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Schöne alte Lieder

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Als der Holzknecht Sepp Iglseder aus dem steirischen Sölktal die Botschaft seines Sägemeisters ausgerichtet hatte, wollte er sidi kurzerhand empfehlen, um wieder heimzufahren. Verwunderte sich der Ramsauer Holzherr: Ob er denn nicht noch verweilen und sich das Volkssingen anhören wolle, das in etwa einer Stunde seinen Anfang nehme. Dergleichen höre man nicht alle Tage, und er könne ja auch mit dem späten Nachmittagszug ennsabwärts fahren. Volksliedsingen? sagte der Sepp. Deswegen also ging es in der sonst so einsamen Ramsau heute so bewegt zu, deswegen sah man in der Sonne dieses Frühlingstages allerlei Leute erwartungsvoll beisammenstehen. Nein, das sei nichts für ihn, sagte der Holzknecht, singen könne er auch in der Sölk genug hören, wenn er danach Verlangen trüge, aber es läge ihm nichts daran. Sah der Holzherr den trotzigen, verschlossenen Menschen, längst keiner mehr von den Jüngsten, seltsam an, gewissermaßen fragend, ob er denn wirklich ein Steirer sei, und ließ ihn dann seines Weges gehen.

Aber ehe der Sepp Iglseder in den Fußpfad nach Schladming einbog, besann er sich eines andern. Er hatte es in der Tat nicht eilig. Auf das Liedsingen war er nicht im mindesten neugierig, doch wenn da schon unterschiedliche Leute zusammenkommen, so konnte es leichtlich geschehen, daß er Kameraden anträfe, mit denen er einmal irgendwo im Schlag oder beim Flößen gearbeitet hatte, und daß sie ihm einen guten Schnaps verrieten und mit ihm einen zünftigen Trunk täten, damit sich dieser Tag doch noch lohne. Er wendete also den Schritt und schlenderte zwischen den alten, braunen Holzhäusern umher, die da auf dem frischbegrünten Wiesenplan der Ramsau lagen. Allenthalben leuchteten schon österlich die Himmelschlüssel und in den Vorgärten prangten die prächtigen Kaiserkronen und hinter all der Herrlichkeit türmten sich mit herrlichster Macht im Sonnenglanze die noch tief verschneiten Dachsteinfelsen auf. Indessen war der Iglseder-Sepp keiner von denen, die sich solchen Anblick sonderlich zu Herzen gehen lassen. Er hielt vielmehr fleißig Ausschau, ob sich unter den Burschen und Männern, die nun mit vielem Weibervolk zu dem Platze hindrängten, auf dem das Liedsingen statthaben sollte, nicht ein bekanntes Gesicht fände.

Dieser Platz, zwischen zwei stattlichen Höfen gelegen, war bereits recht bunt belebt. In seinem Hintergrunde hatte man eine kleine Tribüne aufgezimmert, zu der etliche Stufen hinaufführten, und sie mit Latschenästen über und über dunkelgrün umkränzt. Dort oben erbat sich jetzt ein vollbärtiger Mann mit lauter Stimme die Aufmerksamkeit der geehrten Festgäste und teilte mit, es seien Sänger und Sängerinnen auf weiter Umgebung gekommen und sie wüßten die schönsten Lieder, die es im lieben Steirer-lande gebe. Er werde sie der Reihe nach ansagen. Da seien einmal, um den Einheimischen den Vortritt zu lassen, die beiden Schwestern Salistöger aus der Ramsau. Diese stiegen lächelnd die Stufen empor und sangen hebliche Almlieder und wurden mit freudigem Beifall bedacht. Hernach kam ein Viergesang aus Schladming an die Reihe, sodann etliche Sänger und Sängerinnen aus St. Rupert und Radstatt. Und so ging das nun fort. Lied um Lied schwang sich in die Bläue der Luft und mancher freudenvolle Jodler schlang das zierliche Rankenwerk seiner Töne zum Himmel empor, daß es eine rechte Herzenslust war.

Der Sepp Iglseder folgte all dem mit nur geringer Aufmerksamkeit. Mit einem Male aber horchte er auf. Der bärtige Mann hatte soeben angekündigt: „Und jetzt hören wir die Iglseder-Mirz aus Filzmoos.“ Der Sepp spähte über die Köpfe hin, wie ein kleines, ältliches Weibsleut behende die Stufen hinaufstieg. War sie das? War das ihr Gesicht, das aus der schwarzen Gublhaub wettergebräunt hervorsah? War das seine Schwester?

Er hatte sie schon viele Jahre lang nicht mehr gesehen, seit damals, als ihnen bald nach der Mutter Tod das Heimathaus in der Forstau vergantet worden war, weil sich der Vater dem Branntweintrunk und der heimlichen Büchse noch zügelloser als früher ergeben hatte und jeder ehrlichen “.Arbeit aus dem Wege ging. Da war der Sepp, um den Leuten aus den Augen zu kommen, in die untere Gegend gewandert. Die Schwester hatte sich als Bauernmagd verdungen und er hatte ihr niemals nachgefragt, denn seit die Mutter nicht mehr lebte, hatte er immer mehr das ungute Wesen des Vaters ange-nommmen, der irgendwo in der Fremde verkommen war.

