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Schauspieler oder Substanz

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Daß eine Schauspielerin so großartig zu spielen vermag, daß man darüber vergißt, wie schablonenhaft der Handlungsrahmen ist, der sie umgibt, beweist Luise Ullrich in der Rolle einer Witwe und Mutter dreier erwachsener Kinder, zu denen sie ein spätes viertes bekommt, für das sie eines tragischen Zufalls wegen keinen Vater hat. Diese Darstellerin, und nur sie, gibt dem Film, der sein Motiv aus Ernst Wiecherts Novelle gleichen Titels „Regina Amstetten" übernimmt, seine eigentliche Substanz und macht das romanhafte Schicksal der Gutsbesitzerin aus dem deutschen Osten ebenso wie die an Themenkreise der beiden letzten großen Erfolge der Künstlerin an-klingenden nur an sich gehaltvollen Worte von Menschlichkeit und Gottverbundenheit erträglich, fast glaubhaft. Nut' die Rührung der dicht und verhalfen därgdstellRin Eiifzėl- szencn und die "(sparsame) Verwendung von Zeitrequisiten trüben den Blick für die Schematik und geringe Dramatik des behandelten Stoffes und die Lösung des auf die Spitze getriebenen Konfliktes der Frau, die sich zum Kind eines Toten bekennt, während ihre Kinder den außer der Ehe geborenen Halbbruder ablehnen, erst durch und nach dem Zusammenbruch der ganzen Welt von einst, ist bloß ein Ausweichen.

Jean Cocteaus im Film bewahrtes und verdichtetes Bühnenstück „D ie schrecklichen Eltern“ mit seiner subtilen Verschli ngung von Komödien- und Tragödienfäden gibt ein erschreckend makabres, man könnte sagen klinisches Bild einer zerstörten, in den Wurzeln kranken und vergifteten Familie, in der der Egoismus der Mutter dem Sohn sein eigenes Leben ersticken will und in der der Vater zum Nebenbuhler des eigenen Sohnes geworden ist. Es ist ein raffiniertes artistisches Spiel in einer desillusionierten Welt ohne Hoffnung, kaum Mahnung oder Anklage. Aber der Schauplatz, die Wohnung mit Hirer erstickenden Atmosphäre, läßt mehr Substanz spüren als das restliche dreiviertel Dutzend Filme, die letzten Freitag neu ange- boteh wurden.

Varianten ihrer Vorgänger waren die deutsch synchronisierte Fassung von Oscar Wildes „Bun- burry", „Ernst sein ist alles" — naturgemäß schwächer als sein originaler Vorläufer, den wir schon gesehen haben. Variante des erfolgreichen Erstlings vor einem Vierteljahrhundert war auch die Zweitverfilmung des „Unsterblichen Lumpen", der unerkannt bei der Enthüllung seines eigenen Denkmals steht, publikumsrührsatne, aber in ihrem Wollen und Können zu bescheidene Nachzeichnung des dankbaren, reichere Möglichkeiten enthaltenden Stoffes.

Eine schöne Premiere mit einem Kulturfilm in Farben aus der Kamera des Tirolers Theo Hörmann, „Steiermark, du schöne grüne Welt", bot Oesterreich. Seine Farbkopien sind die erste Leistung der Farbfilmabteilung des neuen Kopierwerkes der Wien-Film in Grinzing. Es ist ein einfallsreicher, schöner Film, der seinen Weg zu einem Millionenpublikum schon vorgezeichnet hat — er wird das Vorprogramm zum Sauerbruch-Film bilden.

Aus dem sonstigen zahlreichen Angebot verdienten noch der gepflegte amerikanische Familienfilm aus dem Kriege „Als du Abschied nahmst", trotz seiner Zeitbezogenheit, und der Abenteuerfilm mit Clark Gable, „Gold fieber in Alaska", als eine erfreuliche Ausnahme seiner Gattung Erwähnung.

