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Pablo Picasso als "Lyriker".

Wer hat, dem wird gegeben. In diesem Fall Aufmerksamkeit. Pablo Picasso malte 1935/36 wenig, lebte in Scheidung, sah politisch düstere Zeiten heraufziehen in seiner Heimat Spanien. Er wollte sich verändern und begann zu schreiben.

1935/36 schrieb er fast täglich, datierte seine Gedichte und behielt diesen künstlerischen Ausdruck bis 1959 sporadisch bei. 350 Gedichte in spanischer und französischer Sprache kamen zustande, die erst durch eine Gesamtausgabe aus dem Jahr 1989 vollständig bekannt wurden. Jetzt gibt es die französischen zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Wie sehr Picasso das Übersetzen als schöpferischen Akt begriff, geht aus folgendem Zitat hervor: "Wenn ich in einer Sprache denke und schreibe:, der Hund rennt dem Hasen hinterher in den Wald', und das in eine andere Sprache übersetzen will, muss ich sagen:, der weiße Holztisch drückt seine Pfoten in den Sand und stirbt fast vor Angst dass er so (dumm) sein könnte.'"

Längere und kürzere wie Prosa geschriebene Texte ohne Punkt und Komma, ohne Logik, ein wortreiches Wüten: Die Wörter stoßen aneinander wie "Gegenstände" in seiner Malerei.

Eine Besonderheit sind die Variationen, in denen er die gleichen Wörter und Sätze in unterschiedlicher Reihenfolge kombiniert, wie in der Malerei, wo er Farben und Formen erprobt hat. Diese Experimente wirken, als wollte er herausfinden, welche Wortanordnungen möglich sind. Er vermischte auch Wörter, Zahlen und Musiknoten zu Collagen. Eine andere Schreibmethode Picassos war die, zunächst einen Text zu notieren, dann Zusätze einzufügen, die nichts mit dem ursprünglich Geschriebenen zu tun haben: Sinnzertrümmerung. Eines von den "verständlicheren" Beispielen, das Gedicht vom 20. Juli 1937: "und uns bekümmert das Drittel des Viertels Freude und die Sanftheit und die Last der Erbse die an den Federn des in Anschlag gebrachten Herzens klebt." Verständlicher deshalb, weil zwei Verben den Satz auflockern; das Verhältnis von Verben und Substantiven ist sonst 1 zu 7: Nominalstil heißt das in der Stilistik.

Doch es ist sinnlos, Verstehbarkeit einzufordern oder Sinn zu suchen in diesen Artefakten. Picasso wollte bei seinem Schreiben, dass die Sprache "von einem Delirium ergriffen wird, das sie entgleisen lässt". Er wollte die Sprache zu einem Gegenstand machen, sie sollte nicht mehr Sinnträger sein. Der Einfluss der französischen Surrealisten um André Breton ist spürbar, die vom "automatischen" Schreiben schwärmten, von der Ent-Fesselung der Sprache durch die Bande der Logik, der Syntax.

Wohl im Scherz sagte Picasso am Ende seines Lebens, man werde sich seiner erinnern als einen spanischen Dichter, der auch dilettiert habe in der Malerei, Zeichnung und Skulptur. Doch gibt es auch ernsthafte Aussagen von ihm zu dieser Fußnote seiner unbändigen Schaffensenergie: "Am witzigsten ist allerdings, dass man mich ernst nimmt, als ob ich ein echter Schriftsteller wäre." Wer hat, dem wird gegeben: Aufmerksamkeit. Doch zum Lesen sind diese Schreibergüsse ermüdend. Bis auf ein zauberhaftes Wort: "Schlusspunktduft".

Gedichte

Von Pablo Picasso

Aus dem Französischen von Holger Fock

Deutsche Verlags-Anstalt München, 2007. 188 Seiten, geb., € 14,95

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