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Schwarz bis zuckerlrosa

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Das Theater hat sich in unserem Jahrhundert jenseits der Unterhaltungsstücke mehr und mehr auf die fast ausschließliche Darstellung des Verabscheuenswerten in der menschlichen Natur verengt. Es geschieht dies keineswegs immer aus abwegiger Lust am Verwerflichen, es geschieht, um sich des uns bedrohenden Zerstörerischen zu erwehren, um zu warnen. Eines der frühen Bühnenwerke dieser Art ist das Stück „Hochzeit“ von Elias Canetti, das bereits im Jahre 1932 entstand, aber erst 1965 uraufgeführt wurde. In Wien fehlte die Initiative, das Stück eines namhaften österreichischen Autors — Canetti fühlt sich als solcher — herauszubringen, die Uraufführung fand in Braunschweig unter der Intendanz des Österreichers Hellmuth Matiasek statt. Es gab einen Skandal. Nun ist das Stück im Volkstheater zu sehen.

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Das Theater hat sich in unserem Jahrhundert jenseits der Unterhaltungsstücke mehr und mehr auf die fast ausschließliche Darstellung des Verabscheuenswerten in der menschlichen Natur verengt. Es geschieht dies keineswegs immer aus abwegiger Lust am Verwerflichen, es geschieht, um sich des uns bedrohenden Zerstörerischen zu erwehren, um zu warnen. Eines der frühen Bühnenwerke dieser Art ist das Stück „Hochzeit“ von Elias Canetti, das bereits im Jahre 1932 entstand, aber erst 1965 uraufgeführt wurde. In Wien fehlte die Initiative, das Stück eines namhaften österreichischen Autors — Canetti fühlt sich als solcher — herauszubringen, die Uraufführung fand in Braunschweig unter der Intendanz des Österreichers Hellmuth Matiasek statt. Es gab einen Skandal. Nun ist das Stück im Volkstheater zu sehen.

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Wir erhalten einen Einblick, wie es in dem Zinshaus, das der Oberbaurat Segenreich errichtet hat, wie es bei der Hausbesitzerin, bei ihm, bei den anderen Parteien zugeht. Eben hat seine Tochter Hochzeit, Freunde und Freundinnen sind da, der Hausarzt, ein Apotheker, ein Sargfabrikant. Was gesprochen wird, was sich begibt, entblößt die kraß egoistische Wesensart, entblößt die Triebe dieser Menschen, Besitzgier bei den einen, maßlose Geilheit bei den andern, dies selbst bei dem achtzigjährigen Hausarzt und der Brautmutter. Canetti häuft an Abscheulichkeiten was sich nur häufen läßt, er malt schwarz in schwarz, prangert mit Verbissenheit an. Und dann hält er Gericht: Das Haus stürzt ein, die meisten kommen dabei um. Canetti meint, er zeige auf, „welches Strafgericht der Mensch durch sich selbst heraufbeschwören kann“. Es besteht also ein Konnex zwischen dem Verhalten der Menschen und ihrem Schicksal. Doch in nichts ein rationaler. Ein Haus stürzt nicht ein, weil die Bewohner besitzgierig und geil sind. Canetti setzt also ohne es auszusprechen voraus, daß eine moralisch richtende Macht ins Irdische eingreift. Wäre es so, gäbe es kein Ringen um den Sinn des Lebens. Dieser moralisierende Schluß des lose verknüften, lediglich illustrativ angelegten Stücks wirkt aufgesetzt, wie als Selbstrechtfertigung, daß die Libertinage dermaßen breit, fast mit grimmigem Behagen dargestellt wird. Der junge Regisseur Bernd Fischerauer läßt Sexvorgänge, die im Text keineswegs vorgeschrieben sind, mit aller Deutlichkeit bis zum Luststöhnen wiedergeben. Die Penetranz dessen, was Oanetü dartun will, wird durch das allzu Penetrante nur arg vermindert. Porno im Volkstheater? Erstaunlicherweise hat der Autor dagegen offenbar nicht Einspruch erhoben. Unter den insgesamt 24 Darstellern zeichnen Rudolf Strobl als versoffener Oberbaurat und Peter Hey als altersgeiler Hausarzt mit dem bezeichnenden Namen Bock vorzügliche Charaktertypen. Elisabeth Masek ist eine kühl-libertine Braut, Trude Hajek eine zynische Brautmutter, Ingold Platzer eine sexgierige Apothekersfrau. Den Schnitt durch drei Geschoße des Zinshauses entwarf der Bühnenbildner Christian Schieckel, für die zeitgerechten Kostüme zeichnet Brigitte Brunmayr.

