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Schuld der Erwachsenen

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Zunächst eine Bitte an alle Leser dieses Artikels: Steinigen Sie mich nicht, wenn ich in einfachen Worten Ihnen sage, daß ich all das plötzliche Getue von Parteien, Konfessionen und sonstigen gesellschaftlichen Institutionen um die Gewinnung der Jugend als ein verspätetes Eingeständnis großer Schuldgefühle halte. Plötzlich meint man durch die Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlrechtes, durch Diskussionsrunden mit Jugendlichen, durch Mitbestimmenlassen in politischen, wirtschaftlichen, ja selbst konfessionellen Belangen die Herzen und Stimmen junger Menschen für die Ziele der Erwachsenen gewinnen zu können. Jahrelang stand zwischen Jugendlichen und Erwachsenen eine Kluft, die zu überbrük- ken niemandem eingefallen wäre. Man überließ die Jugend ihrer eigenen Entwicklung, und jetzt wunderte und ärgerte man sich, als Gefühlsaiusbrüche und Gedankengänge junger Menschen offenbar wurden, die vielen ergrauten Menschen das Herz erzittern ließen. Jetzt auf einmal überbieten sich gesellschaftliche Organe in der Sorge und in der Betreuung der Jugend und versuchen durch originelle

Methoden, frühere Versäumnisse gut zu machen.

Wieso konnte es überhaupt zu der auf der ganzen Welt spürbaren Unruhe der jungen Generation kommen? Die zwangsläufige Entwicklung der Menschheit, aus veralteten Lebensformen zu einem durch den technischen Fortschritt gehobenen Lebensstandard vorzustoßen, wurde durch den 2. Weltkrieg jäh unterbrochen. Der weltweite Krieg verschlang nicht nur die materielle Substanz der kriegführenden Staaten, sondern riß euch die außerhalb des Krieges stehenden Völker in den Strudel wirtschaftlicher Existenzkämpfe hinein. Das Kriegsende spornte alle Staaten an, möglichst rasch jaus dem Niedergang der Wirtschaft heraiuszUkomroen und die Technik, die im Laufe des Krieges zwangsläufig sich immer mehr vervollkommnen mußte, stellte gar bald die besten Maschinen für den Wiederaufbau her. Diese Sucht, möglichst bald aus der großen Not des Krieges herauszukommen, erfaßte alle Menschen, die Krieg und Notzeiten überlebt haben, und so entstand ein Wettlauf nach Verbesserung der Lebensverhältnisse. In dieses hektische Treiben wurden Männer und Frauen, Väter und Mütter und der Schule kaum entwachsene Burschen und Mädchen hineingezogen. Neben dieser von Gier und Begierde erfüllten Wett wuchs die junge Generation der Nachkriegsjahre heran. Diese hektische Welt zerstörte die Stille der Familien, entwöhnte die. Kinder ihres Heimes und machte sie zu Waisen, obwohl ihre Eltern lebten. Diese innerlich verwaisten Kinder drängten nach rascher Beendigung ihrer Schulzeit, um recht bald in den Verdienst einer Hilfskraft zu kommen. Fachbildung und Weiterbildung überiieß man einigen wenigen, denn die Parole war: Los vom elterlichen Heim, das ohnehin kein Zuhause mehr war.

Wer also hat diese Entwicklung eingeleitet? Jugendliche Menschen waren es nicht, es war die ältere Generation, die jungen Menschen waren nur das Opfer dieser Entwicklung. Nun kam das Erwachen in dieser Jugend! Sie sah, daß sie irregeführt wurde, daß die ältere Generation um ihr eigenes Wohl und Weh besorgt war und daß sie des Glaubens war, die jüngere Generation solle selber durch all diese Niederungen des Lebens hindurchgehen, um, wenn sie Glück hat, selbst ihren eigenen Lebensstandard zu erkämpfen. Als nun diese junge Generation, enttäuscht von ihnen Eltern, Lehrern und Erziehern, aus Heimen und Schuten auf die Straßen flüchtete und Lärm schlug, weil sie sonst niemand gehört hätte, schlugen die Erwachsenen die Hände zusammen und jammerten über die unbotmäßige Jugend und versuchten nun durch tegistische Beschwichtigungsversuche zu retten, was noch zu retten war.

Wie kann dieser Jugend wirklich geholfen werden? Durch das aktive und passive Wahlrecht? Im Parlament stehen die wenigen jugendlichen Abgeordneten doch wieder einer starken Mehrheit älterer Parlamentsmitglieder gegenüber. Auch die Teilnahme junger Menschen in den einzelnen Gremien bedeutet noch lange keine echte Berücksichtigung jugendlicher Wünsche, denn das Wort führen doch die älteren Jahrgänge. Eine echte Erfüllung der Wünsche und Erwartungen unserer Jugend kann nur durch eine aufrichtige Metaneua, durch eine Sinnesänderung der Erwachsenen kommen. Diese Sinnesänderung muß im Elternhaus beginnen, wo Vater und Mutter dem Kind jene Nestwärme, jene Geborgenheit zu schenken haben, bis der Sohn oder die Tochter das Heim verlassen, um ihr eigenes, neues Heim zu begründen.

Diese Änderung der Einstellung zur Jugend muß die Lehrer alter Kategorien ergreifen, damit der junge Mensch Vertrauen zu seinen Lehrern haben kann. Der Schüler — und vor allem der Hochschulstudent — muß fragen und seine Meinung zu dem Lehngegenstand frei äußern dürfen, ohne die Gefahr einer Diffamierung seitens der Lehrer. Der Schüler und der Student müssen das Gefühl haben, ein wesentlicher Teil ihrer Schulge- meinschaft zu sein. Darum herunter vom Katheder und vom Podium und sich mitten in die Schar der Lernenden hineinstellen!

Dann wird der junge Mensch von selbst Respekt vor jener Autorität gewinnen, die sich nicht auf uralte und muffige Tradition stützt, sondern die aus der Machtfülle eines gediegenen Wissens und einer tiefen Menschlichkeit hervorquillt. Wenn sich dann noch Jugendliche finden, die gegen solch echte Autoritäten sich auflehnen wollen, dann wird der besonnenere Teil der Jugend selbst mit diesen asozialen und sinnlosen Elementen tabula rasa machen. Daher mein Appell an eine echte und mutige Metaneua aller Erwachsenen! Sapienti sat!

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