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SCHWARZWEISSE MAGIE

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Ich habe immer einen .Wunschzettel”, auf dem die Büchet stehen, die ich gerne illustrieren möchte!” Der große breitschultrige Mann mit dem dichten grauen Haarschopf öffnet den Biedermeierschrank und weist auf einen separat gelegten Stapel von Bänden. Stundenlangen fruchtbaren Gesprächen mit Verlegern in dem Perchtoldsdorfer Haus, das Fronius seit einiger Zeit bewohnt, verdankt manch kostbare neue Ausgabe ihre Entstehung. Man könnte meinen, es sei kein Zufall, daß nun auch er, gleich Anton Wildgans und Franz Schmidt, im reifen Mannesalter in der bürgerlich-weinbäuerlichen Kultursphäre des südlichen Wienerwaldes seine Heimatstatt fand. ,,lch liebe dieses Haus und seinen weitläufigen Garten”, schrieb er in einem Brief und faßte damit sein ganz persönliches Symphonia- Domestica-Thema in wenige Worte.

Diese ersten Perchtoldsdorfer Jahre sind eine Zeit reicher künstlerischer Entfaltung. Voll Schaffensfreude berichtet Hans Fronius über seine neuen Arbeiten: er zeichnete unter anderem die Illustrationen zu einem Erzählungsband Werner Bergen- gruens, der dem Bruder im Geiste mit launigen Worten seinen Gruß entbot, zu Dino Buzzattis Roman „Die Festung” und zur .Judenbuche” von Annette v. Droste-Hülshoff. „Das Buch Joram” von Rudolf Borchardt leitete eine Reihe großer bibliophiler Mappenwerke ein, zu denen die bereits im Frühsommer erschienene „Saul”-Mappe (Max Zweig) gehört, während die Lithographien zu Georg Trakls Gedichtzyklus „Helian”, als „große Geburtstagsfreude” für den Künstler selbst, im Herbst herauskommen. Anläßlich der Bibliophilentagung vor einigen Monaten publizierte ein deutscher Verlag einen Stifter-Band mit Fronius-Zeichnungen, und für Wiener Verleger schuf er die Illustrationen von Robert Louis Stevensons Villon-Novelle (in neuer Übersetzung von Alexander Lernet-Holenia) und zu Cronins „Weihnachtsgeschichte”.

Sein Ruf als Künstler brachte auch bei Hans Fronius rasch eine gewisse Etikettierung mit sich, und so gilt er in Gesprächen und Meinungen, die an der Oberfläche verbleiben, vielfach als der Illustrator unheimlicher, seltsamer, verschatteter Dichtungen. Kafka, Trakl, Poe, Büchner, Dostojewski) sind seine großen Fixsterne, gewiß, doch diese Vorstellung zieht seiner an wechselnden Schauplätzen und Gestalten so reichen Welt die Grenzen bequemer Klassifikation.

Vor allem: Fronius ist nicht der Mann der absurden oder gespenstischen Pointe, ihn fesselt a priori nicht das „Situationsgrauen” einer Geschichte, wie es bei seinem verehrten Freund und Mentor Alfred Kubin der Fall war, sondern die lastende, schicksalhafte Verdichtung des Unheils und der Bedrohung, die ihre Schatten über Einzelmenschen und untergehende Epochen wirft. Die bedrückende Leere eines Dachbodens etwa erscheint ihm viel unheimlicher als die Attraktionen eines Gruselkabinetts. Daher seine Vorliebe für Autoren, deren Düsternis eine existentielle seelische Bedrängnis widerspiegelt, ohne dazu das Personarium romantischen Spuks aufzubieten.

Frage: „Ergibt sich bei der Lektüre von Werken, die Ihnen zur Illustration empfohlen wurden, die visuelle Beziehung ganz spontan oder formen sich Ihre Bildvorstellungen allmählich, beim Uberdenken und nochmaligen Lesen?”

Fronius: „Ich spüre beim Lesen sofort, ob mich visuell etwas anspricht. Ist das nicht der Fall, dann muß ich den Vorschlag ablehnen. Schriftsteller, die alles bis ins letzte Detail beschreiben, wie zum Beispiel Thomas Mann, erzeugen bei mir keine Bilder. Ich schätze sie wohl, aber für mich als Illustrator bleibt in solchen Fällen nichts zu tun übrig.

