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Schattenbilder der letzten Einsamkeit

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Auf der Bühnenrampe der Wiener Urania steht m Abend der österreichischen Erstaufführung des deutschen Farbfilms „N anga Parbat 195 3“ ein schmächtiger Mann, der, vor und nach dem Film, verlegen, fast ein wenig linkisch seine Verbeugung vor dem laut und herzlich applaudierenden Publikum macht und mit ein paar schlichten Worten, nicht mit dem kühl berechneten Scharm des zünftigen Filmstars, von seinen Kameraden und (so nebenbei auch) von seiner bergsteigerischen Leistung spricht; diese Tat, die Erstbesteigung des von Gräbern unerschrockener Vorläufer übersäten Nanga Parbat durch die deutsch-österreichische Himalajaexpedition 1953, stand zwar im Schatten der Erstürmung des Mount-Everest-Gipfels durch englische Krönungshuldiger, post festum übrigens auch eines ungewöhnlichen Kameradenstreites, im ganzen aber stellt sie doch eine außergewöhnliche alpinistische Weltbestleistung dar, die der englischen gleichzusetzen ist. Ihr Held ist der Tiroler Hermann Buhl, und der bescheidenen Art seines Auftrittes am Wiener Premierenabend war gleichwohl jene schlanke, federnde Zähigkeit anzumerken, die wohl allein imstande ist, mit so unvorstellbaren Riesenkräften fertig zu werden, wie sie der 8125 m hohe Bergriese den Zwergen des Menschenreiches entgegenzusetzen pflegt.

Der Film ist das Werk eines anderen Helden, des Expeditionsteilnehmers und Kameramannes Hans Erti. Es ist ein Farbfilm in Agfa-Color, und allein die Vorstellung von den unsagbaren körperlichen Mühen, die der Transport des Gerätes durch einen einzigen Menschen und die Aufnahmen bis zu 7000 m Höhe erfordert haben, erfüllt mit Bewunderung für seinen Schöpfer. Bis dorthin ist der Film eine saubere, makellose Leistung, die exakt und mit Anflügen zu einem naiv-hintergründigen Humor (der Tanz der pakistanischen Träger in tirolisch-bayrischer Adjustierung!) eine fesselnde Reportage von Land, Leuten und den furchterregenden „weißen Göttern" des Berges gibt — das Eiszapfenbarock ist stellenweise von erregender, grauenhafter Schönheit.

Dann aber, die letzten 1000 Meter unter dem Ziel, setzt der Atem der Maschine und ihres Herrn aus. Und hier geschieht etwas, das in der Geschichte des Films ohne Beispiel dasteht. Wie freimütig einbekannt wurde, hat Erti mit gespenstischen Nachaufnahmen auf dem Schweizer Jungfraumassiv nach den Erzählungen Hermann Buhls dessen Erlebnisse auf dem einsamen Gipfelgang und dem noch erschöpfenderen Rückweg in den Schattenbildern einer unheimlichen Vision eingefangen: den keuchenden Aufstieg, den müden Triumph der Hissung der (pakistanischen) Flagge und den von quälenden Zwangsvorstellungen begleiteten Abstieg des restlos verbrauchten menschlichen Wracks. Man hat bei Leni Riefenstahls „Marathonlauf" der Olympiade 1936 Anläufe zu ähnlicher Selbstenthüllung der „tragischen Ironie" des Sportes entdeckt. Das war Reportage. Hier aber ist Vision, Komposition, Dichtung. Sie stellt diesen Film ebenbürtig an die Seite der größten „Dokumentarspielfilme" der Filmgeschichte. Sie entdeckt aber auch mit hellwacher Intuition die verlorene Dimension des alten Stummfilms wieder: das Licht-Spiel, das aufregend neue Sprechen. Denken und Träumen in Bildern, das wir in der Folgezeit, im babylonischen Sprachengewirr der brutalen, realistischen Ton-, Farbe- und ,,3-D"- Errüchterung verloren haben. Unwiederbringlich.

Ecce Cinema. Was hätte aus dem Film werden können!

Und was aus ihm geworden ist:

Großes, Erregendes, wo noch der alte Unterstrom von Kultur und Dokument rauscht: in Tilgenkamps Schweizer Filmbericht „Piccard, Pionier der Stratosphäre und Tief see"; und Phanta-

stisch-Zauberhaftes, wo noch die Illusion lebt und webt: in Walt Disneys Farbfilmmärchen „Alice im Wunderland“; noch irgendwie Gefällig- Nettes in dem deutschen Hannerl-Matz-Film „Alles für Papa"; aber nur mehr „Humor“ mit dem Eisenhammer in der Groteske „D e r Held des Tages".

Amerika paradierte zu den Feiertagen mit durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Abenteuern: „M ein großer Freund Shan e”, „Die Rose von Cimarron"und „I m Reiche des goldenen Kondo r.” Auch hier bemerkenswert nur dort, wo Unterströme zum goldenen Zeitalter des „sprechenden Bildes" hervorbrechen: im guten, besten Esther-Williams-Film „Die goldene Nixe"; er spielt unter Wasser, der deutsche Expeditionsfilm tausende Meter ob der Erden, jener platten, geheimnislos gewordenen Erde, auf der sich der Film unserer und künftiger Tage keuchend zu Tode fortentwickelt.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 49 vom 23. Dezember 1953: II (Für alle zulässig): „Götter ohne Maske", „Nanga Parbat 1953" — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Lili", „Die goldene Nixe", „Auf der grünen Wiese" — IV (Für Erwachsene): „Die Schönen der Nacht", „Der Weg nach Bali", „Der goldene Falke” — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Hab’ ich ur deine Liebe" — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Die Rose von Cimarron".

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