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Saragat

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Mailand, im November Giuseppe Saragat ist der lebendige Beweis dafür, daß die Wege zur Popularität so mannigfaltig sind wie die Straßen nach Rom urrd die offenkundige Widerlegung der Behauptung, die Masse bete den Erfolg an oder werde durch eine dämonische Rednergabe magisch angezogen. Denn beides ist Saragt versagt geblieben: seine Reden mögen den Theoretikern des Sozialismus ein intellektuelles Vergnügen bereiten, die Masse aber vermag mit seinen abstrakten Formulierungen ideologischer Prinzipien nichts anzufangen, und seine im Sommer 1946 gegründete „Sozialistische Partei der Arbeiter Italiens“ hat keine der in sie gesetzten Hoffnungen zu erfüllen vermocht. Dennoch gibt es in Italien kaum einen Politiker, dessen Namen allein schon sosehr die Säle mit Freunden und Feinden zu füllen vermag, auf dessen Äußerungen die Journalisten in den Wandelgängen von Montecitorio so gierig lauschen, um sie sofort in die Schlagzeilen zu setzen. Man kennt ihn überall, spricht von ihm und ist überzeugt, daß er im politischen Leben des Landes noch einmal eine erste Rolle spielen wird. Noch haben er und die anderen, die ihn in der jetzigen Lage des von heftigen Unruhen durchtobten Landes gut brauchen könnten, für ihn noch nicht den rechten Platz und die richtige Form gefunden. Im Ausland hat er Anerkennung gefunden, indem ihn Amerika zu einer Vortragsreise einlud und der Osten durch die „Kominform“ unter die „Verräter des Sozialismus“, wie Bevin, Attlee, Blum, Ramadier, Renner und Sdiuh-macher, einreihte.

Der italienische Kommunistenführer To-gliatti hat Saragat einmal in einem Anfall übler Laune als „Helden Metastasios“ bezeichnet und sicher nicht, um ihm zu schmeicheln. Gleicht Saragat wirklich den Geschöpfen des liebenswürdigen Salonpoeten, die, in ihrer Liebe verraten, zum Himmel emporzürnen und in ihren abstrakten und stilisierten Gefühlen dem Empfinden des Volkes so sternenweit fernstehen? Oder wollte er einfach auf die Beliebtheit anspielen, deren sich Saragat vor dem Referendum über das Schidssal der Monarchie in den römischen Salons erfreute? Man erzählt allerdings, daß Königin Maria Jose damals für ihn stimmte und mit ihr viele Damen der vornehmen Gesellschaft; aber wen sollten sie wählen, um frei von Standesdünkel zu erscheinen, wenn nicht einen Mann, der fortschrittlicher Sozialist ist und doch nicht das Aussehen eines Königsmörders hat? Der hochgewachsene, stets elegante Saragat mit seinen gepflegten Umgangsformen flößte ihnen mehr Vertrauen ein als der auf sein Äußeres notorisch wenig Wert legende Nenni. Salonsozialist aber ist Saragat nicht. Der einer sardinischen Advokatenfamilie, die nach Turin übersiedelte, wo Vater Saragat Verfasser vielgelesener Gerichtssaalnotizen wurde. 1923 trat der junge Saragat als Protest gegen die beginnende faschistische Unterdrückung der sozialistischen Partei bei, als deren Wunderkind er alsbald galt. Auf dem sozialistischen Kongreß in Rom 1925 hielt er eine Rede, die Aufsehen erregte, mit Treves und Carlo Rosselli wurde er in das Exekutivkomitee der Partei gewählt.

