Schön, schlau, kostbar und doch käuflich

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Regelmäßig vor Weihnachten werde ich gebeten, Buchempfehlungen auszusprechen, regelmäßig fühle ich mich in solchen Momenten zunächst, als hätte ich im vergangenen Jahr kein einziges Buch gelesen. Das mag an der Menge der eben doch gelesenen Bücher liegen, es hängt aber auch damit zusammen, dass Literaturkritik betreiben etwas anderes ist als Kaufempfehlungen auszusprechen. Werbung und Marketing sind nämlich gerade nicht Aufgabe der Kritik. Empfehlungen richten sich zudem an ganz bestimmte Adressaten: Was man dem einen ans Herz legen mag, das kann für den anderen gar nicht passen - nicht alles von dem,was ich dann vielleicht nenne, würde ich mir daher auch selbst zulegen. Dass es auffällige, auch besonders aufwändig gestaltete Bücher gibt, die dennoch übersehen werden, ist aber Tatsache. Hier möchte ich deshalb ein paar Werke hervorheben, möglicherweise wird daraus die eine oder andere Empfehlung.

LYRIK

"streicht sanft sich das mære aus dem haar"

Im Jahr 1908 erschienen die "wiedererzählten" Nibelungen zusammen mit Jugendstilillustrationen von Carl Otto Czeschka, Protagonist der Wiener Werkstätte und Erfinder des Titelschriftzuges für die Wochenzeitung Die Zeit, der bis heute unverändert gilt. Nicht der Text der Nacherzählung war und blieb bedeutend, sondern diese Illustrationen. Für deren Neuauflage wurde die Lyrikerin Ulrike Draesner um eine eigene literarische Version der Nibelungen gebeten. Sie fügte den unzähligen Nacherzählungen nicht eine weitere hinzu, sondern wählte aus: formte Bilder, Emotionen, Fragen, Träume. Die vier Zyklen sind jeweils einer Person gewidmet: "kriemhilt","sîvrit","brünhilt" und "hagen höchstselbst"(unter diesem vierten Teil wird in einer durchlaufenden Fußzeile das "Persönlichkeitsprofil Amoktäter" erklärt.) Hilfreich kann das Blättern ans Ende des Buches sein: In immer neuen Anläufen nähert sich die Lyrikerin dort diesem Betrugsroman, Tränenroman, Liebesroman, Staatsroman, ja Migrationsroman.

Nibelungen. Heimsuchung Von Ulrike Draesner. llustr. Carl Otto Czeschka. Reclam 2016.132 S., geb., € 41,10

KUNSTGESCHICHTE

Betrachtungen in Einzelfällen

Dem Paradox, dass wir Wissen einerseits gerne geordnet und das heißt auch vorsortiert erhalten (etwa in Lexika, Handbüchern etc.), dass andererseits aber solche Versuche stets unvollständig und vorläufig sind und sein müssen, begegnen die (auch einzeln erhältlichen) vier Handbücher "Kanon Kunstgeschichte". Obgleich nach üblichen chronologischen Kategorien Mittelalter, Neuzeit, Moderne und Gegenwart geordnet, beschreiben die Essays in diesen Bänden Werke, Methoden und Epochen nicht, indem sie so tun, als könnten sie sie für immer charakterisieren und wegordnen. In jeweils etwa 20 Fallstudien werden theoretische Fragen diskutiert und anschaulich. Bewusst werden andere Werke neben den sonst üblichen fokussiert. Durch verblüffende Seitenblicke auf andere Kulturen erscheinen Zusammenhänge und die grenzüberschreitende Dynamik auch der westlichen Kultur. Ein gelungener Versuch, empfehlenswert für kunstgeschichtlich, auch an Theorie Interessierte.

Kanon Kunstgeschichte Einführung in Werke, Methoden und Epochen. Hg. von Kristin Marek und Martin Schulz. Wilhelm Fink 2015.4 Bände, 1617 S., kart., € 101,80

KLASSIKER

Homer, bibliophil

Als Fährmann, "der die zu transportierende Fracht möglichst unbeschadet ans andere Sprachufer über-setzen will, im vollen Bewusstsein, dass trotz aller Anstrengung manches über Bord fällt, ja fallen muss", betrachtet sich Übersetzer Kurt Steinmann, der Homers berühmte "Ilias" rhythmisch-musikalisch neu übertrug. Von Raoul Schrotts dichterisch-freier Übersetzung unterscheidet sich diese Übertragung durch mehr Nähe zum Original. Die "Ilias" gehört wohl zu jenen Werken, die viele kennen, ohne sie je gelesen zu haben. Die Prachtausgabe des Manesse-Verlages bietet nun eine im wahrsten Sinn des Wortes schöne Möglichkeit, die Lektüre bald nachzuholen. Großzügig gesetzte Schrift -damit gut lesbar -, Lesebändchen, Illustrationen und Schuber: ein kostbares Buch und eine deutliche Einladung.

