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Schöpferischer Geist

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Optimisten sind der Ansicht, unsere Generation sei auf der Rückkehr zum Geist. Die Enttäuschungen und Katastrophen, die von materialistischer Weltanschauung beherrschte Mächte über uns gebracht haben, das Versagen materialistischer Lösungen aller Art vor den entscheidenden Fragen des Lebens haben vielen die Augen geöffnet: nicht von der Materie und ihrer Anhäufung ist das Heil zu erwarten, sondern vom Geist. Inmitten von niedrigstem Ungeist und bedrückendster Geistlosigkeit wächst die Sehnsucht nach den geistigen Kräften, die imstande wären, das Antlitz der Erde zu erneuern. Die Politiker suchen von der Gewalt zurückzufinden zu Friedenskonferenzen, die Philosophen vom Materialismus und Positivismus zur Metar physik, die Wissenschaftler von der Spezialisierung zum Aufbau des ganzen Menschen. Ja, wer heute einen flüchtigen Blick wirft in die zahllosen Bücher und Zeitschriften und Zeitungen, wer teilnimmt an Beratungen und Auseinandersetzungen, wer hört von den sich überstürzenden Erfindungen und Entdeckungen, von den verblüffenden Fortschritten der Wissenschaft und Technik, wer erfährt von den vielen Plänen zum Wiederaufbau und zur Gesundung der Menschheit, könnte trotz allen Ungeistes versucht sein auszurufen: Geist in Überfluß!

Und doch: wer das Aufgebot an Geist vergleicht mit den praktischen Ergebnissen all der Beratungen und Memoranden und Pläne, könnte ebenso versucht sein zur Skepsis, ja bisweilen zur Verzweiflung. Wohl bewegt sich das Pendel des Geistes, das die Uhr unseres kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Gang halten soll, aber es schwingt bald rasend schnell, bald beklemmend langsam, und die Stundenzeiger lassen mitunter nicht erkennen; geht die Uhr vor oder zurück? Was nützt das Schwingen des Pendels, wenn es nicht richtig schwingt?

Da sind die einen: sie verraten den Geist. Durch rücksichtslosen Egoismus, der sie, um das Ziel zu erreichen, über tausende Menschenleben hinwegschreiten läßt. Durch Vergiftung wertvoller Ideen mit Lüge und Haß. Durch Mißbrauch von genialsten Erfindungen zu Vernichtung und Mord.

Da sind die andern: sie vergeuden den Geist. Es sind vor allem solche, die Träger des Geistes und der Bildung sein sollten und die ihr Wissen ausgeben in Debatten um der Debatten willen, in unfruchtbarer Kritik dort, wo sie nicht am Platze ist, in maßlosem Individualismus, der sich keiner Gemeinschaft verpflichtet fühlt.

Da sind endlich die vielen: sie vergessen den Geist. Sie warten. Worauf? Die einen auf irgendeinen Führer, der sie noch zu begeistern vermöchte, und wäre- es auch noch so illusorisch, der sie ihrer eigenen Verantwortung enthebt, der für sie ein Rezept weiß, das dem offenbar sinnlosen Leben scheinbar doch einen Sinn verschreibt. Die andern warten auf irgendeine fertige Organisation, die ihre Angst vor Verantwortung schützend in ihre Obhut nimmt, die genau jene Gemächer für sie bereit hält, die ihnen behagen und in denen sie billig glauben können, Träger der Kultur und des Aufbaus zu sein. Andere aber warten überhaupt nicht mehr. Sie sind müde. Und wenn sie doch einmal zu irgendeiner Entscheidung gezwungen werden, fallen sie dem Nächstbesten als reife Frucht in den Schoß.

Wer hat nicht schon an Beratungen teilgenommen, die für dringende Anliegen Lösungen finden sollten? Wie oft ist dann nach Stunden lebhafter Debatte das Ergebnis die Überzeugung: geschehen muß etwas; niemand aber glaubt sich verpflichtet, selbst die Initiative zu ergreifen und die Verantwortung zu übernehmen. Bildung aber ist — nach einem Wort Friedrich Muckermanns — Wille und geistige Tat!

Geist genügt nicht. Es braucht schöpferischen Geist!

Schöpferischer Geist aber bedeutet Wagnis: Mut zur Initiative, Mut zum Risiko, das lieber den Mißerfolg auf sich nimmt, als auf das Wagnis verzichtet; Mut zu aller Müdigkeit und Enttäuschung, die noch jeden Neubeginn überfallen, Mut zur konkreten Wirklichkeit mit ihrer brüchigen Oberfläche und ihren düsteren Abgründen, nicht aber um sich damit abzufinden, sondern diese Wirklichkeit umzugestalten.

Schöpferischer Geist bedeutet Dienst: nicht selbstgefälliges Spiel noch bindungsloses Sichselbstbehaupten, sondern Sichein- fügen in Ordnungen, die verankert sind in der einen großen Weltordnung, die in der Urzeit der Schöpfergott errichtet hat. Bekenntnis dazu, daß alle Initiative nur Weg sein will, der zurückgelegt werden muß, Wille zu säen, wo andere ernten werden; Bereitschaft für jede ehrliche Kritik, die mitaufbauen will und nicht niederreißen.