1926 mußte Saragat Italien verlassen, und hier beginnt ein Lebensabschnitt, der Saragat irf besonderer Weise mit Österreich verbindet und für seine politische Entwicklung von Bedeutung wurde. Er wandte sich nach Wien, wo er mit den Exponenten des österreichischen Sozialismus, mit Otto Bauer, Julius Deutsch, Viktor Adler und Karl Seitz in Verbindung, trat. Der im Gespräch so kühl, nüchtern, distanziert, fast brüsk wirkende Mann erwärmt sich unwillkürlich, wenn er von seinen Wiener Tagen erzählt, und er tut dies gern. Er vergißt dabei nie, hervorzuheben, daß er sich als Schüler des österreichischen Sozialismus betrachte, dessen Anschaungen er bedeutend näher stünde als der französischen Richtung. Saragat ging nämlich anschließend nach Paris, wo er mit Pacciardi und Cianca das Blatt der antifaschistischen Konzentration „La Libertä“ herausgab. Unter der Drohung der deutschen Panzerspitzen verließ er 1940 Paris und lebte bis 1943 in dem Provinzstädtchen Fresny-sur-Sarthe. Er kehrte dann nach Italien zurück, nahm seinen Platz unter den Sozialisten wieder ein, wurde von den Deutschen verhaftet, entwich nach mehrmonatigem Gefängnis auf enthalt und wurde nach der Erhebung Italiens Minister ohne Portefeuille im ersten Kabinett Bonomi und anschließend Botschafter in Paris.

Es fiel ihm dort die Aufgabe zu, das Prestige des besiegten Vaterlandes bei der lateinischen Schwester, die Mussolinis Dolchstoß in den Rücken nidit vergessen konnte, wieder herzustellen, und er entledigte sich des Auftrags so gut, daß Nenni eifersüchtig wurde und ihn von dort entfernnen wollte, wie es der Duce einst mit Balbo getan hatte. Der französischen Regierung, die sich weigerte, das alte Botschaftsgebäude in der Rue Varenne wieder zurückzugeben und dafür ein Hotel zweiten Ranges anbot, erwiderte Saragat in einem berühmt gewordenen Satz: „Je ne traine pas l'ambassade d'Italie dans les bistrots“ — Ich schleppe Italiens Botschaft nicht in die Kneipen — und die französische Regierung gab nach. Saragat weigerte sich, eine Botschafteruniform anfertigen zu lassen, die ihm damals, im März 1945, die Kleinigkeit von 200.000 tire gekostet hatte, vferieicHt aucH, well ef bereits an seine Rückkehr in .die italienische Parteipolitik dachte. Seine Rede auf dem Sozialistenkongreß in Florenz 1946 verhalf Nenni zur Präsidentschaft in der Partei, und Nenni wieder ließ ihn zum Präsidenten der Konstituante wählen.

Saragat hat diese Stelle nach der durch Ihn vollzogenen Spaltung des italienischen Sozialismus zurückgelegt. Nicht die Masse der Arbeiterschaft war es, die ihm folgte, sondern die „Intelligenz“ der Partei, unter der Namen wie Matteotti Jan., Treves, Simonini und jener der „Großmutter des italienischen Sozialismus“, Angela Balabanoff, hervorragen. Obwohl ' echter Marxist, lehnte Saragat die Bindung an die Kommunisten ab, da ein Block die Absichten der Wähler verfälsche wie ein Tropfen Wermut den Geschmack des Weines oder ein Tropfen Eosinrot eine ganze Tonne Wasser färbt. Er lehnt aber auch den Klassenkampf ab,

3a für ihn Her Sozialismus die Aufgabe hat, der bürgerlichen Gesellschaft ebenso die Freiheit zu retten, die sie an den Kapitalismus verloren hat, wie dem Proletariat. Der Sozialismus hat somit seine Funktion als kritisches Moment an einer zusammenbrechenden Geselldiaft verloren, um an den Aufbau einer neuen Ordn-ung zu schreiten. Saragats Sozialismus hat somit deutlich westliches Gepräge.

Vor wenigen Tagen hielt Saragat in Bologna eine Rede, die in Entrüstungsrufen seiner Gegner unterging. „Laborista!“ rief man ihm zu, als ob dies ein Schimpfname sei. Saragat 'erwiderte dem Zwischenrufer mit dem Satze: „Es wird ein großer Tag für Italien sein, wenn wir wie Attlee behaupten können: Wir in England verwirklichen den Sozialismus und haben dennoch niemand ins Gefängnis gesteckt.“

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