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Schatten über der Kapuzinergruft

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ES WIRD BEHAUPTET, man könne den eingeborenen Wiener an der Beantwortung dreier Fragen erkennen: ob er schon einmal auf den Turm von St. Stephan gestiegen sei: ob er in der Albertina war; und ob er die Kaisergruft bei den PP. Kapuzinern gesehen habe. Sofern er eine der Fragen oder gar mehrere mit „Nein" beantworte, sei er ein Wiener. Und wenn er wirklich alle drei Orte je gesehen habe, dann nur, weil ein Besuch aus dem Ausland kam, der seine Wiener Bekannten mit dem Wunsche überraschte, die Kapuzinergruft zu sehen. Nun: gar so arg dürfte es denn doch nicht sein. Die Volksbildungsstätten mit ihrer Aktion „Urlaub in Wien“, die verschiedenen Kunstinstitute, und nicht zuletzt die sehr begrüßenswerten Besuche auswärtiger Schüler im Rahmen des bekannten Planes des Unterrichtsministeriums, „die Jugend lernt Wien kennen" haben doch Eingeborene nach Sankt Stephan geführt, vielleicht sogar in die graphische Sammlung „Albertina“ und dorthin, wo von der Pforte, darüber „Beati Mortui“ (Glücklich die Toten) steht, der Weg hinabführt zu dreihundert Jahren österreichischer Geschichte. Es ist nicht allein die Tatsache, daß wir durch die Begräbnisstätte von zwölf Kaisern, fünfzehn Kaiserinnen und vieler Habsburger gehen, vom ungewissen, kalten und feuchten Hauch der Gewölbe umwittert; es ist viel mehr die ungreifbare Atmosphäre der Geschichte eines Reiches, seiner Macht und Glorie, seiner tapferen Selbstbehauptung und Selbstaufopferung. Davon kann man in den Büchern lesen. Davon kann man Bildwerke haben. Aber sie alle bleiben doch nur Andeu-' tung. Das Herz, umschauert von immer lauernden Schatten, muß es gefühlt haben, was 1918 zerbrochen ist. Man muß sich wieder zurückdenken in die Kindertage, und Sonne glänzt auf über dem ersten Maitag im Prater, wo die Kastanienbäume blühen und die Bosniaken im Kaffeehaus konzertieren, wo der Blumenkorso vorüberrauscht, Reiter durch die Seitenalleen preschen. Man lasse die Erinnerung von einem Fronleichnamstag in der Inneren Stadt auf- taucfierr: zurücksdiweifen zürn alten Kaiser, wie er:, von der ‘Hofburg kommend, langsam im Wagen durch das Gittertor zwischen den hohen Obelisken von Schönbrunn einfährt. Man muß sich zurückversetzen in Reisetage und -nächte — wenn der Tau dämmerte, war man noch immer innerhalb der Grenzen des Reiches, daheim ,..

VON DEM REICHE, das einst diese Herrscher regierten, blieben Name und Idee; von der Casa d’Austria das kleine Gebäude und die

Gewölbe am Neuen Markt zu Wien, wo mit jedem Schritt, den der Gruftmeister und ich machen, im Ohre alte Balladenverse aus längst zerrissenen Schulbüchern widerhallen, und nicht zuletzt die vom Pilgrim vor St. Just: „Bereitet mir, was euer Haus vermag“ und „... den Toten gleich, und fall’ in Trümmer wie das alte Reich“. Es ist heute, als wirke inmitten der Zeichen der Vergänglichkeit ein Symbol. Von Zeit zu Zeit geht ein mächtiges Rauschen durch den Blätterwald der Presse (sofern etliche Blätter des Baumes sich nicht starrsinnig nach außen kehren), und dann hört man von den Schatten der Kapuzinergruft, von den nie weichenden Sorgen um ihren baulichen Zustand. Dann kommen vielleicht Experten und erklären das Warum und Wodurch, und sargen die Ergebnisse der Forschung in einer Zeitschrift ein. Gibt es Spendenaktionen, wie jene weithin bekannt gewordene der eigens gegründeten Gesellschaft zur Rettung der Kapuzinergruft, kom men Erlagscheine für das Scheckkonto 38.287 der Postsparkasse, geben in rührender Weise gerade die kleinen Leute ihr Scherflein am ersten Tage, da der Erlagschein ins Haus flattert. Aber es schweigen jene Großen, die jetzt nicht reden — handeln müßten.

DER GUARDIAN DES KAPUZINER- KLOSTERS und Kustos der Kaisergruft, dem ich an einem düsteren Wintertage in seinem kärg-

liehen Zimmer gegenübersitze, hat mir ein klei- nes Rechenexempel begreiflich machen wollen. Angenommen, es gäbe beiläufig dreitausend namhafte Industrielle in Oesterreich, denen es wirtschaftswunderlich gut geht; setzen wir gleich ein Drittel von diesen wohlsituierten Persönlichkeiten als „uneinbringlich“ ab. Dann bleiben doch noch immer an die zweitausend Wohlhabende; gäben sie jeder im Jahre 375 S, dann könnte man mit einigem Recht in eine hoffnungsvollere Zukunft blicken. Dreihundertfünfundsiebzig Schilling, etwas mehr als einen Schilling im Tage für die Vergangenheit, auf deren Grundfesten die meisten der Herren ihre Existenz gesetzt haben — und das Gespenst der sogenannten ,;Zinnpest“ müßte weichen. Vorläufig aber fühlt es sich noch sehr wohl in der Kaisergruft. Die Augen können die Schäden an vielen Orten ohne Schwierigkeit . sehen, und wenn man sich die kleine Mühe macht und mit dem unermüdlichen Bruder Urban zwischen den Trennungsstangen des Ganges durchschlüpft, dann ist man entsetzt.

