Andacht erschien der Heilige. Aber nur die eigentlichen Veranstalter wußten, wer der kleine hagere Mann mit dem kurzen Bärtchen war, der unter ihnen weilte. Die Hände mit den Stigmata hielt der Poverello wohlweislich in den Aermeln seiner schäbigen Kutte verborgen. So erkannte ihn keiner der Tausenden von Anwesenden. Dafür aber erkannten ihn sofort die vielen Hunde. Als er vor dem Mikrophon auftauchte, spitzten alle Hunde plötzlich die Ohren, und binnen kurzem war der ganze Platz erfüllt von dem Freudengeheul der Vierbeiner, die damit ihren großen Freund begrüßten. Auf ein kleines Lächeln des Heiligen hin, der sich sichtlich über diese Begrüßung freute, waren die Hunde alle sofort still und setzten sich gehorsam nieder. Und dann begann der He'lige seine Predigt.

„Meine lieben Freunde“, hub der Heilige an. Er sprach in seiner provenfalischen Muttersprache, aber Gott in Seiner Güte bewirkte, daß seine Worte auf dem kurzen Weg vom Munde zum Mikrophon sich in unverfälschtes Wienerisch verwandelten und so alle Anwesenden nicht nur den Poverello verstehen mußten, sondern noch weniger auf den Gedanken kommen konnten, wer eigentlich zu ihnen sprach. „Meine lieben Freunde! Wenn euch jemand fragen würde, warum Gott die Hunde erschaffen hat, so würde gewiß jeder von euch sofort als Antwort darauf sagen daß sie erschaffen wurden, um euch Freude und Trost zu schenken. Und damit habt ihr die Wahrheit gesagt. Wieviel Freude verdankt ihr doch euren vierbeinigen Freunden! Was für ein Geschenk ist doch ihre Treue! Wenn ihr abends todmüde von euren Berufen nach Hause kommt, so wißt ihr doch, daß hinter der Tür euer Hund harrt, der auf nichts anderes den ganzen Tag wartete als auf eure Heimkehr. Wie glücklich sind eure Freunde dann, wenn ihr bei ihnen seid. Wie zeigen sie euch, daß ihr Leben sinnlos ist, wenn ihr nicht bei ihnen weilt. Wie zeigen sie euch doch, daß sie nur glücklich sind, wenn sie um euch sein dürfen, wenn ihr euch mit ihnen beschäftigt, wenn sie euch dienen dürfen. Wenn ihr dagegen einmal aus irgendwelchen Gründen mißmutig seid und sie eure Launenhaftigkeit spüren laßt, so nehmen sie dies euch doch gar nicht übel, sondern sind treu und lieb zu euch wie eh und je. Wie unerträglich wären oft eure Einsamkeiten, wenn nicht diese lieben guten Freunde bei euch wären und euch helfen würden, eure Last zu tragen. Wie sind sie wiederum dankbar für alle Sorgfalt, die ihr ihnen widmet, für die freie Zeit, die ihr ihnen schenkt, für die Opfer, die ihr ihnen bringt.

