Schöne, verfluchte Welt

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Neues von und über E. M. Cioran, den großen Stilisten und Provokateur.

Auch 13 Jahre nach seinem Tod fasziniert und polarisiert der radikale Skeptiker, der das Christentum bis zur Blasphemie attackierte – und in dessen Mystik zu Hause war wie kaum ein anderer. E. M. Cioran, der rumänisch-französische Extrem-Denker, gibt immer noch Rätsel auf: Denkerische, weil sich seine Widersprüche nicht harmonisieren lassen, und biografische, weil sein Verhältnis zur „Eisernen Garde“, der rumänischen Variante des Faschismus, und seine Hitler-Begeisterung in jungen Jahren erst postum klarere Konturen gewinnen.

Seine auf Französisch und Rumänisch erschienenen Bücher sind – mit Ausnahme der problematischen „Verklärung Rumäniens“ von 1937 – alle auf Deutsch erschienen und werden im November in einem opulenten und mit zahlreichen Fotos angereicherten Band der Quarto-Reihe des Suhrkamp Verlages vereint sein. Eine auch auf Französisch erst postum als Buch erschienene Schrift jedoch liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor: Ciorans „Aufzeichnungen aus Talamanca“. In diesem Dorf auf der Insel Ibiza hat der lebenslang von Spanien in Bann Gezogene im Sommer 1966 Urlaub gemacht und dabei eine Krise erlebt, auf die er als die „Nacht von Talamanca“ in seinen Cahiers – den ebenfalls erst nach seinem Tod veröffentlichten Arbeitsjournalen – immer wieder zurückkommt.

Krisen und Kontraste

Natürlich tritt einem aus diesem kleinen, in edlem Schwarz-Weiß gehaltenen Büchlein kein „neuer“ Cioran entgegen. Aber vor der Wahrnehmung der schönen mediterranen Landschaft treten die Kontraste seines Denkens noch deutlicher hervor. Er ist hin und her gerissen zwischen dem cafard – einem seiner französischen Lieblingsvokabel, das man vielleicht mit Überdruss übersetzen könnte – und der Idee der Erlösung. Während seiner bitteren Überlegungen fühlt er gerade auf Ibiza, „wie sehr ich an dieses schöne, verfluchte Universum gekettet bin“. Dieser Paradoxie ist er sich stets bewusst: „Umgeben von zu schönen Landschaften fühlt man die eigene Verderbtheit und ist ungehalten über die Leiche, die man mit sich herumschleppt.“ Das schmale Buch schlägt fast alle Themen Ciorans kurz an und ist somit auch für eine Erstbegegnung mit dem Autor geeignet.

Dasselbe gilt auch von der Studie „Emil Cioran und die Religionen“ des Wiener Religionswissenschaftlers Franz Winter. Sie enthält nämlich auf den ersten 50 Seiten eine Einführung in Leben und Werk, wie sie sich konziser kaum denken lässt, und räumt wie nebenbei auch mit biografischen Falschinformationen auf, die Cioran zum Teil selbst in die Welt gesetzt hatte. Sehr sachlich referiert Winter Ciorans Artikel aus Nazi-Deutschland und seine Verstrickung in den rumänischen Faschismus.

Religiöse Faszinationen

Der Hauptteil dieses wichtigen Buches aus einem Kleinverlag, der kaum in den Buchhandlungen präsent ist, referiert Ciorans Verhältnis zum Christentum und sein Interesse an den „asiatischen Religionen“ (so pauschalierend spricht Cioran oft über Buddhismus, Hinduismus und Taoismus) nicht nur, sondern interpretiert es vor dem Hintergrund eines präzisen Wissens über die religiösen und intellektuellen Faszinationen, die „Asien“ in den letzten Jahrhunderten ausgeübt hat. Auch wenn man gegen Winters mehrmalige vereinnahmende Behauptung von der Skepsis als Ciorans „einziger Religion“ Einspruch erheben muss, gehört sein Buch doch zum Lesenswertesten, was bislang über Cioran und einen zentralen Aspekt seines Werkes geschrieben wurde.

Wer sich für Ciorans Biografie interessiert, kommt um das „Portrait“ aus der Feder von Bernd Mattheus – einem seiner Übersetzer – nicht herum. Auch wenn dieser sich allzu oft auch selbst mit abbildet, gelegentlich zu langatmig ist und die Vergleiche mit Georges Bataille (über den er ein dreibändiges Werk geschrieben hat) übertreibt: So ausführlich und aus neuesten französischen wie auch rumänischen Quellen gespeist, ist Ciorans Leben bislang auf Deutsch noch nicht dargestellt worden. Von der glücklichen Kindheit im Karpatendorf RØa¸sinari (etwa zwölf Kilometer von Hermannstadt entfernt) bis zum Demenzpatienten, der 1995 in einem Pariser Altenheim stirbt, werden die Stationen des berühmten Philosophen und Essayisten beschrieben – zumindest das, was man bislang darüber wissen kann.

„Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mehr Sympathie und Bewunderung in mir hervorruft als Adolf Hitler … Der Führer-Mystizismus ist voll gerechtfertigt, es ist Hitlers Leistung, dass er den kritischen Geist einer ganzen Nation ausgemerzt hat“, schrieb Cioran im April 1934 aus München in der rechtsgerichteten rumänischen Zeitschrift Vremea (Die Zeit). Wenig später begrüßte er die Niederschlagung des Röhm-Putsches mit den Worten: „Ich frage alle, was verliert die Menschheit, wenn einigen Dummköpfen das Leben genommen wird?“

Politische Irrwege

Wer sich bislang nur mit dem philosophisch-literarischen Werk Ciorans beschäftigt hat, ist schockiert, wenn Mattheus aus diesen nicht auf Deutsch vorliegenden Zeitungsartikeln zitiert. Der Autor zeigt freilich auch, dass Cioran zur selben Zeit seine skeptische Kritik an allen hehren Idealen und Systemen weiterschreibt.

Deutlich wird dabei auch, wie Cioran mit seiner Vergangenheit umging: Zeigt sich in den privaten Cahiers durchaus Distanz (auch wenn ihm die Kriterien zu fehlen scheinen, das eigene Verhalten zu analysieren), so spielt er seine früheren politischen Überzeugungen öffentlich herunter oder greift in Neuauflagen früherer Schriften korrigierend ein. Ehrlicher als Mircea Eliade ist er aber zu seiner Vergangenheit allemal gestanden.

Cioran ist noch immer keine gemütliche Abendlektüre – nicht die skeptischen Aporien und Mystikphantasien seines Werkes, und erst recht nicht sein Leben in der dunkelsten Zeit des 20. Jahrhunderts.

Aufzeichnungen aus Talamanca

Von E. M. Cioran.

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Verena von der Heyden-Rynsch. Weissbooks, Frankfurt am Main 2008. 63 Seiten, geb., € 12,40

Emil Cioran und die Religionen. Eine interkulturelle Perspektive.

Von Franz Winter

Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2007. 144 Seiten, kart., € 10,–

Cioran.

Porträt eines radikalen Skeptikers.

Von Bernd Mattheus.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007. 368 Seiten, geb., € 29,80

Im November erscheint im Suhrkamp-Verlag die Quarto-Ausgabe sämtlicher Werke von E. M. Cioran (ca. 1930 Seiten, ca. € 25,–) mit einem Nachwort von Cornelius Hell.

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