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Schelmentag 1. April

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Eine Kulturgeschichte eines Tags der Narretei.

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Eine Kulturgeschichte eines Tags der Narretei.

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Anfangs des 18. Jahrhunderts schrieb einer der ersten scharfen Beobachter und guten Kenner des Wiener Volkstums, der Satiriker Johann Valentin Neiner, in einem seiner anonym erschienenen Narrenkalender zum Monat April: „April schickt man die Narren wo man will, der erste und letzte Tag dieses Monaths dienet vielen zur Kurzweil, indeme sie diejenigen, welche etwas unter den Hut contrackt, leichtlich zu einer vollkommenen Torheit bringen können, nur schade, daß öfters ein Narr den andern schicket.“ Und um die Mitte des gleichen Jahrhunderts meinte der Begründer des Wiener Volksstückes, der lebenslustige Philipp Hafner, in seinen „Hanswurstischen Träumen“, einem Rokokoausläufer der alten Kalender- und Praktikenliteratur volkstümlicher Art zu diesem Monat: „Im April und besonders am ersten, sollte einem meistens von Narren träumen!“ Schon damals also und sicherlich bereits Jahrhunderte früher, war also in Wien das Brauchtum des 1. April voll ausgebildet. Ein Spott- und Necktag ersten Ranges, wie ihn die Faschingszeit bei uns nicht besser kennt, läßt dieser Tag alljährlich eine Fülle volkstümlichen Witzgutes zutage treten, das in ganz Mittel- und Westeuropa ungefähr gleichartig lautet, und immer wieder die Harmlosen und Unvorsichtigen in listige und lustige Fallen einbrechen läßt.

Über den Ursprung dieser merkwürdigen Sitte gibt es keine Gewißheit, nur eine Reihe von Vermutungen. Sicher ist jedenfalls, daß wir unter den uns verwandten Völkern damit nicht allein dastehen. Ungefähr zur gleichen Zeit feierten die Römer ihre „Quirinalien“, die ein ausgesprochenes Narrenfest waren. Und das altindische Hulifest scheint die richtige Entsprechung im Osten gewesen zu sein. Damit aber gelangen wir zu der wichtigen Erkenntnis, daß es sich wohl bei unserem Schelmentag ähnlich wie bei den Narrenfesten der Römer wie der Inder um die Begehung eines Frühlingsbrauches gehandelt haben muß und eigentlich noch handelt. Denn wie der Fasching das Fest der Umkehr vom Winter ist, so reihen sich dann besondere um den kalendarischen Frühlingsanfang die festlichen Begehungen dieses jährlich wiederkehrenden großen Wechsels in der Natur in großer Zahl, wobei jeder Festtag seine eigene Note besitzt: am Totensonntag wird der Winter feierlich ausgetrieben, am Palmsonntag treten die ersten Gaben des neuen Fruchtbarkeitsjahres in festliche Verbindung zum Brauchtum der Osterzeit. Am 1. April jedoch zieht einmal, einen ganzen Tag lang, eine frohe Woge kindlichen Scherzens durch das ganze Volk. Das äußert sich vor allem in den verschiedensten Formen harmlosen Spottes. Wer den alpenländischen Bauern kennt, der weiß, daß er immer gern zu einer besonderen Form des Spottes und Hänselns aufgelegt ist, zum Joppen“.

Ein Wortwitz, eine kleine Falle, die man der Eigenart des zu Foppenden stellt, die Freude der spielenden Gemeinschaft am Verdutztsein des Neulings, das ist die echte Fopperei, wie sie die Burschen in oft erstaunüdier Fülle kennen und spielen lassen und wie sie noch den gesetztesten Bauern eine nicht zu unterdrückende Freude machen kann. Eine solche Necklust aber beseelt diesen ganzen Tag. Wer dabei aufsitzt ist „April narr“. Damit verbindet sich wieder ganz deutlich die Vorstellung des Frühlingsbrauches: der 1. April ist in dieser Eigenschaft geradezu Jahresbeginn, denn „Aprilnarr, Aprilnarr, bleibst a Esel das ganze Jahr!“ Nach den Redensarten soll man freilich nicht zu viel schließen wollen; nach den deutschen wenigstens möchte man ja geradezu meinen, der April wäre ein Ort — man kann in ihn „hineinschicken“. Dieses „In-den-April-Schicken“ scheint aber erst eine spätere Auslegung und sprachliche Verkümmerung zu sein. Es handelt sich dabei .um den Spottbrauch, wie er besonders in Schülerkreisen auch heute noch allgemein üblich ist, nämlich um das Herumschicken des Opfers mit allerlei unmöglichen Aufträgen. Meistens schickt man den Neuling in die Apotheke und trägt ihm auf, Dinge zu holen, die man nur sehr schwer erwerben kann, etwa Krebsblut oder Mückenfett, Dukatensamen oder Oxtradium — welch seltenes Medikament dann im Augenblick der Erleuchtung zu „Ochs, drah di um!“ wird — und ähnliche Seltsamkeiten. Manchen derartigen Spässen merkt man deutlich ihre Entstehung in der Schule an, wo sie ja auch heute noch am meisten zu Hause sind, und weiter in Studentenkreisen, welche mit ihren lustigen Volkslatinisierungen manchen guten Scherz im Volk eingebürgert haben. Daß Studenten mancherorts um „mens“ schicken, was Verstand heißt, gehört ebenso hierher, wie das Oxtradium, das Mystifit und das vielgenannte Ovidum, das sich im nachhinein als „Oh, wie dumm!“ herausstellt.

Man scheint von diesem Tag nicht immer so restlos heiter gedacht zu haben wie heute. Alle volkstümlichen Festzeiten tragen seit den frühesten Zeiten ihrer Entwicklung das Gepräge einer gewissen Doppelgesichtigkeit an sich, aus dem einfachen Grunde, weil sie im,Gefüge jener großen Ordnung des volkstümlichen Lebens stehen, die man kurz als den Kalender bezeichnet. Das Volksleben gleitet über dessen Marken nicht so leicht hinweg, wie man in den Spätzeiten der einzelnen Bräuche annehmen könnte. Diese Marken und Schwellen gelten vielmehr immer als einschneidend, als doppelköpfig, weil sie eben nach vorn und nach rückwärts gerichtet sind. Beim ersten April sieht man deutlich, daß die Spott-und Scherzlust nur eine Hälfte der Bedeutung des Tages darstellt. Die andere aber schließt sozusagen den Winter ab, sie läßt den Tag sogar vielfach als ausgesprochenen Unglückstag erscheinen. Wenn Aprilkinder schon überhaupt nicht überall als Glückskinder gelten, so erst recht nicht die am ersten des Monats geborenen. In der Volksmedizin herrschen verwandte Meinungen. Manche Hexerei spielt sich an diesem Tag ab, das Vieh soll man nicht aus dem Stall führen, Werkzeuge, die an diesem Tag gefertigt werden, taugen nicht viel, und zur Aussaat von Gerste ist er ebensowenig geeignet wie zum Beginn des Bienenfluges.

Während sich nun das Volk wenig um den Grund und Ursprung des Tages als Neck- und Witztermin gekümmert hat, wollte es schon im Mittelalter eine Ursache der vielfältigen Plagen seiner schlimmeren Hälfte erfahren. Die verbreitetste Meinung, welche deutlich mittelalterliches Gepräge trägt, geht dahin, daß an diesem Tag Judas geboren worden sei oder auch sich erhängt habe. Damit wird die ganze Vorstellung von einem Unglückstag im Frühling in den Gedankenkreis um das österlich Fest eingereiht und im mittelalterlichen Sinn auch begründet. Judas als Verräter des Herrn genoß den Haß der Christenheit wie keine zweite Gestalt der biblischen Erzählung, Ihm wurde schon früh eine abenteuerliche Lebensggeschichte angedichtet, und vom Passionsspiel her wie aus der bildenden Kunst kannte ihn das Volk sehr genau, mit seinen roten Haaren, dem Geldbeutel und den verzerrten Gesichtszügen. Hohn und Spott gegen ihn gibt es in der Volksdichtung genug, das „Armer-Judassingen“ ist eine der bekanntesten Formen davon gewesen. So braucht es weiter nicht zu verwundern, daß der Spotttermin und der Gedenktag des Verräters sehr gut zusammenzupassen schienen, wodurch die Volksvorstellung Färbt und Plastik erhielt.

Die neue Zeit hat derartige Hintergründe weitgehend vergessen. Die fröhliche Seite der Volksüberlieferung ist bei weitem stärker in den Vordergrund getreten als dies früher wohl der Fall war. Wenn der typische Wiener Raunzer Josef Richter, der Verfasser der satirischen „Eipeldauer-Briefe“ 1808 meinte, daß dieses Spaßbrauchtum allmählich im Abnehmen sei und sogar schreibt: „Einmal soll's z' Wien d' Modi gwest seyn, einander in April z'schicken“, so hat er jedenfalls reichlich verfrüht ein Ende dieser Sitte angenommen. Der Volkswitz ist nicht gestorben. Er hat schon die sonderbarsten Zeiten überdauert und im Wienertum gerade in schwierigen Perioden besondere Blüten getrieben. Deshalb wird auch der Aprilscherz sicherlich auch weiterhin sein Wesen bewahren.

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