Schöpferischer Geist bedeutet Zusammenarbeit: nicht Egoismus, sondern Solidarität, kein Sichverschließen, sondern Ehrfurcht vor dem Wollen und Wagen 3er anderen.

Es sind ihrer viele, die begriffen haben, daß nicht die um jeden Preis Verdienenden die Zukunft gestalten, sondern die Dienenden; nicht bloß die Verhandelnden, sondern die Handelnden; nicht die Wartenden, sondern die Wagenden. Es sind jene, die durch bittere Erfahrung hindurch in sich den Glauben an das Gute im Menschen nicht verschütten lassen, die nicht verbittert werden durch Unverstehen und zerstörende Kritik und Gewalt, die aufgeschlossen und beweglich bleiben in den hundert kleinen Gelegenheiten des Alltags. Menschen, die wissen, daß die Stunde, in der unaufhalt-sai die ganze Welt zu einer immer engeren Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt wird, in entscheidendem Sinne die Stunde der Persönlichkeit ist. Sie glauben an das organische Werden alles wahren Lebens, aber sie wissen auch, daß geistiges Leben immer pfingstliches Leben ist, das plötzlich und unerwartet durch das Wagnis einzelner hervorbricht, und wäre es auch gegen den Widerstand der großen Masse. Es sind Menschen, die lieber zu früh rufen, als daß sie den Vorwurf ertrügen, sie hätten zu spät gerufen; denn mögen sie zunächst auch ohne hörbares Echo bleiben: ihr Ruf ist doch aufrüttelnd in das Träumen vieler gedrungen, und wenn diese aufwachen zur Tat, dann ist diese Tat die späte, aber gültige Antwort auf die Stimme, die zu ihnen im Traume sprach.

Aber diese schöpferischen Menschen haben nicht nur jenen zu begegnen, die Verrat üben am Geist, und gutzumachen, was so viele vergeuden an Geist, sondern sie müssen sich behaupten gegen die Passivität der Schlafenden und Träumenden und die unfruchtbare Kritik der Skeptiker. Am Rand der Straße, die sie durch den Schutt in die Zukunft bauen, sehen ihnen die Altklugen untätig zu, wie sie die abgestoßenen Ziegel aus den Trümmern hervorholen, stoßen sich an der Schichte Staub, die der Wind von den Ruinen auf ihr Kleid und Antlitz geweht hat, und unfähig, ihnen eine Chance zu geben, lauern sie auf den ersten unvermeidlichen Klißgriff, um zu fordern, daß man diese Anfänger vom Bauplatz entferne, nicht um dann selber zuzugreifen, sondern um ein Klagelied zu singen. Oft genug ist die Bildung — nicht auf angehäuftes Wissen, sondern als Macht von innen her — mächtiger in der rauhen Hand des Arbeiters als im flüssigen Wort des gewandten Redners, segensvoller im Herzen der tapferen Mutter als im Kopf eines Gelehrten, fruchtbarer im schlichten Beginnen innerlich junger Menschen als in langen Tagungen von Routiniers. Und schöpferischer sind jene, die ihre Zeit so lieben, daß sie in keiner anderen geboren sein möchten, denn noch selten waren Menschen so eindringlich zur Persönlichkeit aufgerufen und wurde von ihnen so Großes verlangt wie heute. Denn jene, die sich in das Gestern verliebt haben und die nur immer warten, daß alles wieder so werde, wie es früher war, sie sind von gestern. Jene aber, die sich flüchten in ein billiges, unwirkliches Morgen: sie haben nie gelebt. Der schöpferische Mensch aber liebt die Gegenwart, er ist immer von heute.

Es gibt Menschen, die mehr als alle anderen berufen sind, Träger schöpferischen Geistes zu sein, jene, deren Gemeinschaft einst geboren worden ist im Frühlingssturm des ersten Pfingsttages, im Brausen und Feuer des göttlichen Schöpfergeistes, der schlichte Menschen aus dem Volk ebenso erfüllte wie Gebildete und der heute wie damals immerfort „das Antlitz der Erde erneuert”. Mehr als alle andern sind sie verantwortlich für die Ordnung und das Leben der Welt. Weniger als alle andern haben sie sich von den Plänen und Programmen anderer ins Schlepptau nehmen lassen, denn von ihrem Wesen sagt Augustinus, daß es „zusammengesetzt ist aus Leib und Seele und dem Heiligen Geist”. Träger dieses einen erneuernden Schöpfergeistes, wären sie die einzigen, durch die unsere Generation zurückkehrt zum Geist, durh deren Wagnis und Dienst und Zusammenarbeit die Welt nicht in Barbarei zurückfällt und veraltet, sondern wahrhaft verjüngt wird.

Noch haben sie das Vertrauen suchender Menschen, noch haben sie eine Chance, „das Antlitz der Eide zu erneuern”, aber nur dann, wenn sie nicht Menschen sind einer vorpfingstlichen Existenz, bloß „emporschauend zum Himmel” und immer nur wartend, sondern wenn sie mit dem Schöpfergeist, der ihnen einwohnen soll, zu antworten v.’-ssen auf den beschwörenden Ruf dieser Zeit: Auf dich kommt es an!

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