DIE ZINNSARKOPHAGE sind Kunstgegenstände von einmaligem Wert. Es würde nicht einmal gelingen, einen barocken Sarkophag, der bloß ein Herz enthält — der Leib ruht im fernen Lissabon —, etwa zum Zwecke der Geldbeschaffung zu veräußern. Man kann nicht bloß sicher sein, daß das Denkmalamt (und mit gutem Recht) ein energisches Veto einlegen würde, nein, mit einem Male erhübe sich die Oeffentlichkeit und spräche groß von einer . „Plünderung der Kunstschätze“ -r- aber daß die Zinnkorrosion seit Jahr und Tag die Kunstschätze plündert, das darf noch immer geschehen Es ist rührend, mit welchen bescheidenen Mitteln die Kapuziner versuchen, dem Verfall Einhalt zu gebieten. Berühmt ist der zerbrochene . Sternenkranz geworden, den früher der Engel des Doppelsarkophags über den Häuptern Maria TI eresias und Franzens von Lothringen hielt, sowie die Posaune, welche am Tage der. Auferstehung das Herrschernaar rufen soll. An diesem Sarkophag, der in de" Reis.- führern mit einem Stern hervorgehoben i, \

mußten Spagatschnüre das Zerfallende Zusammenhalten. Vielleicht war es sogar nur Papierspagat, und man könnte sich gut vorstellen, daß das Papier ungefähr die gleiche Güteklasse hätte wie jenes der Akten, auf denen Jahr für Jahr über die Rettung der Gruft referiert wird.

DIE FÜHRUNGEN DURCH DIE GRUFT - soweit den Text die Herren der Reisegesellschaften in mehreren Sprachen liefern, sind sie ziemlich unbeschwert von historischen Kenntnissen — zeigen das stete Interesse des Auslandes an den hier ruhenden Schätzen. Es gibt Briefe, die nach Wien kommen, und die sich eingehend nach der Kapuzinergruft erkundigen, es gibt arme Pensionisten, die fragen, wie sie helfen können. Neuerdings hört man wieder, daß von amtlicher Stelle Hilfe zugesagt wurde. Uebers Jahr werden wir wieder darüber reden ... Aber heuer, da sich der Tag von Aspern zum hundertfünfzigsten Male jährt, befindet sich der Sarkophag des Siegers von Aldenhoven, Neerwinden, Würzburg, Stockach, Zürich, Caldiero und Aspern, des Schriftstellers und Mäzens (er hat . die Albertina dem allgemeinen Besuche zugäng- Ą Feh'oc iachF -iW!'def ¥ösk’ähä£riift, die'mati'Dei i den'Fflh'rungėti am liebsten nicht zeigert möchte. Dort liegt Carl inmitten von mehr denn vierzig Sirgen eingeschachtelt wie irgendeiner. Er teilt das Schicksal, in einer Art Sargmagazin zu liegen, übrigens mit Erzherzog Albrecht, dem S’eger von Custozza, und mit Erzherzog Rudolf, Kardinal und Fürstbischof von Olmütz, dem Freunde Beethovens (Missa solemnis!).

WAS IST ZU TUN? Die Gruft wäre, nach der klimatischen Sicherung — reine Arbeit von Wissenschaftlern — in ihrer baulichen Substanz wieder in einen durchweg würdigen Zustand zu versetzen. Da das Mauerwerk der Schmalseite der Leopoldsgruft gegen die Straßenseite acht Meter stark ist, können die Särge aus der Engelsgruft, zwölf an der Zahl, in zwei neu zu schaffenden Räumen untergebracht werden. Dann wird man an einen Anbau im Westen der Maria-Theresien-Gruft schreiten müssen, hier könnten die am meisten gefährdeten Sarkophage Platz finden. Da unter den Mitgliedern des Kaiserhauses ein Kardinal und vier Bischöfe waren, liegt die Errichtung einer Bischofsgruft nahe. Wie für Rudolf, dem die „Missa“ Beethovens gewidmet war, muß es möglich sein, für den Erzherzog Carl einen möglichst freiliegenden Platz auszusparen. Die endgültige Rettung vor dem Verfall ist also nach zwei Seiten möglich: bauliche Erweiterung und Sanierung durch Beheizungsanlagen und Entfeuchter. Es ist schließlich nicht unbillig, zu verlangen, daß für gebrechliche Besucher ein Aufzug eingebaut wird.

VOM PRINZEN EUGEN stammt das Wort vom „Mirakel des Hauses Oesterreich“, das Erzherzog Carl im Juli 1792 wieder aufnahm: „Ich schmeichle mir, daß das Mirakel des Hauses Oesterreich uns aus der Verlegenheit ziehen wird." Aber an ein Mirakel am Neuen Markt wollen wir nicht glauben, sondern lieber tatkräftig zupacken. Ein Mirakel des Herzens aber sei nicht verschwiegen — der letzte Gruß der Tiefe, ehe ich wieder emporstieg an den Tag. Auf dem Sarge der Kaiserin Elisabeth, vor dem im Gedenken ihre Todestages noch ein Kranz, ”on vertriebenen Ungarn gespendet, lag. mit ęch'eifen in unseren und den ungarische" F"r- auf diesem Sarge entdeckte ich zwei frische duft nde Veilchen:t äuße.

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