Ein Illustrator muß in das Werk, das er illustrieren will, hineinsteigen, förmlich hineintauchen, es ist ja ein Assimilationsprozeß. Zu einer Dichtung, die nur erzählt, fabuliert, findet man natürlich leichter Zugang als zu solch einem großartigen Gedankengebäude wie etwa dem „Helian”, aus dem Trakls ganze Gebrochenheit und Verdüsterung spricht. Gerade um dieses Werk habe ich sehr lange gerungen, verschiedene graphische Veisuche gemacht, und, um die inneren Hemmnisse vor solch einer gewaltigen Aufgabe zu überwinden, habe ich mich kurz entschlossen .freigezeichnet’, indem ich zwischendurch Hofmannsthals wunderbare Novelle .Der Marschall Bassompierre” illustrierte.”

Frage: „Die beiden Werke, die Sie soeben erwähnten, erscheinen ja in Bibliophilenausgaben. Abgesehen davon, daß sich diese höchste Form der Buchkunst nur an einen kleinen Kreis von Interessenten wendet, bedingt sie ja, im Vergleich zur normalen Verlagsproduktion, eine ganz andere Einstellung des Verlegers, nämlich persönliches Eingehen auf das Werk, aktives Mitgestalten, das sich in der Übereinstimmung des Inhalts und der Graphik mit den ästhetischen Werten makelloser typographischer Gestaltung und Ausstattung ausprägt.”

Fronius: „Gewiß. Damit kommen wir zu einem sehr schwerwiegenden Problem: Eile, Hast ist der Feind alles Guten und Schönen, auch im Verlagswesen. Das bibliophile Buch braucht Liebe, Sorgfalt, tiefstes Verständnis und sehr viel Zeit. Diese Voraussetzungen sind heute sehr selten gegeben, weil die Frage nach der Rentabilität, der Massenauflage und der raschen Herstellung absolut im Vordergrund steht. Um so mehr weiß ich das Glück zu schätzen, daß ich in Gotthard de Beauclair einen Verleger gefunden habe, der, selbst Dichter, seine Arbeit nicht als Geschäft, sondern als Berufung und kulturelle Verpflichtung auffaßt und — nun eben ein wahrer Freund alles Guten und Schönen in der Buchkunst ist. Ihm verdanke ich auch die Anregung, Trakl zu illustrieren, eine Anregung, die meinen geheimsten und tiefsten Wünschen entgegenkam.

Frage: „Ihre erste größere Arbeit nach dem Krieg war die Kafka-Mappe, wie viele Werke haben Sie in diesen siebzehn Jahren seither illustriert?”

Fronius: „Es werden nun schon fast fünfzig Bände sein.” Frage: „Die Lithographien, die in letzter Zeit entstandenu scheinen eine neue Phase Ihres Schaffens eingeleitet zu haben.” Fronius: „Ja, die Lithographie, diese herrliche künstlerische Reproduktionstechnik, beschäftigt mich sehr, hat mich immer weiter getrieben, zu neuen Versuchen angeregt. Zu meinem Schrecken mußte ich übrigens feststellen, daß das Lithographengekerbe in Wien ausstirbt. Nach langem Suchen fand ich schließlich eine lithographische Anstalt, die von einem fünfund- achtzigjährigen Meister als Einmannbetrieb geführt wird. Dort habe ich heuer drei Lithographiefolgen auf Stein gezeichnet. Denn während ich noch im Vorjahr in jener besonders in Frankreich beliebten Technik arbeitete, die die Graphiker ,Cuisine’, also Küche nennen, d. h. man erzeugt durch Atzen, r Waschen und so weiter Halbtöne, habe ich für diese Blätter direkt auf den Stein gezeichnet. Da muß dann jeder Strich sitzen, denn Korrekturen sind nicht möglich. Natürlich mache ich mir vorher Skizzen, aber nicht zu deutlich, damit mir für den großen Augenblick selbst genug künstlerische Reserven bleiben. Es muß dann gelingen, und dieses unentrinnbare Muß beflügelt mich sehr.”

