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Schatzhaus Greillenstein

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DU DENKST SOEBEN, ES SEI SCHADE, daß du an einem Bach geboren wurdest und nicht an einem Strom, Seien doch das Gewicht der Begebenheiten und die Macht der Kultur zumeist gerade proportioniert mit der Breite der Gewässer. Augenblicke darnach nimmt dich ein Wagen mit durch sommerndes Korn und schwingende Weinberge und zieht bald aufwärts ins kühlere Gelüft, dorthin, wo der Weizen wohl kürzer, doch noch immer reichlich halmt, wo hinter jeder Ackerfülle nadelgrüne Kulissen stehen und bis hinauf ans Unbegrenzte e i n Schweigen leuchtet. Manchmal nur tauchen aus flacher Mulde Obstbaumkronen, Dächerzeilen und eine Kirchspitze, doch das stete Herankreisen gewellter Feldbreiten und Waldzungen löscht das unverhoffte Dorf bald wieder aus.

Der Wagen sinkt in einen Hohlweg. Unten an seinem Ende streichen einige Bauernhäuser und eine Gaststätte vorbei, dann nimmt uns eine kleine Parklandschaft auf, und nach wehenden Gräsern und alten Eichen und Buchen türmt es, machtvollschön behelmt, hoch empor. Der Helmgrund trägt schmucke Ecktürme, die Front des Schlosses beleben Wappen, Balustraden und Pyramiden, das Portal bewachen Mohren und wappentragende Löwen. Im Schloßhof überraschen gesimsereiche Kamine und eine prächtige Fischer-von-Erlach- Balustrade mit Vasen, Muscheln, Putten und Füllhörnern. Edelgespannte Arkaden, italienische Renaissance, erinnern an das Porcia-Schloß zu Spittal an der Drau. Schloß Greillenstein ist Museum, aber eines, das man nicht erst errichten mußte. Gewachsenes Schatzhaus ist es, dessen Schaugut nicht klügelnd erworben wurde, sondern hier am Sitz der Kufsteiner vorbedachter Bestimmung diente.

ALLES IST BEREIT WIE ZU ALTER ZEIT. Wir betreten den Landgerichtssaal, und so wir arge Schelme wären und die Schloßknechte uns eingefangen hätten, könnte das Gericht sogleich anheben. Vornehme Barockstühle muten schier festlich an, und „nur“ das mächtige Verhandlungsprotokoll, die in Tintenfässern griffbereiten Kielfedern, die ungefügen Eisenfesseln und die Zeugenbarre gemahnen an Unwirtliches. — Einmal war ein Autobus voll Richter eingetroffen. Drei von ihnen besetzten — im modernen Straßenanzug — die seidenüberspannten Stühle, einer stellte sich in Hemdärmeln originalgefesselt an die Barre, und so ließen sie sich, ihre Rolle lebhaft markierend, schelmischgrimmiger Miene photographieren. Es wurde ein lustiges Bild.

„Bezirkshauptmannschaft“ und „Finanzamt“ von damals überraschen gleichfalls. Über die vierzehn herrschaftlichen Gemeinden liegen, sorgfältig registriert, Akte um Akte auf, und wir erfahren, daß der obrigkeitliche Staat mit der Spittelstiftung, dem Versorgungshaus für alte Leute und mit dem Herrschaftsarzt, der den Untertan ohne Entgelt betreute, eine Art öffentlichen Gesundheitsdienst führte. Zu unserem Erstaunen gab e: Waisenrenten.

DAS „MASS“ ZUM REKRUTENMESSEN steht in einem anderen Saal Es erinnert an das „Wehramt“. - Übrigens sah Greillenstein zu Beginr des Dreißigjährigen Krieges die Söldner des Feldmarschalls Bouquoy unc des Herzogs Max von Bayern, weshalb sich der Schloßherr, kaisertreu doch evangelisch, schutzeshalber zt seinen mächtigen Glaubensbrüderr nach Horn begab. Von Greillenstein aus zogen Heerführer und gesammelte Truppen nach Böhmen in die Schlachl am Weißen Berg. Ein originellei Kriegsmann dieser Zeit zeigt sich uns im Bild: Freiherr Johann von. Werth, Gemahl einer Kufsteinerin. Der Freiherr geriet in Gefangenschaft, doch war ihm nicht nur der Ruf seiner Kriegskunst, sondern auch der unermeßlicher Gaumenfreude vorausgeeilt, und nach einer überzeugenden Tafelprobe soll ihm der französische König die Freiheit geschenkt haben.

