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Schmutz- und Schundschlacht

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ILLUSTRIERTE SCHUNDMAGAZINE, DRUCKERZEUGNISSE eindeutigen Inhalts: die Invasion hat längst begonnen. Sie hat begonnen in Schultaschen, in Schreibtischen, an Kiosken, hinter den spiegelnden Scheiben der Buchhändler.

Diese Hefte — in welchem Ausmaß sie eine Gefahr bedeuten, bleibt noch zu durchleuchten — sind Erziehern, Lehrern und Priestern nur zu gut bekannt. Audi Staatsanwälten. Die gewissen Hefte haben sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Die meisten der sich bieder gebenden „Illustrierten” werden zusehends geschmackloser und eindeutiger. Die Frechheit, mit der diese Erzeugnisse angeboten werden, ist ein Schlag ins Gesicht des Staates und seiner Justiz.

Die Flut von Gift und Scheußlichkeiten kommt hauptsächlich aus dem Ausland — Amerika, England, Schweden, Dänemark, Frankreich — auf den österreichischen Markt.

Deutschlands übelste Geschäftemacher versuchen in letzter Zeit durch Neuerscheinungen „nach amerikanischer Art” schrittzuhalten. Übelste Geschäftemacher?

Der Gesetzgeber erläutert in den Bemerkungen zum „Schmutz- und Schundgesetz”: Es ist nach dem Willen des Gesetzgebers schweres Unrecht, den Erhaltungs- und Fortpflanzungstrieb des Menschen zum Ausgangspunkt schnöden Erwerbes zu nehmen; aus natürlichen Regungen des Menschen Geldgewinn zu ziehen, muß bekämpft werden.

Doch obwohl diese Produkte teuer sind — vielleicht gerade deswegen—, erweisen sie sich als gut verkäuflich.

Die Situation ist gekennzeichnet durch das müde Resignieren verantwortlicher Stellen, durch die Verantwortungslosigkeit derer, die sich nicht betroffen fühlen.

Die Situation ist beschämend.

MAN KÖNNTE MEINEN, DIESE DRUCKWERKE SEIEN NICHT.

Weil sie dumm sind. Weil sie eindeutig und damit (außer manchen „Illustrierten”) wenigstens ehrlich sind. Weil sie teuer, einfallslos, inhaltlich leer sind.

Dem widersprechen die Verkaufsziffern. Dem widersprechen die Erfahrungen von Lehrern, Eltern, Priestern. Warum?

Den unerfahrenen Jugendlichen reizt das Verbotene; er fällt auf die schlecht gespielte Verruchtheit der Titelbildgesichter herein. Er möchte Verbotenes sehen, Verbotenes lesen. Er ist in dem Alter, wo er darangeht, aus Erziehung und Erfahrung sein Weltbild aufzubauen.

Diese Zeitschriften wirken ähnlich wie Rauschgift — die Erwartung, einmal doch etwas Neues, noch Verboteneres zu sehen, lockt immer wieder zum Kauf.

Und dann ist es selbst für einen charakterlich durchaus gesunden jungen Menschen schwer, sich von falschen Vorstellungen freizumachen; las Mädchen nicht als Spielzeug, als Spielgefährten, als Playmate zu betrachten, wie es ein amerikanisches Magazin in seiner Playboy-Philosophie predigt, Sex als alleinige Grundlage der Liebe zu betrachten.

Jahre später träumen brave Familienväter mit Serien von Aktphotos in der Brieftasche ihren verlorenen Jugend,Idealen” nach. Die Familie tritt hinter einem sexuellen Egoismus zurück. Die Ehe wird spießbürgerlich und hohl.

Dazu ist noch zu sagen, daß ein guter Teil der Erwachsenen, was ihre charakterliche Festigkeit und Widerstandskraft betrifft, genauso den schädlichen Einflüssen dieser Götzenanbetung unterliegen kann. Insofern, als das Weltbild kein ganzes, rundes mehr darstellt, sondern ein verzogenes, verzerrtes, unvollständiges.

