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Schwedisches Gastspiel

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Das Königliche dramatische Theater Stockholm, „Dramate n“, ein Weltbegriff in der Welt des Theaters, aus dessen Schule eine Reihe von Schauspielern hervorgegangen lind, die in Amerika und Europa sich durchgesetzt haben, gastierte in Wien mit zwei S t r i n d b e r g - Stacken: „Fräulein Juli“ und „Der Vater“. Kritische Stimmen meinten, es sei doch ein arges Wagnis, zwei Abende lang in einem so fremden Idiom wie dem Schwedischen das Wiener Publikum ansprechen zu wollen, und meinten, wenn man schon Strindberg, die stärkste Potenz der schwedischen Bühne, wähle, dann sollte man doch lieber die Traumstücke seiner späten visionären Epoche wählen und nicht die klobigen Frühwerke eines massiven Naturalismus. Um mit dem zweiten Einwand die Diskussion zu beginnen: die Traumstücke bedürfen nicht nur eines großen Apparats, der sich für Reisezwecke wenig eignet, sie sind auch durch die großen Regisseure und Illusionsmeister des neueren europäischen Theaters dermaßen international geworden, daß das spezifisch Schwedische in ihnn zurücktritt. Ich glaube, daß das ,,'Drainaten“ wohl beraten war, hier in Wien, wie im Vorjahr in Paris, für seine beiden Abende im Wiener Burgtheater gerade „Fräulein Julie“ und „Der Vater“ zu wählen: eine breite Symphonie, oft überraschend „russisch“, an die monotone und eindringliche Gewalt der russischen Ströme gemahnend, wenn sie im Frühjahr die Last des Eises brachen und durch die lichter Werdenden Nächte brausen, so stellten sich uns hier diese beiden Frühwerke Strindbergs vor.

Strindberg ist ein europäisches Phänomen, das in seiner Tiefendimension erst heute, nach dem zweiten Weltkrieg, bekanntzuwerden beginnt. Er ist mächtiger, reicher, stärker als andere mehr im Vordergrund stehende Spitzenreiter des 19. Jahrhunderts, weil er die Krise seiner Zeit tiefer, vielschichtiger erlitten hat: als eine alles ergreifende Gerichtshand-Umg, die in der Unordnung der Gesellschaft, der Leiber und der Seelen, in der sozialen Krise, der Krise der Ehe und der Geschlechter, eine Krise des Menschen erkannt hat, der weder mit Worten noch mit Taten beizukommen ist: Heil, Heilung wird nur durch das Gericht, die Sühne. Die Gnade wird im Urteilsspruch erfahren. Gesundheit wird nur durch das Austragen der Krankheit gewonnen. Das Leben muß wiedergeboren werden durch etliche Tode hindurch. Strindbergs „Helden“ sind in diesem Sinne Gerichtete, die das Mal ihrer Verurteilung vom ersten Wort und Auftreten an bezeugen.

Das „Dramaten“ spielt „Fräulein Julie“ in der ungekürzten Urfassung. Die Regie (Alf Sjöberg) arbeitet sehr geschickt den nordischen Hintergrund dieser Tragödie heraus: während in kontinentalen Aufführungen' die beiden unseligen Gestalten, das adelige, einsam-neurotische Mädchen Julie und der Kammerdiener Jean, ein Viehskerl mit angeklebten Manieren, in einem luftleeren Raum aufeinander zustürzen, webt hier um die beiden der dumpfe, unbarmherzige Zauber der nordischen Mitsommernacht: verführerisch, leuchtend, flammend, verzehrend. Pan, im panischen Reigen. Jean zieht Julie, die zaudernde und zagende, in sein Zimmer, sie wird sein Opfer, gewollt und wider Willen zugleich, während mänadi-sche Männer und Weiber ihr Fest, trunken und fruchtbar, lärmend und laut ins Haus tragen: Trolle und Elben, die Alpdruck erzeugen, Angst und eine wahnsinnige Verheißung rauschhafter Lust. Diesem