Das alte Österreich als Wesenserbe liegt Hans Fronius zutiefst im Blut. Vielleicht ist es kein Zufall, sondern Schicksalsfügung, daß er im eigenartigsten Gebiet der Monarchie geboren wurde: in Bosnien. Der Vater, Amtsarzt in Sarajewo, war Siebenbürger Sachse, die Mutter stammte aus der Wiener Künstler- und Ärztefamilie Passini. Der Elfjährige wird Augenzeuge des Attentates auf den Thronfolger, und wenn er auch nicht ganz zu jener Generation gehört, die, wie ein Essayist einmal schrieb, „bei der Leich’ “ der Monarchie unmittelbar hinter dem Sarg schritt, so stand er doch am Rand des Weges Das alte Österreich: das war für ihn Kindheit in einem seltsamen Land zwischen Bosniaken, Soldaten und Beamten, das war ein uralter, geheimnisvoller, ferner Kaiser, das konzentriert sich zum Bild einer schönen eleganten Mama im weißen Sommerkleid, die durch den besonnten Garten geht.

Andere mochten sich durch solche Reminiszenzen zur Sentimentalität verleiten lassen, Fronius aber gewann daraus intuitiv die Erkenntnis von der ungeheuren dramatischen Spannung zwischen dem Tun der Menschen und dem Gang unabwendbarer Geschehnisse, gepaart mit einer souveränen Einfühlung in die Atmosphäre und Milieu seiner Vorwürfe.

Eine Reproduktion des Goya-Gemäldes „Die Erschießung der Aufständischen”, die er in einer Zeitschrift findet, weckt in dem Knaben den Wunsch, Maler zu werden. An der Wiener Akademie ist er, wie viele andere Künstler seiner Generation, Schüler Karl Sterrers, geht aber sehr bald seinen eigenen Weg, der ihm die entscheidende Begegnung mit Alfred Kubin bringt.

Fronius: „Goya, Daumier, Kubin, das waren damals für mich richtige Entdeckungen. Doch auch einen Hieronymus Bosch etwa mußte man damals für sich selbst entdecken. Oder wer wußte zu jener Zeit in Österreich etwas von James Ensor? Im Literarischen waren Kafka und Trakl für mich solche Offenbarungen. Man kaufte, die Bändchen beipi alten Richard Ląnyi, in dessen Antiquariat sie verramscht wurden, Es war geradezu ein Wahnsinn, Kafka zu illustrieren, weil ihn ja niemand kannte. Neben meiner beruflichen Tätigkeit als Mittelschullehrer habe ich jahrelang für die Kommode gearbeitet. 1937 schließlich bin ich mit meinen Zeichnungen zu Max Brod nach Prag gefahren, und der Kafka-Kreis veranstaltete dann eine Ausstellung der Blätter.” Frage: „Wie viele Ausstellungen folgten dieser ersten Schau?” Fronius: „Seit 1945 — im Krieg war ich ja Soldat — etwa sechzig Kollektivausstellungen im In- und Ausland. Jetzt im Herbst zeigt übrigens das Klingspor-Museum für Graphik und Buchkunst in Offenbach am Main eine große Zahl meiner Arbeiten.”

Die Kunst des Illustrators Fronius mag vom Literarischen oder historienhaft Dokumentarischen ausgehen, führt aber immer in direkter Umsetzung zu visionärer Überhöhung und eigenschöpferischer Interpretation. Der Graphiker liebt das Helldunkel, mit weicher Kreide oder Tusche in breiten Strichen aufs Papier gesetzt, mit klumpigen Ballungen, Düsternissen und Nebelbildungen, aus denen die Gestalten in scharfes Licht tre- ten. Zu seinen besten Arbeiten gehören die „Imaginären Porträts”. Fronius zeichnet sie nach Pressephotos, Abbildungen in Lexika und historischen Werken, aber er filtert die physio- gnomischen Gegebenheiten durch sein Temperament und stellt die Bildnisse, frei von Ehrfurchtspatina, dafür aber mit einem Höchstmaß an subjektiver Aussagekraft, in unmittelbare lebendige Beziehung zum Betrachter.