Die Altersgrenze für Verbreitungsbeschränkung liegt bei 16 Jahren. „Zu niedrig”, sagt Staatsanwalt Dr. Franz Erhärt.

EIN DÜSTERES GEBÄUDE: das Wiener Landesgericht. Ein langer Gang: kalte Neonröhren an der Decke, eine ist dunkel, ausgebrannt, tot. Steinfliesen, zwei Stöckelschuhe klappern vorbei — Türen, lange Ketten von Türen, Richter dahinter, Staatsanwälte: Hüter der Gerechtigkeit …

Ein Namensschild: Erster Staatsanwalt Dr. Erhärt.

Vor Jahren gab es einen „Fall Erhärt”.

„… die kuriosen Folgen mittelalterlicher Prüderie kann man täglich im Wiener Stadtbild beobachten: Plakate werden überklebt, Seifenreklameschönheiten mit neckischen Röckchen verkleistert, schmalbrüstige Jünglinge zum Amoklauf gegen Filmvorankündigungen aufgehetzt”, schrieb der verschwundene „Bild- Telegraf”. „… Staatsanwalt auf sonderbaren Wegen”, empörte sich die „österreichische Film- und Kino- Zeitung” und forderte die Abschaffung dieser Art von „Zensur”.

Die Zeitschrift „Offenes Wort” stellte sich gegen dieses Kesseltreiben, das der Großteil der Presse gegen Dr. Erhärt entfesselte.

Heute ist Dr. Erhärt Erster Staatsanwalt. „Das Schmutz- und Schundgesetz ist anwendbar”, erläuterte er mir temperamentvoll, „nicht nur von Staatsanwälten. Jeder hat die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten, jeder, der berechtigtes Interesse hat — Lehrer, Erzieher, Priester —, kann eine Verbreitungsbeschränkung beantragen. Alle, die sich über Schmutz und Schund lauthals beklagen, sollten auch bereit sein, eventuell als Zeugen aufzutreten, Unannehmlichkeiten auf sich, zu nehmen.”

Verbreitungsbeschränkungen müssen in einem Zeitraum von drei Tagen durchgeführt werden. Ich frage Staatsanwalt Dr. Erhärt über die Möglichkeiten, die Atmosphäre auf dem Zedtschriftenmarkt sauber zu erhalten. Ich frage weiter, wie es zu „Unstimmigkeiten innerhalb der Gerechtigkeit” kommen könne. Hier spiele die Persönlichkeit des Richters, des Anklägers eine große Rolle. Die Lösung, nach der zu urteilen wäre, sei die Mitte zwischen Prüderie und Laxheit. Der Maßstab ist die Auffassung des gesunden Menschen.

Ein neues deutsches Magazin ist auf dem Markt, werfe ich ins Gespräch. Staatsanwalt Dr. Erhärt greift nach Kugelschreiber und Papier. Name? Buchhandlung?

Ich schließe die Tür hinter mir. Eine weißgestrichene Holztür. Eine Tafel darauf: Erster Staatsanwalt Dr. Erhärt. Ich habe das Gefühl, einen jener Männer getroffen zu haben, die nicht resignieren.

DIE VERANTWORTUNG TRÄGT JEDER. Nicht nur Staatsanwälte, nicht nur Richter. Die Verantwortung ist eine zweifache. Nicht nur die negative Seite — Anzeige an die Staatsanwaltschaft, an die Pressepolizei, Anträge auf Verbreitungsbeschränkung — gilt es zu wahren, auch positive Anliegen machen diese Verantwortung aus. Der junge Mensch wird alleingelassen. Nur auf sich selbst gestellt, soll er wählen, entscheiden, beurteilen, ablehnen, widerstehen.

Das ist viel verlangt. Die Aufklärung in dieser Hinsicht ist mangelhaft, der positive Einsatz der Erwachsenen kaum zu merken. Gute Literatur stirbt in Österreich oft an Geldmangel, bevor sie geboren ist.

