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Schwanger mit Gott

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Gott liebt Geschichten. Was mag dem Ewigen die Zeit bedeuten? Nach allem, was uns Weihnachten sagt, ungeheuer viel. Vielleicht mehr als uns Zeitlichen. Erinnern wir uns zu diesem Fest nicht nur der hinreichend verkitschten Szene im Stall von Bethlehem, sondern der Ungeheuerlichkeit, daß der Schöpfer der Zeit in die Geschichte eintritt, sich ihr unterstellt. Und noch dazu, wie dies vor sich geht: Die Geschichte mit dem schwangeren Teenager aus einem verlorenen Winkel eines politisch unbedeutenden Landes, die Volkszählung, die Geburt irgendwo, unter scheußlichen hygienischen Bedingungen ... Abenteuerlich, fürwahr. Phantasievoll!

Gott liebt also Geschichten - wie ein kleines Kind die Erzählungen des Großvaters. Deswegen ist er auch Kind geworden. Inkarnation heißt wörtlich: Einfleischung. Gott, der „Logos” (was kaum zu übersetzen ist), will Fleisch werden. Will eine Gestalt annehmen und selbst eine Geschichte haben - mit allem Risiko. Will sichtbar da sein in der Welt. Mitten in der Zeit. Die Bibel sagt: im kairos.

Doch als ob dies nicht schon an der Grenze des Erträglichen wäre, und als ob des Skandals nicht genug wäre, daß der Allumwaltende sich in die völlige Abhängigkeit und Hilflosigkeit eines Ungeborenen, eines Säuglings, eines Kindes ausliefert; ist die Inkarnation damit, auch noch mit Auferstehung und Himmelfahrt, keineswegs abgeschlossen! Das Vermächtnis des Fleischgewordenen in die Geschichte lautet: „Nehmet mein Fleisch und Blut-und laßt euch wandeln! Ihr seid mein Leib. Getaufte, Schwestern und Brüder, mein Geist west in euch.”

Sein Vermächtnis ermächtigt uns, mitzuwirken an der Fortsetzung der Inkarnation. Die Geschichte Gottes in der Zeit weiterzuschreiben. Die nächste Ungeheuerlichkeit aus Gottes Vorliebe für Geschichten! la, in mir will Gott wachsen. In meinem Herzen Wohnung nehmen, Gestalt gewinnen, ausgetragen und zur Welt gebracht werden! Zugegeben: hart liegt er da, auf dem Stroh meines Herzens, der Schöpfer des Kosmos, der Galaxien aus dem Nichts bricht und 'Tote aus dem Tod reißt. Aber er liebt dieses Abenteuer.

Daß ich ob dieses Zutrauens Gottes in meine menschliche Mütterlichkeit Angst bekommen möchte, vor der Zumutung, Gott zur Welt und zu anderen zu bringen, liegt nahe. Doch drei Gedanken helfen: Zunächst höre ich immer und immer wieder: „Fürchte dich nicht! Die Kraft des Höchsten wirkt.” Zweitens ist kein Christ und keine Christin allein damit. Die Kirche versteht sich als Leib Christi. Sie wächst nicht durch Zellteilung, sondern durch Umkehr von Personen: Neue Einfleischungen des Gottesgeistes. Insofern ich mich ein-fleischen und eingliedern lasse, bin ich nicht allein in diesem Abenteuer.

Drittens bin ich nicht vergewaltigt worden. Gott fragt nach meiner Zustimmung, meinem „Fiat” zu dieser Bestimmung. Wenn er sich einnistet in meiner Geschichte, dann nicht als Einschleicher, sondern als Bitte: „Nimm' mich auf. Laß' mich dein Gast sein, hilf mir, zu wachsen in dir ... Und wenn du alt sein wirst, werde ich groß genug sein, um dich zu tra-gen.” Vielleicht war mein anfängliches „Ja” ein allmählicher Prozeß. Vielleicht war es eine einmalige intensive Gotteserfahrung in klarer Ausdrücklichkeit. Jedenfalls scheint es wichtig zu sein, sich diese Begegnung ins Gedächtnis zu rufen, die Zeit meiner größten Intimität mit Gott. Wozu schließlich habe ich ein Gedächtnis? Wohl kaum nur zum Auswendiglernen von Schulwissen. Die Kraft meiner Erinnerung soll mitwirken, um meine Geschichte zu einer Einheit zu gestalten, um mein Empfangen des Heiligen Geistes nicht in Ängstlichkeit oder im Vergessen verkümmern zu lassen. „Bringt Frucht hervor!” fordert der Menschgewordene.

Wenn ich die Umarmung und Befruchtung durch Gottes Geist in meiner einzigartigen Geschichte erfahren durfte, mag nun zu Weihnachten Zeit sein, kairos, mich zu fragen: Was ist daraus erwachsen? Wie geht die Geschichte jetzt weiter? Ich darf leben, um das empfangene Licht der Welt zur Welt zu bringen! Es ist eines jener Dinge, die, wenn sie geteilt werden, nicht weniger, sondern mehr werden. Merke: „Bei Gott ist nichts unmöglich!”

Wie bringe ich sichtbare, spürbare Erlösung zu anderen, zur Welt?

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