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Lars von Trier gilt als extremer Filmemacher. Sein jüngstes Opus „Antichrist“ ist ein weiterer Beweis dafür. Charlotte Gainsbourg, die Hauptdarstellerin in diesem Film, erhielt heuer in Cannes dafür die Silberne Palme. Im FURCHE-Gespräch erzählt sie über diese bislang größte Herausforderung ihrer Karriere. Das Gespräch führte Magdalena Miedl

Für ihre Rolle in Lars von Triers „Antichrist“ erhielt Charlotte Gainsbourg bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis als beste Schauspielerin. Im Gespräch erzählt sie von der Lust an der Provokation und von der härtesten Rolle ihrer bisherigen Karriere.

Die Furche: Lars von Trier ist berüchtigt dafür, dass seine Hauptdarstellerinnen es nicht leicht mit ihm haben. Wie sind Sie mit ihm ausgekommen?

Charlotte Gainsbourg: Ich gebe zu, ich war nervös. Ich hatte die wildesten Dinge gehört, dass er hart und brutal und grausam sei. Aber das war er nicht, im Gegenteil: Er war sehr berührend und verletzlich, und er war meiner Figur sehr nahe. Er war sehr inspirierend, er vertraute mir komplett und verlangte auch von mir absolutes Vertrauen. Es war wichtig, dass ich auch bei den Nacktszenen sicher war, dass er niemals etwas filmen würde, dessen ich mich schämen würde.

Die Furche: Sie wollten die Rolle unbedingt?

Gainsbourg: Ja, weil ich mit ihm arbeiten wollte. Ich finde seine Arbeiten sehr eindrucksvoll und wollte diese Erfahrung unbedingt machen. Das wusste ich schon beim Lesen des Drehbuchs. Niemand hat bisher von mir verlangt, so weit zu gehen. Darauf hofft man aber als Schauspieler. Denn ich will nicht das Offensichtliche tun.

Die Furche: Was war für Sie am schlimmsten?

Gainsbourg: Das Schwierigste war die Szene, in der mein Filmpartner Willem Dafoe mich erwürgt. Ich fühlte mich sehr unter Druck. Lars hatte mir Videos von Strangulierungen gezeigt, Internetclips von Leuten die sich selbst gern würgen, und all das baute viel Spannung auf. Die Leute am Set diskutierten die verschiedenen Todesszenen in seinen anderen Filmen, und wie andere Schauspielerinnen da eindrucksvolle Dinge geleistet hatten. Plötzlich war ich sehr nervös. Die Szene selbst war physisch sehr schmerzhaft, aber ich wollte diesen Weg gehen. Willem drückte nicht fest zu, aber ich bat ihn, mich hart anzufassen. Ich hörte auf zu atmen, und ich fürchtete mich sehr – aber das war auch gut so. Ich fühlte mich sehr masochistisch in diesem Moment, denn diese Schmerzen, denen ich mich freiwillig unterwarf, waren auch aufregend. All das Leiden, das Weinen und Schreien war richtig berauschend.

Die Furche: Im Film kommen einige sehr heftige Szenen vor, etwa mit genitaler Selbstverletzung. Was wollen Sie damit provozieren?

Gainsbourg: Für mich ist das der Standpunkt eines echten Künstlers. Auch wenn diese Bilder hart und voll Gewalt sind, finde ich sie sehr interessant, und ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Lars ist kein Frauenhasser, wie man ihm unterstellt hat. Für mich wirkte es eher, als wäre er Teil dieser Frau. Ich habe ihn angesehen und mit dieser Rolle ihn porträtiert. Natürlich geht dieser Film erbittert mit Frauen um, aber ich finde ihn vor allem faszinierend.

Die Furche: Ist die Lust an der Provokation etwas, das Sie von Ihren Eltern geerbt haben?

Gainsbourg: Es ist richtig, dass mein Vater große Lust an der Provokation hatte. Hier bin ich aber nur Interpretin, der Antrieb kommt von Lars. Aber es stimmt schon, diese Darstellung hat schon auch etwas von dem berühmten Lied „Je t’aime“, das meine Eltern gemeinsam gesungen haben und das so skandalisiert wurde. Die Provokation 1969 durch das Lied war so etwas wie der Schock heute durch „Antichrist“. Meine Mutter brachte sich dadurch damals in eine Position, in die ich mich jetzt richtig gut versetzen kann. Ich war ständig im Gespräch mit ihr während der Dreharbeiten, und das war wichtig für mich. Dass sie eine solche Erfahrung schon hinter sich hatte, gab mir irgendwie die Berechtigung, das zu tun, was ich tat, und mich dafür nicht zu schämen.

