Scheitern an sich

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THOMAS GLAVINIC ERZÄHLT DIE GESCHICHTE EINES ÜBERFORDERTEN MANNES - GESPICKT MIT ZITATEN UND VERWEISEN.

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THOMAS GLAVINIC ERZÄHLT DIE GESCHICHTE EINES ÜBERFORDERTEN MANNES - GESPICKT MIT ZITATEN UND VERWEISEN.

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Der Rollenmonolog ist eine schwierige Textsorte, umso mehr, je unsympathischer und uninteressanter die ungebremst vor sich hin "quasselnde" Figur angelegt ist. Man braucht tatsächlich einiges an Geduld und Humor, um den sprachlichen wie inhaltlichen Banalitäten in Thomas Glavinics neuem Roman eine Art Witz abzugewinnen, was der österreichischen Kritik durchgängig besser gelang als der ausländischen.

Der Mann mit dem nicht überraschenden "Tarnnamen" Tom scheint einer aus der Generation jener, die durch das Platzen der dot.com-Blase dann doch nicht groß herausgekommen sind -er ist Computerspieltester -, urban, markenversiert, lifestyletauglich, aber eher in der Schmalspur-Variante und also voller Neidreflexe, fast schon Native der Neuen Medien, aber doch von den Jüngeren längst abgehängt. "Ich arbeite mit ziemlich elender Software ... Aber ich bin dieses Livestream-Programm seit Jahren gewohnt und zu faul, um mich umzustellen", gesteht er gleich zu Beginn seiner ersten Session.

Abend für Abend erzählt er unkontrolliert vor sich hinplappernd einer potenziellen Zuhörerschaft von seinen Vorlieben und Vorurteilen -gegen Intellektuelle, Frauen, Homosexuelle, deren intime Praktiken ihn schwer beschäftigen -, um nebenbei zu erklären, weshalb er sich mit seinem kleinen Sohn in einem abgelegenen Haus verschanzt hält. Er ist auf der Flucht vor der bestialischsten Mörderin aller Zeiten. LISA, Inkarnation aller irrationalen Ängste, das passt zu Tom, der eine Nacht im Zelt - in der harmlosen heimischen Natur, nicht in der Serengeti -als Mutprobe empfindet, verbal für Selbstjustiz plädiert, gern starke "drei-Meter-Männer" zu Freunden hätte und mit sabberndem Schauer brutale Mordszenen detailreich memoriert. Rasch ist klar, dass die Story vom 2009 entlarvten "Phantom von Heilbronn" inspiriert ist, als Wattestäbchen mit der DNA-Spur einer Verpackerin die Kripo zwei Jahre in Atem hielten, eine reale Polizeiposse, der Glavinic gegen Ende einen etwas aufgesetzt wirkenden Drall gibt.

Der Stammtisch steht im Netz

Im privaten Leben ist Tom ein sozial verklemmter, rücksichts-und verantwortungsloser Egomane. Schwach, ängstlich, erfolglos, drogensüchtig und überfordert von den multipleren Anforderungen des neuen Männerbildes, setzt er auf sprachliche Martialik und posaunt tiefste Späße aus den untersten Schubladen mit fast kindischem Trotz hinaus. "Ich bin mehr einer, der ganz gern merkt, dass er ein Kerl ist , weil ich ein Tatmensch bin und zupacken will", rülpst er ins Mikro, das nie ordentlich funktioniert, genauso wenig wie sein mit Koks, Whiskey und Wein zugedröhnter Kopf. Der hindert ihn auch, der Sorgfaltspflicht dem Sohn gegenüber nachzukommen, obwohl er vor dem allabendlichen Blackout so tut, als ob. Sollte der arme Junge das Abenteuer seines paranoiden Vaters unbeschadet überstehen, will Tom, in der Gegenwart viel weniger angekommen als er glaubt, den Jungen in die Geheimnisse des CB-Funkens einweihen -das Vater-Sohn-Melodram "Frequency" lässt grüßen.

In erschreckender Direktheit führt Glavinic vor, wie die Stammtisch-Rede ins Internet immigriert ist, ein neues Medium macht noch keine neuen Menschen. Was dieser Tom von sich gibt, unterscheidet sich nicht von Bierzeltgegröle, modernisiert haben sich nur Droge und Begleitmusik. Man kann "Lisa" durchaus als etwas vergröberte Adaption des inneren Monologs in Schnitzlers "Lieutenant Gustl" lesen. Auch der lässt in einem Zustand angstindizierter Sensibilisierung sein Leben Revue passieren und seinen Gedanken freien Lauf. Aus den Widersprüchen seiner Assoziationen entsteht bei Schnitzler das Psychogramm des Militärs um 1900, bei Glavinic, etwas weniger kunstvoll, dafür voller Verweise auf Phänomene der Populärkultur, das eines potenziellen urbanen Strache-Wählers.

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