Weiten Kreisen wurde er durch seine Zeichnungen für Theaterprogramme bekannt, eine Auswahl wird demnächst als Sammelband erscheinen. Diese Graphiken sind niemals gezeichnete Reportagen der betreffenden Aufführungen, niemals Szenenphotoersatz, sondern völlig eigenständige bildliche Deutungen ‘des dräüldfiVöheif GesįheheriŠ.’

Illustrationen zu den Komödien Shakespeares und Möllerest zeigen mit ihrer zügigen, satirisch fadendünnen Linienführung einen anderen Fronius und echtesten Fronius obendrein: den hintersinnigen Spaßmacher, dem das behaglich breite Lachen ebenso gegeben ist wie der die Dinge jählings anspringende Witz. Unverkennbar die geistige Verwandtschaft mit Daumier, aber auch mit der dämonischen Komik eines Werner Krauss, denn in Fronius steckt ein echter Komödiant, der die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Schein mit einem Blick, einem Stirnrunzeln, einer Handbewegung zu verwischen vermag.

Frage: „Wir haben bis jetzt nur von der Illustration gesprochen, aber neben Ihrem Schaffen für das Buch entstehen doch auch immer wieder freie graphische Blätter?”

Fronius: „Ja, freie Einfälle machen eigentlich den Großteil meiner Produktion aus. Und vor allem brauche kh die Landschaft. Es gibt heute sehr wenige ernstzunehmende Fuinstler, die noch in die Natur hinausgehen, um zu zeichnen. Ich habe immer das Bedürfnis dazu gehabt. In Fürstenfeld, wo ich dreißig Jahre meines Lebens verbrachte, war es die wunderschöne Au- landschaft. Die habe ich durchwandert, wenn ich viel Figurales gezeichnet habe, habe mich immer wieder selbst gefunden, das Auge ausgeruht. Ich brauche diesen Formenreichtum der Stille als Gegengewicht gegen meine unruhige Figurenwelt. Zur Zeit ziehen mich die Donauauen sehr an. In Fürstenfeld war ich ja sehr lange, es bestand schließlich die Gefahr, daß ich mich wiederholen würde, während jetzt tausend neue Eindrücke auf mich zukommen, mir eine ganz neue Welt erschließen.”

Frage: „Eine bedeutsame neue Aufgabe außerhalb der Buchkunst war doch die vor kurzem beendete Arbeit an den Kreuzweg-Kirchenfenstern für eine Kirche in der Steiermark. Sie zeichneten mit Schwarzlot auf farbiges Glas. Welche geistigen und künstlerischen Gesichtspunkte waren dabei bestimmend?”

Fronius: „Jedes derartige künstlerische Vorhaben führt tiefer ins Denkerische hinein. Ich hatte vorher noch nie Kreuzwege gezeichnet oder gemalt. Wenn man bei der Beschäftigung mit dem Thema auch sehr rasch visuelle Einfälle hat, muß man sich einen Zyklus in seiner Abfolge sehr gründlich überlegen, um so mehr, als in diesem Fall die vierzehn Scheiben in ungleicher Höhe in die Kirchenwand eingesetzt wurden, sie wirken wie Luken, durch die das Licht eindringt. In der Gesamtkomposition erscheint mir vor allem der dreifache Fall Christi als sehr wesentlich, ein Fall, der eine ungeheure dramatische Steigerung darstellt, vom Niedersinken bis zum kreatürlichen Auf-dem- Boden-Liegen. Das ist wie in einer großen Erzählung — Bewegung, Gegenbewegung, Post und Kontrapost. Bei der Anordnung der Bilder muß man immer wieder diese Spannungsmomente des Falles hervorheben, folgerichtig auch die sogenannten Troststationen betonen und den Höhepunkt mit der Kreuzigung setzen, auf den optisch ein tiefer Sturz folgt: die Grablegung.”

Hans Fronius ist immer voll und ganz mit seinen Themen engagiert, am Zeichentisch ebenso wie in Gesprächen. In Frankreich würde man ihn nun wohl ehrerbietig „Maitre” nennen. Die wahre Meisterschaft ist ihm schon lange zu eigen und, durch Wandlung immer neuerlich gesteigert, wächst sein Werk weiter, verwurzelt in der Kraft seiner reichen künstlerischen und menschlichen Persönlichkeit.

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