Greift Canetti generell eine sozusagen private Verderbtheit der Menschen an, so bot Brecht in der „Dreigroschenoper“ — derzeit vom Volkstheater in den Wiener Außenbezirken vorgeführt, Premiere im Haupthaus —, eine aggressive sozialkritische Satire, die wie ein lustvoll geführter Peitschenhieb wirkte. Der Hieb zielt heute in unserem Kulturbereich ins Leere. Kann das Stück noch wirken? Nun spürt man, daß in der abgefallenen Hülse der sozialen Anklage ein zeitloser Kern steckt, eine Anprangerung der allgemeinen menschlichen Natur, die von Klas-senzuständen unabhängig ist. Hiezu kommt die amüsante Zubereitung, die Mischung von Volksstück und Kriminalreißer, von Posse, Parodie und Oper, vor allem zuzüglich der höhnisch witzigen, kaltschnäuzigen Songs.

Wenn das Stück bei den Außenbezirksvorstellungen doch nicht zu optimaler Wirkung gelangt, so liegt dies nicht an der Regie von Oskar Willner, sondern an den zur Verfügung stehenden darstellerischen Kräften, die über ein gewisses Maß nicht hinausgeführt werden können. Bernhard Hall setzt als Mackie Messer die Akzente richtig, er ist aber nicht mehr als ein etwas anrüchiger Vorstadtfeschak, die Persönlichkeits-kraft fehlt Joseph Hendrichs läßt als Peachum Schärfe völlig vermissen, Dolores Schmidinger stellt — arg fehl! — Polly als ein herzlich nettes Mädel dar. Der Polizeichef Brown wirkt durch Robert Werner als Spießer, nicht als hochgestellter, durchtriebener Halunke. Drei Frauen haben die für Gestalten dieses Stückes erforderliche Kälte und Penetranz: vor allem Marianne Gerz~ ner als Frau Peachum, Helmi Mareich als Spelunken-Jenny und Heidt Thiemic; als Lucy. Sie allein bieten deckende Gestalten. Maxi Tschunko entwarf eine niedere Holzbude mit wechselnden Versatzstücken als Bühnenbild sowie vorzüglich charakterisierende Kostüme. Eine Drei-Mann-Band spielt unter der Leitung von Norbert Pawlicki die bekannte Dreigroschen-Musik von Kurt Weill.

Der Generationskonflikt hat sich umgedreht: früher waren die Eltern die Unterdrücker, nun, seit es den Jungen so gut geht wie kaum je, sind es manche von ihnen, die in Aggressionen exaltieren. Das zeigt Wolfgang Thal — wohl ein Pseudonym, da das Programmheft nichts über den Autor angibt — in der Bilderfolge mit dem Titel „Die Rechnung zahlst natürlich du!“, die, als „Situationen und Auseinandersetzungen innerhalb einer Familie“ bezeichnet, im Theater der Courage zur Uraufführung gelangte. Der Sohn eines berühmten Architekten wirft seinem Vater „Repression“ vor, er selbst aber ist es, der ihn unter Einwirkung eines anmaßend erpresserischen Freundes schamlos ausnützen will. Aber der Autor hat Angst vor den Konsequenzen, es kommt zu gegenseitigem Verstehen in Zuckerlrosa. Ansonsten: Klischee-flguren, ausgewalzte Szenen. Unter der Regie von Otto Ambros, der den Architekten leicht verschrullt spielt, versuchen auch die übrigen Darsteller, die Gestalten möglichst zu verlebendigen.

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