Volk ist diese sensible, feinnervige Frau nicht gewachsen. Inga Tidblad gestaltet ihren Untergang glaubwürdig, ergreifend, anziehend: mitteleuropäische Schauspielerinnen arbeiten meist das Krankhafte und Bösartige, das Schlechte und Dekadente an dieser Frauensgestalt heraus. Frau Tidblad arbeitet mit äußerster Diskretion und Selbstzucht, sie verschmäht alle reißerischen Mittel, vermag mit wenigen Handbewegungen und Akzentsetzungen das Spiel zu orchestrieren. Reizvoll ist ein Vergleich mit Käthe Gold in Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ (dieses Stück ist ein Tochterstück der „Fräulein Julie“). Die große Stärke des Nordens kommt hier in der Kunst, vieles auszusparen, wirkungsvoll zum Ausdruck. Neben Inga Tidblad vermag sich Ulf Palme in gewissen Momenten zu behaupten. Märta Dorff als die Köchin Kristin wirkt unheimlich lebensstark, vor allem durch die Beredtheit ihres stummen Gebärdenspiels.

„Der Vater“ stellt an das nicht schwedisch sprechende Publikum weit höhere Anforderungen als der Einakter des Vortages, der ohne Pause und ohne Minderung der Spannung abrollt. „Der Vater“ ist bekanntlich eine der großen Chiffren des 19. Jahrhunderts: im Kampf der Söhne und Frauen gegen ihre Väter und Vater-Männer gehen die autoritären und patriarchalischen Väter der alten Welt unter. Strindberg behandelt dieses umfassende Problem als brutal-düsteren Machtkampf. Der Rittmeister wird von seiner Frau niedergekämpft, da er der Herr im Hause sein will. — Lars Hanson, einst der Filmpartner Greta Garbos, eine der angesehensten Erscheinungen der schwedischen Bühne, gestaltet diese große und schwierige Rolle ganz anders als etwa deutsche Schauspieler: gehen diese im Ablauf der Handlung immer mehr nach außen, tragen, rufen, schreien ihren Konflikt in ihre um sie zerfallende Umwelt, die „Familie“, die sich als ein Chaos erweist, hinaus, so geht Hanson immer mehr nach innen. Er kriecht förmlich in sich hinein, vergräbt sich in die Gebilde seines Wahnes und seiner Sorge. Dieser „Vater“ ist ein Bruder grübelnder Pastoren und Sektierer, die sich im Zwielicht langer einsamer Winternächte einen Weg zu einem fernen Gott durch das Dickicht ihres eigenen Untergrundes bahnen wollen und dabei in der Hölle landen. Zumindest in der Hölle ihrer nunmehr wach werdenden Triebe und Bedrängnisse. Hartes Blond, stahlhart und unerbittlich neben ihm seine Frau (Irma Christenson).

Als Gedenkaufführung für Anton Wildgans bringt die Josefstadt Wildgans' „Armut“. Das tapfere Experiment des Regisseurs Hermann Kutscher, der mit allen Mitteln (Regie, Bühnenbild, Einsatz der Schauspieler) bemüht ist, dieses Stück von zeitbedingten Momenten zu befreien, die heute kaum erträglich wirken in ihrer larmoyanten, expressionistischen Pathetik. Kutscher will das Allgemeingültige, Immer-Gegenwärtige, das menschliche Drama herausarbeiten, und das gelingt auch. Da die Schauspieler hier ganz mitmachen und auf die ehedem beliebte Exzentrik dieses Spiels verzichten, entsteht eine wirkliche Ehrung für den österreichischen Dichter. Ergreifend Günther Haenel als Vater, eindrucksvoll Elisabeth Epp als Mutter, glaubwürdig in seinem Trotz der Sohn Helmuth Lohners, die Tochter Lucie Neudecker, und alle zehn Personen dieses Stückes.

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