6742607-1966_47_17.jpg
Digital In Arbeit

Satire, Reißer, Zauberspiel

Werbung
Werbung
Werbung

La Bruyėre, der Zeitgenosse Moliėres, meinte, was die Gelehrsamkeit betreffe, seien die Männer glücklich, hierin den Frauen, die ihnen in so vielen Stücken überlegen sind, etwas vorauszuhaben. In der nach wie vor reizvollen Komödie „Die gelehrten Frauen“ von Moliere, die man derzeit im Theater in der Josefstadt sieht, wird jene falsche Gelehrsamkeit, die zu des Sonnenkönigs Zeiten so viele Frauen nur um der Eitelkeit willen betrieben, in liebenswürdiger Weise lächerlich gemacht.

Man könnte fragen, was das uns angehe. Heute haben die Männer auch nicht mehr die Gelehrsamkeit den Frauen voraus, seit viele von ihnen in Berufen tätig sind, die erhebliches Wissen erfordern. Aber gerade auch die Frau mit fundierten wissenschaftlichen Kenntnissen mag herzhaft über ihre Schwestern von einst lachen, die sich mit einem Scheinwissen kokettierend aufplusterten. Und wenn dann eine der „gelehrten“ jungen Damen entrüstet ausruft: „Ehe? Pfui!“, so ist der Spaß auf die Höhe getrieben, denn man weiß, welche Sehnsucht hinter der Ablehnung steckt.

Gertrud Eysoldt erklärte einst: „Nichts, was nicht durch uns, die Schauspieler, zum Leben auf der Bühne gezwungen wird, hat ein Recht, dort zu sein.“ Es ist so, als habe der Bühnenbildner Walter Hoesslin diesen Ausspruch verwirklicht: Bis hoch hinauf gibt es nur leere, hellgraue Wände, nur die unbedingt nötigen Möbel und Sitzgelegenheiten. Das Spiel unter der Regie von Edwin Zbonek vollzieht sich — in grellem Licht — sozusagen mit kapriziöser Zierlichkeit. Vilma Degischer, Helly Servi, Luzi Neudecker sind ein sublimes Damenterzett der „Gelehrsamen“. Die Gegenpartei ist trefflich durch Sylvia Eisenberger, Hans Holt und Volker Brandt vertreten. Hans Weigel hat das Stück in makellose Alexandriner übersetzt, die leicht sprechbar sind. Ein großer Vorzug.

Im Kleinen Theater der Josef- stadt erfolgte die deutschsprachige Erstaufführung des Stücks „Das Verbrechen“ von Ivan Noe und Pierette Caillol, in dem ein einst vermögensloser Großindustrieller seiner Familie eines Abend gesteht, daß es ihm nur durch einen Mord möglich war, „nach oben“ zu gelangen.' Širinė Familie" liefert: flink nicht aus, alle haben ihn schon vordem halb unbewußt gedeckt. Die eigentliche Hauptgestalt ist sein Schwiegervater, ein gewissenhafter, wahrheitsliebender Senatspräsident, der sich über sein eigenes Verhalten Vorwürfe macht und, ehe er Selbstmord begeht, durch eine Lüge den Lauf der Gerechtigkeit bewirkt. Das ist ein Reißer, der ethische Motive manipuliert. Unter der Regie von Friedrich Kaltina bringen vor allem Guido Wieland als Großindustrieller und Karl Fochler als sein Schwiegervater das Stück zu guter Wirkung.

Dürrenmatt hatte das einstige Wiener Vorstadttheater als die „wundervollste Erscheinung des Theaterwesens deutscher Zunge“

bezeichnet, ja erklärt, er halte Nestroy für „unendlich wichtiger“ als etwa Hebbel. Die Aufführungen nahezu vergessener, sehr lange nicht mehr gespielter Stücke Nestroys werden im Volkstheater mit der Wiedergabe des Zauberspiels „Die Verbannung aus dem Zauberreich oder Dreißig Jahre aus dem Leben eines Lumpen“ erfolgreich fortgesetzt. Es steht in der Werkliste an zweiter Stelle, stammt aus dem Jahr 1828 und bestätigte durch den Erfolg dem Schauspieler Nestroy die Befähigung zum Dramatiker. Wie die meisten Zauberstücke ist es ein Besserungsspiel. Der himmlische Papa aus dem Zauberreich schickt seinen Hallodri-Sohn zur Besserung auf die Erde, wo aus dem Lumperi ein Lump wird, der aber schließlich zur Einsicht seiner Schuld gelangt und von dem väterlichen Herrscher im Wolkenreich wieder mit Freuden aufgenommen wird.

Während es in den heutigen Zeiten des Wohlstands nicht nur Playboys gibt, sondern auch Beatniks, Provos und Gammler, die das Wohlleben ablehnen, waren für den damaligen wirtschaftlichen Aufschwung wohl allein die Genießer, Verschwender, Lumperln kennzeichnend. So, 'mm -ist Keser Apollinaris Lump, ein ausgesprochen vergnüglicher. Doch die keineswegs schönfärberische ambivalente Weitsicht Nestroys, die Verbindung von Liebenswürdigkeit und Schärfe zeigt sich auch bereits in diesem Bilderbogen, der gewiß nicht in allen Teilen meisterlich geraten ist. Aber die szenische Wirkung bleibt unter der Regie von Gustav Manker nicht aus. Harry Fuss ist ein Lumperi mit Herzhaftigkeit und genießerischer Freude. Die überaus zahlreichen sonstigen Darsteller tragen ebenso zur Beschwingtheit der Aufführung bei wie die Musik von Kurt Werner nach Motiven von Adolph Müller. Die Bühnenbilder von Maxi Tschunko wirken für das Stück etwas zu karg, trotz der Projektionen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung