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Sieben Umkreisungen der marokkanischen Stadt Fes.

Dichtung bündelt interkulturelle Probleme wie in einem Brennglas. Wer je versucht hat, ein Gedicht in eine andere Sprache zu übersetzen, weiß, wie schwer Klang und Wortspiele, Bilder und Metaphern sich in die andere Sprache hinüberretten lassen.

Augen öffnen

Der Orientalist Stefan Weidner, bekannt geworden durch sein Buch Mohammedanische Versuchungen (ein kenntnisreicher Essay über Christentum und Islam), beschreibt in seinem neuen Buch Fes in Text und eigenen Fotografien einen Kongress-Besuch in Marokko. Deutsche und marokkanische Gelehrte und Dichter übten sich im Übertragen der Dichtung des jeweils anderen Landes. Ein Spezialinteresse, doch was Weidner während dieses Treffens an Auseinandersetzungen erlebte und wie er das Land erfuhr, das er als Jugendlicher bereits besucht hatte, öffnet die Augen für eine verdrängte Erkenntnis: "Als wäre das Unvollständige, Bruchstückhafte nicht Teil dieses Kennenlernens, nur weil es vielleicht etwas anderes ist als das, was wir eigentlich wollen, nämlich restlos oder fast restlos alles zu sehen und zu begreifen."

Weidners Umkreisungen der uralten Stadt Fes bilden kein Reisebuch im herkömmlichen Sinn. Der Autor versucht, das andere, das Fremde durch Begegnungen mit Menschen in sich hineinzulassen und gleichzeitig seinen kritischen Verstand nicht auszuschalten. Als er auf einem Markt ein unheimliches Gericht aus Hammelhirnen, Hoden, Pansen, Köpfen und Tieraugen isst, fragt ihn ein junger Mann nach seinem Beruf. Er sei Schriftsteller, sagt er. "Schriftsteller! Ein unnützer Beruf! Die wertvollen Bücher werden von anderen geschrieben: von Ärzten, von Rechtsgelehrten, von Historikern, von Wissenschaftlern. Wozu braucht man Schriftsteller? Zur Unterhaltung? Dafür gibt es heutzutage das Fernsehen. Ohnedies sollen die Menschen lieber lernen. Ich bin gegen die Unterhaltung. Bücher brauche ich nur zum Lernen." So weit der Student.

Bei einer anderen Begegnung informiert ihn ein marokkanischer Gelehrter, dass sein zweiter Koran Nietzsches Zarathustra sei, er könne das Buch auswendig aufsagen. "Nietzsche habe sie aus der Gefangenschaft von, aus der Bezogenheit auf die Religion befreit, genauer, er habe sie vom Dogma und von den Aussagen der Religion erlöst und zugleich die Form, die Leidenschaftlichkeit, die Spiritualität gewahrt und hinübergerettet in die neue Zeit."

Verschüttetes freilegen

Weidner hat ein feines Sensorium für das verschüttete schöpferische Potenzial der islamischen Kultur. Verschüttet ist es einerseits, weil sich viele geistig tätige Menschen in Marokko wie auch anderswo der Sprache der früheren Kolonialherren bedienen. Und andererseits bekomme die westliche Lebensweise mit ihrer Hektik die islamischen Länder immer mehr in den Griff. Mit seinen Fotos von architektonischen Höchstleistungen, aber auch Szenen des Alltagslebens plädiert Weidner ohne Zeigefinger für ein neues Schauen-Lernen. Fes: Ein Buch, das zum Erlebnis wird.

Fes

Von Stefan Weidner

Mit 21 Fotografien des Autors

Ammann Verlag, Zürich 2006

204 Seiten, geb., € 19,90

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