Lebendige Dokumente des Theaters erstehen zu lassen, ist das Ziel einer Reihe von Versuchsaufnahmen, welche das Unterrichtsministerium veranlaßte. Es galt zu entscheiden, ob es dem Film möglich ist, die Höhepunkte des österreichischen Thea terlebens in seinen Spitzeninszenierungen für die Mitwelt, die aus äußeren Gründen zu diesem Theater nicht kommen kann, und für die Nachwelt, für die es vergangen ist, zu erfassen. Die Probeaufnahmen aus „Der Widerspenstigen Zähmung" und dem „Sommernachtstraum" haben gute Erfahrungen gebracht, und schon im kommenden Monat soll die Staatsoperninszenierung „Figaros Hochzeit" als Farbfilm diese Serie von Theäterdokumentarfilmen eröffnen.

Es handelt sich dabei um eine Filmgattung eigener Art, nicht verfilmtes, sondern gefilmtes Theater, bei dem die Wirkung der Bühneninszenierung und die aktive Aufmerksamkeit des Zuschauers auf das Wort erhalten bleiben soll. Nicht der Film und das Bild, sondern das Wort und der ganze Schauspieler sollen die Aussage übernehmen, und die Führung der Aufnahmen in möglichst einem Zuge soll ebenso die Möglichkeit geben, dem Schauspieler die geschlossene, aus der Steigerung des einen Bühnenabends geschaffene Leistung zu ermöglichen, die der Bühnenschauspieler dem Filmdarsteller voraus hat, als auch durch die so erforderliche geringe Zahl der Drehtage die Kosten niedrig zu halten.

Der Regisseur — Direktor Stöger von der Mun- dus-Film wird den ersten Film herstellen — ist bei diesen Theaterdokumentarfilmen eher als Arrangeur anzusprechen, denn er soll an der Bühneninszenierung nichts ändern, er soll nur die ausstattungsmäßig und schauspielerisch fertig inszenierte Aufführung ähnlich wie ein Fernsehregisseur mit Hilfe seiner drei Kameras im Film erfassen.

Umlernen müssen, wie die ersten Probeaufnahmen ergeben haben, bei diesem neuen Verfahren die Arbeiter und Techniker des Ateliers, die vor neue Aufgaben gestellt werden. Umlernen muß der Filmregisseur, der die Groß- oder Nahaufnahme nur spärlich verwenden darf, nur dort, wo sie das Wort unterstreicht, wo auch der Zuschauer zum Opernglas greifen würde. Umlernen muß auch der Zuschauer, der von dieser n§uen Filmgattung , nicht Film, sondern Theater erwarten muß. Die Filme, die etwa ein bis zwei Bühnenwerke im Jahr festhalten werden, werden in Farben gedreht werden. Sie sollen für Schulen und für Institute und Vereinigungen -des Auslandes, aber auch im Fernsehen vorgeführt werden und haben bereits in anderen Staaten Vorbilder. In England hat das Old Vic Theater Filme seiner Inszenierungen hergestellt, die auch ein geschäftlich ins Gewicht fallendes Interesse gefunden haben, und in Rußland wurden seit langem die wichtigen Inszenierungen der großen Bühnen mittels des Films festgehalten. Welche Bedeutung aber solchen Dokumenten der Theaterkultur einer Zeit für die Theatergeschichte künftiger Jahrzehnte zukommt, ist gar nicht abzusehen. Eine neue Filmart, der Theaterdokumentarfilm, kommt der Bühne zu Hilfe als Verbreiter und Bewahrer. Es ist ein Experiment, das zu wagen sich lohnt und dem man einen guten Erfolg wünschen möchte.

Filmscbau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 11 IV vom 18. März 1954: III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Quo vadis?", „Der unsterbliche Lump". — IV (Für Erwachsene): „Die Gefangene des Maharadscha", „Der Rebell von Java". — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Geheimdienst schlägt zu", „Segel im Sturm". — IVb (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Regina Amstetten". — V (Abzuraten): „Die schrecklichen Eltern"

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