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Schauspieltheater

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Es gibt Abende, an denen man von Herren froh ist, daß es in Wien — wie vielleicht nirgends anders im deutschen Sprachraum — immer noch (oder am Ende schon wieder?) eine Art des Theaterspielens gibt, die einzig und allein vom Schauspieler getragen wird. So erging es uns etwa bei der österreichischen Erstaufführung der Komödie eines Herrn Norman K r a s n a in den Kammerspielen: „Ein netter Herr“. Eine öde, belanglose Geschichte, mit frappierender Naivität in einer für wirklich ausgegebenen Welt angesiedelt, die nicht einmal ein Illustriertenroman als Realität anbieten dürfte, holprig und banal übersetzt von C. Braun, ak Rahmenhandlung für eine etwas pompös geratene Modenschau, als Textunter-malung für einen Fernsehwerbefilm (laut Programm sogar für Bestecke, Uhren und Hüte) inszeniert (Kurt Wilhelm). Aber da stehen neben vier anderen, 6icher die Stichwörter bringenden Kräften des Ensembles zwei Schauspieler auf der Bühne, die v:eles wieder so gut machen, daß man den recht länglichen und zerdehnten Abend nicht als ganz verlorenen ansieht: Susanne A1 m a 6 s y und Johannes Heesters. Unwirklich, phantasievoll überhöht, verkitscht natürlich auch in ihrem Fall die Figuren, die sie darzustellen haben, dumm der Text, unwahrscheinlich die Situation. Aber das Wie, die Nuance! Das läßt für Augenblicke allen Ärger und alle Langeweile vergessen.

Dann aber gibt es Abende, an denen man bedauert, daß es in Österreich — wie kaum irgendwo — Schauspieler von solcher Vitalität und Durchschlagskraft gibt, daß ihnen kein Regisseur gewachsen ist, weil es keinen Text der Weltliteratur gibt, den sie sich • nicht nach eigenem Gutdünken zurechtmodeln und zur Selbstdarstellung umformen. Nikolai Gogols Lustspiel „Die Heirat“ (das Theater in der Josefstadt war um seine Wiedergabe bemüht) 6pielt im vormärzlichen Rußland unter Zeitgenossen Puschkins, unter Menschen, die Tolstoj rückschauend porträtiert hat. Bei Lotte Lang wird aus dem Russischen das Böhmische, bei Karl P a r y 1 a das Wienerische. Die verschmitzt-tyrannische, bigotte und lüsterne Heiratsvermittlerin wird zur zwerchfellerschütternden Lokalpossenfigur, der dämonisch-zappelige, die unheimliche Gier nach Handel mit Menschen und Gefühlen in Gogols früher Vision ahnen lassende Heiratsvermittler Kotschkarjow wird zum ruhelos agierenden, kulissenreißenden Hallodri. Man kann ihnen beiden den Applaus nicht verweigern. Aber man trauert um Gogol, um alle Zwischentöne dieses genialen, doppelbödigen Werkes, das mehr zur Romantik E. Th. A. Hoffmanns als zum kritischen Realismus des späteren Ostrowski) gehört. Hans H o 11 m a n n s Regiekonzept schien von dieser Erkenntnis auszugehen, weniger das Bühnenbild Gerhard Hrubys, der sich eher von den Textfigurinen des Programmheftes (Emmy Grimme-Sa-g a i) und von den Kostümen (Hill R e i h s-G r o m e s) hätte inspirieren lassen sollen. Aber in dieser aufkommenden Enttäuschung wird man getröstet, sobald Leopold R u-d o 1 f (Hofrat Podkoljossin) in täuschender Grillparzer-Ähnlichkeit die Bühne betritt, und gar dann, wenn er sein ver-hemmtes Liebesgespräch mit der ebenfalls ausgezeichneten Angelika H u r w i c z (Agafia) führt. Da lebt das alles auf: die hamletische Entschlußlosigkeit, die weite Seele, der Selbstekel und der plötzliche Akt der negativen Entscheidung. Da ist Gogol präsent. Dieses Lob kann mit ganz leichter Einschränkung auch den drei Freiern im zaristischen Beamtengrün gezollt werden: Guido Wieland, Georg Bücher und Walter V a r n d a 1. In dieser Reihenfolge.

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