Homer: Ilias Übersetzt von Kurt Steinmann Mit einem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma Illustr. von Anton Christian Manesse 2017.568 S., geb., € 101,80

BILDBAND

Die Welt in Karten

Karten gehören zu besonders faszinierenden Weisen, sich gestalterisch die Welt anzueignen: Sie helfen sich zurechtzufinden, Vermessungen und Erfahrungen liegen ihnen zu Grunde, aber auch Blickwinkel und Perspektiven. Karten zeigen blinde Flecke und machen oft selbst welche, sie erweitern, laden ein und lehren, sie begrenzen, verzerren und verengen. Für den schön gestalteten Band "Cartographics" wurden aktuelle Karten und Designs (und die Links, wo diese Karten auch im Internet zu finden sind) gesammelt, die -mehr oder weniger kunstvoll -auf unterschiedliche Weise neue Sehweisen anregen. So wird der Blick auf die Welt ein anderer, wenn man statt starrer Kontinentgrenzen Meeresströmungen, Gezeitenfluten und Schiffsrouten in den Mittelpunkt einer Karte rückt, Länder allein durch ihre Lichthäufung charakterisiert oder Städte durch ihren Baumbestand. Die Begleittexte allerdings lassen einiges zu wünschen übrig.

Cartographics Die Kunst der Kartengestaltung Hg. von Jasmine Desclaux-Salachas Prestel 2017.256 S., geb., € 41,10

FOTOBAND

Siebzig Jahre in Fotografien

Frühjahr 1947, eine Magnumflasche Champagner, fünf Männer und eine Idee: Robert Capra, William Vandivert, Henri Cartier-Bresson, George Rodger und David Seymour gründen die Kooperative Magnum. So erzählt es die Legende. Beleg dafür gibt es keinen. Dass die berühmte Fotoagentur Magnum heuer aber 70 Jahre alt wurde, stimmt jedenfalls und der von Clément Chéroux herausgegebene Jubiläumsbildband erzählt nicht nur Foto-und Kultur-, sondern auch politische und soziale Geschichte, die das Buch in drei Schritten zu begleiten sucht: Sichtbar wird die Ästhetik der Menschenrechte in den Nachkriegsjahren bis 1989, dann die Faszination des Anderen und der interessierte Blick auf Subkulturen und Außenseiter -und in jüngster Zeit Globalisierung und Digitalisierung als Themen neugieriger Fotografen. Der Gang durch Fotografien wird zum Gang durch Zeitgeschichte.

Magnum. Manifesto Hg. von Clément Chéroux, zus. mit Clara Bouveresse Schirmer/Mosel 2017.416 S., geb., € 51,20

ZEITSCHRIFT

Rund ums Meer und mehr

Der Name des Hamburger Verlags ist Programm: "mare" publiziert ausschließlich Werke, die irgendetwas mit dem Meer zu tun haben. Jahr für Jahr gibt der Verlag dabei in auffällig schön gestalteten Ausgaben auch Klassiker heraus, zuletzt etwa Victor Hugos "Die Arbeiter des Meeres" und John Steinbecks "Logbuch des Lebens". Die gleichnamige Zeitschrift mare nähert sich dem Meer auf vielfältige Weise. Emigrationsgeschichten finden sich darin ebenso wie Essays über Entdeckungen, Brücken, die US-Machtpolitik auf dem Atoll, die Schönheit der Fische, Hemingways Bruder, das Steigen des Meeresspiegels oder Schmuggler. Sechsmal im Jahr flattern mit der bibilophilen Zeitschrift mare sonderliche Entdeckungen ins Haus, in der jüngsten Ausgabe, übrigens bereits die 125.!, etwa so schön schräge Themen wie das Kuscheln der Kraken (über das es auch ein mare-Buch gibt, nämlich "Rendezvous mit einem Oktopus" von Sy Montgomery) und falsche Piraten.

mare -Die Zeitschrift der Meere mare. Einzelheft €10,50

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