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Schattenreiche im Souterrain

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Gleich dreimal hatte der Rezensent in der Vorwoche in die tiefer gelegenen Regionen des Wiener Theaters niederzusteigen. Das Traumreich der „Reichsgründer”, durch den jungen, fciihverstorbenen Franzosen Boris V i a n errichtet, zielte zwar in schwindelnde Höhen. Im Grunde gibt es hier aber kein Oben und kein Untep. „Das Schmürz” ist ein Werk aus dem Reich zwischen Intellekt und Mimus, der naturalistischen, wie der einfach-symbolistischen Deutung entzogen. Gewisse Zeit- und Gesellschaftsbefindlichkeiten sind hier auf eine theatralisch übersetzbare Formel gebracht, die unheimlich präzise wirkt. Sie verlangt zu ihrer elementaren Verdeutlichung aber auch ein Höchstmaß an Präzision in Regie und Sprache. Was vom Regisseur zum außerordentlichen Gelingen dieses Abends im Ateliertheater zu leisten war, trug Oskar W i 11 n e r bei. Veit Relins Bühnenbild und die Kostümgestaltung Agnes Laurents paßten sich nahtlos in sein exakt forderndes Konzept. Die Schauspieler taten dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die in bisher an Kellerbühnen nicht gewohnter Intensität ausgeschöpft wurden. Daß der sehr begabte und konzentrierte Emanuel Schmied sogar die ihm nicht ganz zugängliche Dimension des „Übervaters (de Gaulle) zu erspielen suchte, ehrt seine Ambition. Helga Davids Talent drängt aus der harten Zucht dieser Art von Thea- tralik heraus zum blühenden Leben. Antonio Lepeniotis begleitete als geschlagenes Schuldgewissen (Schmürz) intensiv pantomimisch die gejagte Höhen- und Höllenfahrt einer zum Symbol unserer Angstgesellschaft gewordenen Familie.

Das „Reich”, in dem Henry de Montherlant seine Figuren ansiedelt, hat mit der Historie nur den Namen gemein. Aber es ist doch so weiträumig und mehr- bödig, daß es nicht nur Gedanken- und Lehrraum bleibt. Das Theater der Tribüne müht sich in ehrlicher Hingabe um seine „Tote Königin”, die erste Variation des bei Montherlant immer wie derkehrenden urf ranzösisch-j ansenistischen Themas von der hochmütigen Frömmigkeit, vom Versuch des Menschen, durch scheinbare Unmenschlichkeit gleichberechtigter Partner des übermenschlichen Gottes zu werden. Das, alles wird hier in einer dunkel-lodernden, oft faszinierend-poetischen Sprache, für die das historische Geschehen um die Ermordung der Ines des Castro im hochmittelalterlichen Portugal drapierendes Gewand wird, sehr vernehmlich ausgesprochen. Norbert K a m m i 1 s Inszenierung konnte allerdings nur in wenigen Momenten mehr erreichen als eine deklamatorische Wiedergabe. Sie geriet dem König (Tino Schubert) am besten, wenn er sich vom Tyrannenklischee seiner Rolle im Sinne des Dichters löste. Lia Ander bewältigte ihren Part der Ines besonders durch Auskosten und Ausschwingen des Sprachlichen.

lohn Mortimer nennt sein im Kleinen Haus der Josefstadt aufgeführtes Stück von vornherein „D i e Schattenseite”. Aber es gelingt ihm nicht, ein irgendwie zeitgültiges Sozialgemälde von „denen im Dunkeln” zu schaffen. Er bleibt in der Abschilderung des pathologischen Einzelfalles einer durch Wahnvorstellung der Schuldvergangenheit bis zur Krise belasteten Ehe stecken. Um dieses sehr breit und doch ohne innerlich spannende Aufeinanderfolge analysierte Geschehen gruppiert er mit bemerkenswerter dramaturgischer Schlamperei oder Unbeholfenheit eine Gruppe von Nebenfiguren, denen Leben zu geben nicht einmal den Josefstädter Schauspielern zur Gänze gelingt. (Köstlich nur Hans Ziegler und Annie Mewes.) Die Hauptdarsteller des durch sie allein interessant werdenden Abends heißen Ursula Schult und Günther Tabor. Unter Hermann K u t- schers ihnen mit Recht freieste Ausspielbahn lassender Regie zeigen sie, wie man selbst das blindeste Glas zum Funkeln bringen kann.

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