Die kostbare Renaissancekapelle ist die einzige Österreichs. Das Sterngewölbe der Decke, die bemalte Tür, Altäre, Predigerstuhl, Statuen und eine Metallschüssel, Nürnberger Goldschmiedearbeit, schaffen ein sehr bewegtes Raumbild. Tietzes Österreichische Kunsttopographie sagt darüber: „Ein Unikum ist die Schloßcapelle. die ihre Gestalt und Ein- 'ichtung aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts behalten hat: überaus reiche Einzelstücke, deren Formen lie richtige Schreiner-Renaissance zeigen. Rastloser Schmucktrieb, der sich caum genug tun kann, und Freude an iröhlicher Buntheit geben den Gegenständen ihr Gepräge.“

Ein großer Saal mit Renaissancelecke und prächtigem Kamin bietet Jrkunden, wie sie im stillen Waldland liemand vermuten würde: Karl VI. verleiht das sogenannte Palatinat nebst anderem das Recht, ein öffent- iches Notariat auszuüben): Eugenio on Savoys markanter Namenszug bezeugt die kriegerische Überlieferung ler Herren auf Greillenstein (die iavoyendragoner kommandiert vor lem Prinzen ein Kufsteiner, der in Ungarn gegen die Türken fällt); der etzte'Kaiser, Karl, verleiht Karl Graf ton Kufstein den Orden des Goldenen Vlieses. — Zu einer finanzpolitischen Entscheidung Maria Theresias erfahren vir: -Ein Kufsteiner, Direktor der „Ge- leimen, reservierten Hofkasse", legt iber seihen außerordentlichen Eingang ton 3158 Gulden Rechnung. Die Kaiserin setzt in volksnaher Recht- ichreibung den Aktenvermerk: „wan :r sie mag behalten so mach mir ein -reud zu zeugen wie seine alte Dienst roch erkenne“.

Man diente , aber auch der Residenzstadt: dem Stadthauptmann von Wien, lohann Ferdinand von Kufstein, überreichten 1797 in Würdigung seines Wirkens die Stadtväter einen kunstvollen Kristallbecher.

Die stattliche Bibliothek des Schlosses, Belletristik, Wissenschaft und Unterhaltendes, wird leider nicht geringgeschätzt. Unter den bisherigen Besuchern verrieten sich Langfinger.

EHRFURCHT KOMMT UNS AN, als wir vor einer Vitrine stehen, in der sich die Künste ein Stelldichein geben. Neben einer Federzeichnung Romakos, singende Nomaden darstellend, lesen wir unter Originalbriefen die Namen: Otto von Nicolai, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Clara Schumann, Robert Schumann, Johann Strauß Vater, Charles Gounod, Goethe, Grillparzer, Berta von Suttner, Heinrich Heine. Fast alle Briefe sind an die Schloßherren gerichtet. Mendelssohn wendet sich an den Gesandten Karl Graf von Kufstein in der Angelegenheit des „Gesetzes zum Schutz des litherari- schen und artistischen Eigenthums“, Nicolai dankt für die Befürwortung der Dresdner Aufführung seiner Oper „Die Heimkehr der Verbannten“, Clara Schumann bittet um Empfehlungen für ihre Reise nach Rußland, Grillparzer notiert zu seinem Geburtstag 1862 den Vers: „Was edle Poesie so hoch vor allem stellt: Sie ist der ganze Mensch und auch die ganze Welt“, und Heinrich Heine dokumentiert sich in den „Mysterien in einem Aufzug: Was gehen dich meine Blicke an?“, deren „Personenliste“ lautet: Sie, die Sonne, Er, ein erblindender Adler, der Chor der Frösche, Chor der Affen, Chor der Maulwürfe. — Übrigens: Das Schloß bewahrt auch Briefe von Maria Louise. Ihre schlichte, sympathische Jungmädchenschrift — der eine Brief stammt aus dem Jahr 1818! — erweckt auf dem Hintergrund Paris, Elba, St. Helena, betroffenes Mitgefühl.

Doch nicht immer trafen Andenken und Präsente ein. Kaiser Franz, der einen Kufsteiner aus der Taufe hob, nahm sich in gewinnbringender Umkehrung patenschaftlicher Verbundenheit zwei wertvolle Renaissancesaaldecken und andere schöne Dinge für sein Laxenburg, wo er in der Franzensburg ein öffentliches Museum einrichtete. 1912 wurde Greillenstein in der Sache vorstellig, und Franz Josef entschied in einem Schreiben, das gleichfalls bewahrt wird, auf Rückgabe. Doch kam es nicht mehr zum Vollzug.