Die Furche: Was denken Sie über Ihre Figur? Ist sie böse?

Gainsbourg: Vielleicht! Ich wollte, dass sie im Film schuldig ist, aber ich wollte sie auch verstehen. Ihr Verlust ist so extrem, dass ich den Wahnsinn nachvollziehen kann, in den sie hineinkippt. Aber sie ist mir nicht nahe, ich weiß nicht, wer sie ist. Das Seltsame ist, dass ich nicht wusste, was Lars von mir dachte, und das gab mir das Gefühl, komplett anonym zu sein in dieser gewaltigen Landschaft. Im Drehbuch habe ich auch keinen Namen. Diese Anonymität war wichtig.

Die Furche: Haben Sie mit diesem Film Teile Ihrer eigenen Persönlichkeit angerührt, die sonst nicht an der Oberfläche sind?

Gainsbourg: Nein, nicht bewusst, ich wollte keine dunklen Ecken in mir aufzustöbern, und ich wollte unbedingt vermeiden, bei der Rolle an meine eigenen Kinder zu denken! Ich wollte mein eigenes Leben nicht als Vorlage verwenden, dafür bin ich zu abergläubisch. Unbewusst tut man das aber wohl. Ich war allen Gefühlen gegenüber ganz offen, und es hat sich alles sehr natürlich ergeben. Lars schiebt einen in die Richtung, in die er einen haben will; wenn man einmal seine Hemmungen aufgegeben hat, bringt er einen so weit, wie er will.

Die Furche: Wissen Sie jetzt, wer der Antichrist ist?

Gainsbourg: Nein. Ich fragte Lars tausend Dinge, nein, nicht tausend, weil ich bald merkte, dass ich keine Antwort bekommen würde. Aber ich wollte unbedingt wissen, ob er in diesem Film eine religiöse Bedeutung sieht, die ich wissen sollte, Querverweise, die ich kennen sollte. Aber er wollte nichts erklären. Er war dabei nicht störrisch, er sagte mir bloß, dass er es selbst nicht wisse. Es ist also okay, viele dieser Fragen einfach ungelöst zu lassen.

Die Furche: Sind Sie selbst religiös?

Gainsbourg: Nein, ich bin zwar der Religion meines Vaters nahe, dem Judentum, aber ich könnte nicht sagen, dass ich religiös bin. Ich glaube auch nicht wirklich an eine höhere Macht. Ich wünschte, ich würde glauben, aber nein, ich glaube an gar nichts.

Die Furche: Sie haben vorhin über Schuld gesprochen. Ist das eine religiöse Schuld?

Gainsbourg: Für mich ist das Gefühl der Schuld etwas, das ich sehr, sehr gut verstehe. Für mich ist Schuld sehr oft ein einfacher Weg, mit Dingen umzugehen. Ich glaube, das ist die Art der Erziehung, die ich hatte, wenn auch nicht in religiöser Hinsicht: Ich fühle mich ständig schuldig, wegen meiner Kinder, wegen allem! Aber das ist etwas sehr Persönliches.

Die Furche: Welche Ängste haben Sie?

Gainsbourg: Das hat mich auch Lars gefragt, als ich ihn erstmals getroffen habe. Ich fürchte mich vor dem Sterben. Diese Angst hatte ich früher nicht, aber sie wird größer. Ich habe keine Angst vor physischem Schmerz, aber vor dem Verlust und vor meinem eigenen Tod. Ich hatte einen Unfall, der mich meinem Tod sehr nah gebracht hat, und das hat mir entsetzliche Angst eingejagt.

Die Furche: Um wieder ins normale Leben zurückzufinden, was haben Sie gemacht?

Gainsbourg: Ich habe mich einfach hingesetzt und meinen Mann und meine Kinder angeschaut. Einfach, um ihnen nahe zu sein.

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