Aber, meine lieben Freunde! Diese lieben guten Hunde sind euch von Gott nicht nur geschenkt als Freude und als Trost, sondern auch als ein Zeichen der Beschämung. Denn wenn ihr das Gehaben eurer Hunde anseht und euer eigenes, so müssen wahrlich viele Von euch beschämt sein. Eure vierbeinigen Freunde wissen es und zeigen es, daß ihr Leben leer und inhaltlos ist, wenn nicht ihr, ihre Herren und Meister, bei ihnen seid. Wie um so mehr, meine lieben Freunde, müßtet doch ihr wissen, daß euer Leben völlig sinnlos und leer ist, wenn ihr fern von eurem Herrn und einzigem Meister seid. Wie oft aber vergeßt ihr, daß doch Gott der Mittelpunkt eures Lebens sein sollte. Und wenn schon eure vierbeinigen Freunde so glücklich sind, weil sie euch dienen und helfen dürfen, um wieviel mehr müßtet ihr doch glücklich sein und euch bemühen Gott zu dienen und Seine Helfer zu sein. Nehmt euch auch ein Beispiel an euren Hunden, wie sie sich verhalten, wenn ihr mißmutig zu ihnen seid. Denn sie vergelten dies euch nie. Wenn aber Gott in Seiner Weisheit euch einmal eine Prüfung schickt, so seid ihr gleich zornig gegen Ihn, ihr werdet irre an Ihm. ihr murrt auf gegen Seine Fügungen. Und weiter: wieviel Stunden eurer freien Zeit seid ihr immer bereit, euren vierbeinigen Freunden zu opfern, wieviel Sorgfalt seid ihr bereit, für sie aufzuwenden? Wieviel mehr Stunden eurer Freizeit müßtet ihr doch bereitsein, Gott zu opfern, der für euch alles getan hat; um wieviel mehr Sorgfalt müßtet ihr doch eurem Beisammensein mit Gott angedeihen lassen. Wenn ihr in euer Leben blickt, wie sieht es da wirklich aus? Nie habt ihr Zeit für Gott, fast nie seid ihr bereit, ein Opfer für Ihn zu bringen, kaum seid ihr jemals bereit, Ihm zu dienen, Seine Einsamkeiten zu lindern, Ihn in Seinen Schmerzen zu trösten, Seine Lasten mittragen zu helfen. Wahrlich, wenn ihr das Betragen eurer Hunde zu euch und euer Betragen zu Gott vergleicht, dann beschämen euch eure vierbeinigen Freunde ganz gewaltig.

Geht deshalb in euch, meine lieben Freunde. Wenn schon eure Hunde zu euch, ihren irdischen Wohltätern, so treu, so gut, so dienstbereit sind, wie um so mehr müßtet doch ihr zu eurem himmlischen Vater, zu eurem himmlischen Wohltäter treu und gut und zu jedem Dienst bereit sein. Wenn die Liebe eurer vierbeinigen Freunde zu euch, den irdischen Herren, schon so groß und niemals wankend ist, wie um so größer müßte doch eure Liebe zu eurem himmlischen Herrn sein, eine Liebe, die niemals wankend werden dürfte, sondern immer nur brennender und tiefer.

Geht in euch, meine Freunde. Lernt von euren Hunden. Merkt das Zeichen, das sie für euch sind. Merkt auf das Beispiel, das sie euch geben. Laßt euch durch sie nicht beschämen, sondern seid großherzig wie sie.

Und ihr, meine lieben, vierbeinigen Freunde" — mit diesen Worten wandte sich der Heilige an die versammelten Hunde —, „habt Dank für eure Treue und liebe, die ihr euren Besitzern ständig schenkt. Dient weiterhin so treu und so selbstlos und seid weiterhin eine Freude und ein Trost, allen jenen, denen ihr zu eigen seid. Amen.“

Und damit beendete der Heilige von Assisi seine Wiener Predigt. Als er zu den Hunden angefangen hatte, zu sprechen, begannen fast alle anwesenden Männer und Frauen vor Rührung zu schluchzen. Aber der Heilige wußte schon, daß den Wienern und gar erst den Wienerinnen die Tränen sehr locker sitzen und sie bereit sind, ihnen bei jeder Gelegenheit freien Lauf zu lassen. Er war deshalb davon gar nicht beeindruckt. Eine große Freude dagegen bereitete ihm der dankbare Blick, der ihm 'aus allen Hundeaugen entgegenstrahlte. Die größte Freude aber bereitete ihm die Erkenntnis, daß bei einigen wenigen von den tausenden Zuhörern seine Worte doch auf fruchtbaren Boden gefallen waren und sie beschlossen hatten, ihr Leben zu ändern. Und mit dieser freudigen Erkenntnis kehrte der Heilige wieder in den Himmel zurück.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung