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Sartre-Graz und Wiener Romantik

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Während die großen und kleinen, alten und jungen Bühnen Wiens bewährte Reprisen und konventionelle Novitäten mit Sicherheit, Routine und zuvorkommender Gedankenlosigkeit dem anspruchslosen Publikum zelebrieren, begibt sich im kleinen Raum in der Kolingasse ein Ereignis. Das Grazer Studio der Hochschulen spielt J. P. Sartre: „Bei geschlossenen Türe n.“ (Huis Clos.) Als in den Düsternissen des ersten Weltkrieges, 1916, durch des Spaniers Unamuno Bemühungen um den Dänen Kierkegaard das Wort „Existentialismus“ Eingang in den französischen Sprachschatz fand, ahnten die Pariser, welche sich eben erst von dem Schrecken des Marne-„Wunders“ erholten, wohl kaum, daß nach dem nächsten Weltkrieg — 1945—1947 — ihre Söhne zu Heidegger und Jaspers, den deutschen Vertretern jener ominösen Bewegung, pilgern würden deren Vorkämpfer eben ein Heimkehrer aus der deutschen Kriegsgefangenschaft werden sollte: J. P. Sartre, der im Paris von 1945 sehr schnell vergaß, daß er, vor kurzem noch, zu Nutz und Frommen seiner Mitgefangenen (vielleicht auch zu eigener Erbauung?) ein Weihnachtspiel „Bar Jona“ geschrieben hatte: die Bekehrung des modernen Intellektualisten zum Herrn und Meister und Erlöser des menschlichen Intellekts. Vielleicht hat Sartre es aber doch nicht vergessen, nicht ganz vergessen und ist eben nur seiner alten Überzeugung treu geblieben: daß die „Erbauung“ der heutigen Menschheit nicht von oben her, von einem sehr fernen Himmel, beginnen müsse, sondern vielmehr von unten her, von der sehr nahen Hölle irdisch-gegenwärtiger Existenz.

Schauplatz von „Huis Clos“ ist mit Recht also die Hölle. Ein fensterloser Hotelzimmerraum, zu dem weder Rilkesche Engel noch Uhdesche Heilande Zutritt haben, in dem aber die ganze Ausweglosig keit modernen Menschentums Platz hat Keine christliche Hölle, auch keine sektiererische Hölle einer jener Gesellschaften vom

„freien Geiste“, zu deren Mitgliedern nach Fraengers jüngsten Untersuchungen wohl auch Hieronymus Bosch zu zählen ist. Diesen vorgängigen Höllenbildem gegenüber erscheint Sartres höllisches Hotelzimmer entmythisiert. Keine äußerlichen Folterinstrumente sind sichtbar, der Teufelwärter erscheint als sachlich-pedantischer Kellner, ein bronzenes Papiermesser deutet leise die Peinlichkeiten der höllischen Pein an. Alles Grauen, alle Verzweiflung, alles Entsetzen den. Hölle hat sich verdichtet, konzentriert, niedergeschlagen — in der Brust der Menschen; dieser drei Toten, Ines, Estelle und Barcine, welche weder Ruhe noch Rast, Frieden oder Ausweg finden können, weil sie Gefangene ihrer nie bereuten Schuld sind. Sie wissen um ihre Schuld, tragen sie in jeder Bewegung, in jedem Wort und jeder Gebärde mit sich. Die Schuld klebt an ihnen, durch west den ganzen Raum, bis in die Poren des toten Holzes der wurmstichigen Möbel hinein ... Sie haben in der Schuld gelebt, sind in der Schuld gestorben und verderben bis in alle Ewigkeit an ihr, in ihr. Wenn am Ende des Stücks sich die verschlossene Tür öffnet, dann bedeutet sie keinen Ausgang — diese Personen können das Zimmer, ihre Hölle, nicht mehr verlassen, denn sie tragen diese in sich und werden sie überall dorthin tragen, wo ihr Fuß neues Land berührt: erschütterndes Symbol der Weltsituation nach diesem Krieg. „N o exit" (so heißt das Stück in der amerikanischen Übertragung), kein Ausweg für die Menschen, die keines guten Willens mehr sind. Hier hakt nämlich Sartre ein; war er bisher nur der Geier, welcher das welke Fleisch eines dekadenten Kulturkörpers aufriß, um funkelnd-frohlockend seine Wunden dem Publikum, den Mitessern aufzuzeigen, so will er doch auch die drohende Faust des Propheten erheben. Eine furchtbare Predigt! Sie ist von jenem Rigorismus, der seit tausend Jahren Erbteil der großen französischen „Moralisten" (das Wort hier allerdings nicht im französischen Sinne gebraucht) ist: eines Odo von Cluny im zehnten, eines Gerson im vierzehnten, eines Calvin im sechzehnten, eines Robespierre im achtzehnten Jahrhundert! „Bekehrt euch“: Und das heißt bei Sartre: lebt in der Entscheidung, wisset, daß ihr jeden Augenblick, jede Stunde verantworten'müßt. Vor euch selbst, denn vor euch selbst kann euch kein Gott und kein System, keine Partei und keine Klasse retten — ihr müßt euch selbst Himmel oder Hölle bereiten, im Glockenschlag dieser Stunde. Dies die Basis des atheistischen Humanismus Sartres. Dieser hat ihm bekanntlich weder bei der extremen Rechten noch' bei der extremen Linken Freunde gemacht, die Schläfer der Mitte hat er überhaupt nicht erreicht. Keine günstige Eingangsposition für Österreich ... Um so mehr verdient das Wagnis des Grazer Studios hohe Anerkennung. Unter seinem Leiter Ulrich Baumgartner, der auch hier die Regie führt, spielen Grita Kral, Franziska Sommer und Tino Schubert das Sartresche Stück in jene Atmosphäre hinein, die ihm zukommt: komprimierte Lichtlosigkeit.

Dieselbe Luft weht in einer Kabarettvorstellung desselben Studios: „Nur so weiter, meine Herren!" Ein recht gemischtes Kompott. Ausflüge in die Literatur (Parodien auf Hofmannsthals „Der Tor und der Tod“ und Galsworthys Gesellschaftsdramen), die Unter-, Über- und Innenwelt des Menschen wechseln mit graugrauen Bildchen des Alltags, so wie ihn heute die Mehrzahl unserer jungen Studenten erleben: Wohnungsnot und St. Bürokratius (mit Recht leicht dämonisch verzerrt und dergestalt in seiner unmenschlichen Fratzenhaftigkeit sichtbar), Korruption, Narrheit und Kargheit dieses unseres Lebens. Wer dürfte diese jungen Menschen tadeln, weil sie nicht ein Jugendreich der Romantik ersinnen und ersagen, sondern eine Aussage .ihres Erlebens erkämpfen wollen? Daß es nicht in jeder Einzelszene restlos glückt, ist eine andere Frage. Trotzdem steht die Gesamtleistung auch in diesem Kabarett hoch über so vielem, was von Wiener Kleinkunstbühnen gegenwärtig geboten wird.

Doch weg von den Zeichen der Zeit, von der Sprache einer harten, schweren 'Wirklichkeit, wie sie hier zur Darstellung kommt! Wiener Bühnen bringen Premieren, welche m sonniges Traumland führen! Z d e n k o von Krafts „Kabinettskrise in I s c h 1", von den Stephansspielern mit viel Liebe zum schwachen Spiel kreiert, ndnnt sich, Komödie, ist aber eigentlich ein seltsames Zwitterding zwischen Operette (ohne Singstimmen) und Gartenlaubenerzählung. Der fesche Rittmeister und die hübsche Hofdame bekommen sich, der alte Kaiser, als Deus ex machina in der dritten Fortsetzung (sprich: Akt) bemüht, gibt seinen Segen dazu, was vom Publikum höchst beifällig vermerkt wird. „Gute, alte Zeit“: reichlich verkitscht, sentimentali- siert, in billigen Klischees ausgewalzt. Seltsames Ende beschwerlicher ernster Anfänge. Es ist höchste, allerhöchste Zeit, daß die Stephansspieler ihren Namen ändern!

Raffinierter stellt es das Akademietheater an. Die Komödie „C 1 a u d i a" von Rose Franken soll in Amerika ein großer Erfolg gewesen sein, bei uns wird sie es vielleicht auch. Dank des glänzenden Zusammenspiels des Ensembles Else Wohlgemuth, Maria Eis, Susi Nicoletti. Das silberne Gezwitscher Claudias, die bronzedunkle, warme, glockentiefe Stimme ihrer Mutter Mrs. Brown dürfen jedoch nicht täuschen. Mit viel Routine, mit wohlberechneten Dosen von (amerikanischer) Psychoanalyse und Gefühlsseligkeit, kleinbürgerlicher Intimität und rauhbeiniger Dienstbotenhumanität wird hier ein „Familien-

stück“ gebaut, wie es im goldenen Westen die Herzen von jung und alt inniglich erfreut. Claudia, ein Jahr bereits verheiratet, ist immer noch ein junges Kücken, das nicht recht flügge wird und durch loses Geplapper dem Gatten, durch verzärtelte Anhänglichkeit der Mutter Sorge bereitet. Nun wird Mama schwer krank, zudem kündigt sich ein Kindchen an. Da, im letzten Akt der Komödie, ermannt sich die Mädchen-Frau und reift rechtzeitig zum edlen Weibe, zur Gattin — gerade als das Spiel anfängt, interessant zu werden und zur Tragödie liebelnd hinüberschielt. Kulturhistorisch gesehen, ist dieses Stüde übrigens eine nicht uninteressante Erscheinung. Es zeigt eine neue Mischung „Europa- Amerika“ an. Da diese Marke ihre Kom- merziaütät sichtlich unter Erweis stellt, muß sie auf ihren Gehalt hin geprüft werden. Auf einen Restbestand (und Bodensatz) europäischer Geistigkeit, die noch hinlänglich weiß von der Tiefe und Brüchigkeit des Lebens, wird ein leichter Aufguß westlicher, schäumender, äußerlich exzentrischer „Lebendigkeit" gegossen. Motto: „Für jeden etwas“: ein paar kluge Worte, etwas Moral und Moralin, viel Gefühl und Natürlichkeit, Freundschaft und Frieden, Hauptsache; Flottes Spiel, keine Längen, keine Pausen, kein Lösungen. Glasperlenspiel (aber nicht von Hermann Hesse)

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