Das Weiblein da oben, dem die schon ergrauend Haarsträhne unter der Haube hervorlugten, war das nun seine Schwester oder nicht? Er wußte es völlig nicht zu sagen. Der Mutter ähnelte sie nicht mehr, als genug Weiber dieses Alters einander ähneln.

Aber so wie sie nun zu singen anhub, war jeder Zweifel alsbald behoben. Sie begann mit dem Lied vom schönen Frühjahr: „Hiazt fangt das scheane Fruahjahr an, da singt das Leridhlein auf greanen Feldern, da sdireit der Kuckuck in finsteren Wäldern, da kimmt a Ringeltaubn mit zwoa kohlschwarze Augn, dö wird ma taugn ...“ Wie sie unterm Singen den Kopf zur Seite neigte und die nur halbgeöffneten Augen niederschlug und wie ihre Stimme sanft und glockenklar dahinging, da stellte sich dem Sepp plötzlich das schon verblassende Bild seiner Mutter wieder in lebendigste Erinnerung. Und als sie hernach das Lied vom Scheiden sang: „Und wann ih werd scheiden, werd nimma kemma, da werd'n deine Äugerln im Wassa schwimma“, bereicherte sich dieses Bild mit immer neuen, lebensvollen Zügen, denn auch der schwermütig versonnene Ausdruck, der dabei auf ihrem faltengefurchten Antlitz und in ihrer Stimme lag, auch der war ihrer Mutter zu eigen gewesen. Als letztes hub sie sodann das alte steirische Krippenlied zu singen an: „Da drinnen im Stalle liegt's göttliche Kind, das bittend und leidend uns tilget die Sünd. Maria, die Mutter und Jungfrau rein, sie wiegt das holdselige Jesulein ein ...“ mit dem Halleluja darauf, das schier wie ein andächtiger Engeljodler klingt. Dieses wunderliebe Lied aber hatte den beiden Iglseder-kindern daheim in der tannenumrauschten Forstau die Mutter zu weihnachtlicher Zeit oftmals und mit großer Liebe vorgesungen. Später hatte es der Sepp nie wieder vernommen und so brach es jetzt so mächtig über ihn herein, daß er die Augen schließen mußte. Die Mirl sang es, dabei sicherlich der Mutter gedenkend, mit einer überaus innigen und demütigen Frömmigkeit, die auch von allen anderen Zuhörern empfunden wurde, und es herrschte denn auch, als sie geenüet hatte, zunächst ein schier atemlose Stille, ehe sich der Sturm des Beifalles erhob. Der bärtige Mann, selber sichtbarlich tief ergriffen, drückte dem Weiblein stürmisch die Hand und geleitete es die Stufen hinab.

Der Holzknecht Sepp Iglseder stand wie in einem Traum, der ihn weit entrückte, weit zurück in langentschwundene Tage, zurück in das unschuldige Kinderglück unter den gütigen Mutteraugen, zurück an den lichterbesteckten Weihnachtsbaum. Aus diesem Traume weckte ihn jählings eine derbe Tatze, die auf seine Achsel niederklatschte. Sie gehörte einem guten Freunde, dem Würglwastl, der ihn mit schallender Heiterkeit begrüßte und es für eine völlig ausgemachte Sache hielt, daß sie sich beide hinter eine Flasche voll bitteren Enzianschnapses setzen und nicht aufstehen würden, so lange noch ein Tropfen darinnen wäre. Da aber erlebte der Würglwastl die unbegreifliche Ent-täusdiung, daß ihn sein alter Zechkumpan im Stiche ließ und heute für ihn überhaupt nicht zu sprechen war, sondern sich von ihm abwendete und seines eigenen Weges ging. Er ging seitab und stellte sich einsam unter eine wehende Birke, von wo aus er seine Schwester im Auge behielt. Sie saß nun, gleich den anderen Sängern, auf einer langen Bank vor der Tribüne, bis das Liedsingen zu Ende war. Als sie hernach allein und in sich gekehrt langsam in das Ennstal hinabzuwandern begann, gesellte sich ein Mannsbild zu ihr. „Mirl!“

Sie blieb stehen, sah ihn an und erkannte ihn sogleich. Freude flog über ihr Gesicht und sie streckte ihm beide Hände entgegen.

Eine Stunde später, auf dem Schladminger Bahnhof, war es beireits festbeschlossen, daß sie einander nun öfter sehen müßten und niemals wieder aus den Augen verlieren dürften und daß der Sepp zu Neujahr in Filzmoos Arbeit suchen sollte, wo die Schwester als Stallmagd diente.

„Unsere Mutter ... wenn die das wüßt' “, sagte der Sepp nachdenklich.

„Laß gut sein. Sie weiß es.“

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