Der österreichische Zeitschriftenmarkt hat nur wenige Zeitschriften für das Mittelschulalter.

Das „bf”, eine ambitionierte Zeitschrift katholischer Mittelschüler, krankt an niederen Auflagezahlen und beschränkten Geldmitteln. Die Unterstützung bleibt aus.

Teenagerzeitschriften weit zweifelhafterer Provenienz beherrschen den Markt. Sie haben die Geldmittel ausländischer Illustriertenkonzerne hinter sich. Sie bereiten den jungen Leser schonend auf „härtere” Lektüre vor, sind meinungslos, kritiklos.

Die illustrierten Monatszeitschriften hungern sich mit wenigen Ausnahmen mit Zwergauflagen durch ihr kurzes Dasein — es sei denn, sie verstehen es, sich „wirkungsvoll” zu geben. Das heißt: destruktiv. Das heißt: ordinär.

Die Verantwortung ist groß. Unsere Jugend wächst in einem erotischen Reizklima auf. Und jeder beklagt es. Und zu wenige helfen.

UM KONKRET ZU WERDEN: SCHMUTZ- UND SCHUNDzeit- schriften kann man in etwa drei Kategorien einteilen.

■ Magazine, Illustrierte, die nicht offen als „versext” deklariert werden, sondern ein biederes Mäntelchen umhaben.

■ Magazine, die offen mit Erotik Handel treiben. Diese Zeitschriften werden ausgestellt, an Kiosken, in Buchhandlungen. Manchmal werden sie verbreitungsbeschränkt. Dann ändern sie nur den Namen und kommen wieder.

Magazine, die nicht offen gehandelt werden, sondern nur unter de Ladentischen ihr reges Dasein fristen. Der Inhalt ist eindeutig pornographisch.

Sie sind leider praktisch unangreifbar.

Hauptsächlich bleiben wohl Erziehung, Aufklärung und gute Zeitschriften die Waffen gegen diese Erzeugnisse. Gegen einen breiten Mittelbereich besteht zusätzlich die Möglichkeit des Vorgehens mit dem Schmutz- und Schundgesetz.

Es besteht die Möglichkeit der Desillusionierung, der Entlarvung durch Eltern und Erzieher.

Die Presse kann sich durch freiwillige Selbstkontrolle sauber erhalten.

Das wirkungsvollste Mittel wäre allerdings nach wie vor, den Verkauf dieser Zeitschriften unrentabel zu machen …

DIE SCHMUTZ- UND SCHUNDSCHLACHT ist noch lange nicht entschieden. Vor mir liegt ein Flugblatt, herausgegeben vom Aktionskomitee gegen Schmutz und Schund. Es heißt darin: „Die österreichischen Eltemverbände bemühen sich, durch Aufklärung, Interventionen und andere konkrete Maßnahmen um die Wiederherstellung einer sauberen Atmosphäre.”

Ein Anfang.

Jeder kann in den Ablauf dieser Schlacht eingreifen; niemand darf müde werden, resignieren, weil der Erfolg scheinbar ausbleibt.

Vielleicht begreifen so manche, die sich bisher als Zuschauer gefielen, daß sich dieser Kampf lohnt, weil es sich hier weder um die Einführung der Zensur noch um die Verfechtung einer keimfreien Literatur noch um die Verfechtung engstirniger Moral- begrifife handelt, sondern um die Abhaltung von Einflüssen, die den Menschen vom Menschsein wegzudrängen versuchen, um ihn dann in der Masse unterliegen zu lassen.

„Personen, denen das Gewissen nichts bedeutet, müssen das Gesetz spüren”, sagte Staatsanwalt Doktor Erhärt.

Der Selbsterhaltungstrieb des Staates beginnt sich zu regen. Hoffentlich auch der jener Bürger, deren Summe der Staat — wenn schon nicht ist — so doch sein sollte.

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