Ein eigener Saal ist Hans Ludwig Graf von Kufstein gewidmet. Außerordentlicher Botschafter in Konstantinopel, erhandelt er 1628 bis 1630 einen äußerst wertvollen „Staatsvertrag“: 25 Jahre Frieden mit der Pforte, den notwendigen Schutz der Ostgrenze während des Dreißigjährigen Krieges. Elf Bilder und viele Dokumente, eine kleine Kulturgeschichte der islamitischen Weltmacht, und ein Gemälde von der prunkvollen Abfahrt — zu Schiff — in Wien beweisen, daß man sich auch damals schon auf „Großen Bahnhof“ und Expertenbegleitung verstand.

Derselbe Hans Ludwig Kufstein, beredsam in sechs Sprachen, übersetzte die Schäferromane „Diana“ von Jorg de Montemayor und „Carcell de Amor“ von Diego de San Pero aus dem Spanischen ins Deutsche. Nach der Greillensteiner Familienchronik, die sich auf wissenschaftliche Quellen stützt, fußt die „Diana“ des Pegnitz- Schäfers Georg Philipp Harsdörfer auf der Kufsteinschen Übersetzung. Zeitgenössische Kritik erweist dazu die wortreiche Reverenz, daß er — Harsdörfer — sich „nur bemühte, die von letzterem (H. L. Kufstein) nach der zeitgenössischen Gewohnheit eingemengten französischen, welschen und lateinischen Wörter durch die neuerlich in Schwung gekommene Rechtschreibung zu ersetzen. Solches ist doch besagten Herrn Dolmetschers Schuld nicht beizumessen, sondern der bösen Gewohnheit selber Zeit. Jedoch verbleibt ihm, Herrn Khuffsteiner, das unsterbliche Lob, daß er unter den ersten gewesen, die aus fremden Sprachen mit sehr großer Mühewaltung zu übersetzen angefangen und hierdurch seines Namens ruhmwürdiges Angedenken gestiftet“. — Hätte ich mir, als wir im Seminar von den wunderlich-wackeren Sprachreinigern hörten, träumen lassen, daß ihre Spur bis in die Heimat reicht?

AUCH FRAUEN VERBLEIBEN UNSEREM GEDÄCHTNIS: Eine Kufsteinerin, verehelichte Kollonitz, wurde Mutter des aus der Geschichte der zweiten Türkennot Wiens bekannten Erzbischofs, die andere begleitete als Obersthofmeisterin die Erzherzogin Leopoldine, Tochter des Kaisers Franz, auf einem Segelschiff von Livorno nach Buenos Aires. Erzherzogin Leopoldine heiratete Kronprinz Pedro von Brasilien. Neben dem Tisch, der Dokumente und Briefe zeigt, liegt der Schiffskoffer der Greillensteiner Amerikareisenden, und diese Archivalien ergänzt ein Schreiben Metternichs mit Instruktionen für ihr Verhalten in Übersee.

Die anrufenden Farben dreier Uniformen beschließen zeichenhaft unseren Gang durch die Geschichte eines Hauses, die fast ständig Spiegel der österreichischen Geschichte war: die Uniform eines Landmarschalls Kufstein (1700), LIniformstücke der Leibgardereitereskadron und die Uniform eines Dragonerrittmeisters. Der Leibgardereiter Franz Josefs war der Großvater, der Rittmeister der Vater des jetzigen Herrn auf Greillenstein.

427 Jahre ist Greillenstein kuf- steinisch, woraus sich Traditionskraft und Vollständigkeit der Schloßeinrichtung erklären. Das gesamte Archiv und alles Schaugut ist eigener Bestand. - Bedankt sei das Land Niederösterreich, dessen Beratung und Helferschaft die Anlage des Museums ermög- 'ichten, bedankt seien Bundesdenkmal- imt und Bezirkshauptmannschaft, und obesam bedankt sei der gegenwärtige Jchloßherr für Anregung, Förderung jnd Überlassung.

ES WÄRE SCHÖN, fänden viele linauf in dieses unvermutete Schatztaus, das uns, sobald wir seinen schoten Torbogen durchschritten hatten, veithin führte ins Vergangene und mch ein gutes Stück weitaus. Ihr aber, he ihr nicht am Strom lebt, seid versöhnt! Am tiefsten beschenkt das Verborgene, am reichsten das Ent- leckte. Und Greillenstein — im Wald- 'iertel unweit von Horn — ist für riele noch unentdeckt.

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