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Schattengestalten
EIN LIEBHABER DES HALBSCHATTENS. Von Alfred Andersch. Walter-Verlag, Olten und Freiburg i. B. 123 Selten. Preis 1 1 sFr. — JÄGER IM PARK. Von Hans Martinsen. Verlag bibliotheca Christian a, Bonn. 152 Seiten.
Alfred Andersch hat erst jungst m einem kritischen Essay das Fehlen einer literarischen Reflexion der normalen Arbeitswelt beklagt. Die Schriftsteller widmen sich den Randgebieten und den Grenzsituationen. Das gilt übrigens nicht nur für die Arbeitswelt, sondern scheinbar schon für alle Lebensbereiche — und die Schuld daran trägt auch ein Publikum, das den Kitzel mehr als die Kunst schätzt.
Man müßte von einem Autor aus Deutschlands erster Garnitur, der solche Erkenntnisse gewinnt und ausspricht, ein gutes Beispiel erwarten. Die drei neuen Erzählungen indes lassen höchstens weiter hoffen. Sie lassen hoffen, daß ein Künstler, der das Ausgefallene mit so viel Akribie darzustellen weiß, eines Tages auch das Schwerste schaffen wird: das Normale. Vorläufig zeichnet er immer noch Schattengestalten, determinierte Menschen, die ihr Fatum lässig verhätscheln. Zwei Männer, die sich „ohne eines Wortes zu bedürfen” legal in den ehelichen Umgang mit einer Frau teilen, sind nicht normal. Nach Andersch ist das ein Protest gegen die Unfreiheiten des Dritten Reiches. Die Frau reißt beiden aus, und der Held der Titelgeschichte, ein Philosophieprofessor, verfällt darob in Trunksucht; er liebt den alkoholischen Halbschatten. Eine Autotour endet tragisch. Die Mutter wird das Opfer. Das rührt den Intellektuellen weiter nicht. Er beschließt, ein Buch zu schreiben, und wartet nach seiner Haftenlas- sung ungeduldig auf den ersten Kognak.
Öder ein neurotisch werdender Industrieller, der einen wertvollen Widder aus der Keramiksammlung seiner Frau „opfert”, das heißt auf dem Boden zerschlägt. Er durchlebt vor dem Schlafengehen „ein paar deprimierende Minuten, ehe das Luminal wirkte”. Ist das eine für normale Menschen einigermaßen verbindliche Angelegenheit? Natürlich ist es ein Spiegel. Denn es ist nicht zu bestreiten, daß man morgens auch aufstehen und fünfzig Kilometer in den nächsten Wald fahren kann, um sich dort über einem Moortümpel gebeugt zu frisieren. Der Mensch ohne Spleen findet allerdings seinen Spiegel etwas einfacher.
Die dritte Erzählung „Alte Peripherie” erinnert merkwürdigerweise an den früheren Siegfried Sommer. Sie ist gut und glaubhaft, aber eben historisch und geht darum wieder an des Autors eigenem Postulat vorbei. Vielleicht ist dieses Exerzieren der Schattengestalten an der Peripherie wirklich ein Aufbruch zur Bewältigung der Wirklichkeit. Alfred Andersch wäre seinen Fähigkeiten nach berufen, sie zu gestalten: Nicht die glattrasierte Oberfläche, nicht die nebensächliche Abseitigkeit, sondern die transzendente Fülle einer gegenwärtigen Arbeits- und Lebenswelt.
Hans Martinsen steht nicht eine so große sprachliche Klaviatur zur Verfügung. Er hält Distanz auf eine aus der Motivik Ernst Jüngers bekannte Weise. Der geheimnisvolle Park, die Schloßherrschaft, die man nie zu Gesicht bekommt: das sind kafkaische Szenerien. Dazwischen wird’s in einem Liebesgeplänkel mit Sylvia ein bißchen gartenlaubisch.
Diesen literarischen Schwächen steht jedoch eine klar ausgeformte Pointe gegenüber, die die Erzählung lesens- und nachdenkenswert macht. Der Gartenarchitekt Berger ist auch eine Schattengestalt, die gelebt wird, statt zu leben. Die völlige Negierung der sozialen Bindung des Menschen treibt ihn in sein Verhängnis. Während er glaubt, aus der Isolierung seines Arbeitszimmers durch schriftliche Anweisungen den Schloßpark gestalten zu können, verwildert die von allen Arbeitskräften verlassene Anlage völlig. Sehr typisch ist nun die Reaktion des Helden, sobald er seinen Fehler entdeckt. Er resigniert nicht. Er beginnt mit der Arbeit, wenn sie auch im Moment aussichtslos scheint. Und er macht den Versuch zu lächeln.
Weder Kognak noch Luminal. Nicht so perfekt vielleicht. Aber ein gesunder Ansatz. Es kommt eben doch auf die Weltanschauung an.
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