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Schwierige „Familie der Scholle“

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Unweit der Verkündigungskirche in Nazareth befindet sich das Café von Mansour Tufik Kardosch. An einem der letzten heißen Sommertage machte ich in diesem Café Rast, um meinen alten Bekannten, Manspur Tufik, aufzusuchen. Mein Gastgeber, der auch Besitzer einer kleinen Eisfabrik ist, bewirtete mkh nach altem arabischem Brauch aufs beste. Es gab Hummer mit marinierten Eierfrüchten (Chazilim) und schwarzen Oliven, am Spieß gebratene Hammelhoden mit Reis und zum Schluß türkischen Kaffee. Mansour Tufik wollte auch unserem europäischen Geschmack gerecht werden und brachte uns persönlich eine große Portion Fruchteis aus der eigenen Fabrik.

Trotz des heißen Tages wehte auf den Höhen von Nazareth eine kühle Südwestbrise. Der 40jährige, schwarzhaarige, akademisch gebildete Mansour Tufik rauchte nach einigen Zigaretten seine geliebte Wasserpfeife (Nargileh).

Politik scheidet die Geister

Anfangs drehte sich unser Gespräch nach alter Tradition um das Wetter, die Ernteaussichten, das Wohlergehen der Frauen und Kinder und der Brüder und anderen Familienmitglieder. Doch schon nach kurzer .Zeit kam das Gespräch auf Politik.

Hier erhitzte sich das Gemüt meines arabischen Gastgebers: „Man hat uns unsere Freiheit geraubt. Unsere Nationalehre tritt man mit den Füßen. „Israels Militärverwaltung hat ihre Zügel zwar gelockert, aber wehe dem, der gegen die Regeln verstößt. Wenn Juden und’ Araber zusammen in einem Autobus fahren und in das arabische Gebiet Israels kommen, kann es noch heute passieren, daß die arabischen Passagiere ihre Identitätskarten zeigen müssen, während sich die jüdischen Mitfahrer nicht auszuweisen brauchen. Man sagt uns zwar, daß dies nur eine Formalität sei, um das Eindringen von Infiltranten über die Grenzen zu verhüten.“

Der Weg in den Extremismus

Mansour Tufik Kardosch ist der Sprecher und Führer einer kleinen extremistischen Gruppe arabischer Intellektueller, die sich „Assrath el Ard" (Familie der Scholle) nennt. Diese Gruppe ist bis heute nicht bereit, Israels Grenzen anzuerkennen. Sie fordert, ähnlich wie alle arabischen Staaten, die Einhaltung der Grenzen, die im Jahre 1947 von einer UNO-Kommission — vor dem jüdisch-arabischen Krieg — festgesetzt wurde.

Die Gründung der El-Ard-Gruppe ist ein Symptom der Lage der arabischen Intellektuellen, die sich in einem jüdischen Mehrheitsstaat befinden. Kurze Zeit nach der Staatsgründung begann die israelische Regierung mit dem Versuch, die arabische Minderheit zu absorbieren. Die Schicht der arabischen Intellektuellen flüchtete während des Befreiungkrieges, und es blieben in der Mehrheit Fellachen und Arbeiter zurück. Die patriarchalischen Familienoberhäupter der arabischen Dörfer waren die ersten, die mit dem israelischen Staat koopefierten. Sie fürchteten den Zerfall ihrer Familien und ihres Standes und kümmerten sich wenig um die „Nationalschmach“, als Minderheit in einem jüdischen Staat zu leben.

Die wirtschaftliche Lage der israelischen Araber verbesserte sich im Vergleich zu den Bewohnern der arabischen Nachbarstaaten um vieles. Ähnlich wie jede nationale Minderheit mußte der arabische ; Arbeiter fleißiger sein als sein jüdischer Kollege, mindestens genauso gut, wenn nicht besser arbeiten, um Arbeit zu erhalten oder seinen 1 Arbeitsplatz zu halten. Der jüdische • Arbeiter hat dank seiner besseren

Ausbildung und seines höheren kulturellen Niveaus meist mehr Aussichten, zu einer Beamtenlaufbahn aufzusteigen oder den Posten eines Technikers zu erhalten, als sein arabischer Kollege. Heute sind in Israel die meistbeschäftigten Ungelernten und Landarbeiter Araber. Auch im Baufach sind sie in der Mehrzahl. Die Araber sind vom wirtschaftlichen Standpunkt aus mit ihrem Schicksal zufrieden. Sie verdienen meist ebensoviel wie ihre jüdischen Mitbürger, haben einen niedrigeren Lebensstandard, so daß sie sich mehr sparen und anschaffen können.

Wohin mit den Intellektuellen?

Schwieriger ist das Problem der arabischen Intellektuellen. Ein arabischer junger Mann, der ein Gymnasialstudium hinter sich hat, hält sich bereits für einen Intellek tuellen und ist nicht mehr bereit, manuelle Arbeit anzunehmen. Nur ein kleiner Teil von ihnen kann als Lehrer oder Beamter eingesetzt werden. Viele dieser ehemaligen Gymnasiasten sind freiwillig arbeitslos und dadurch verbittert.

Noch ernster ist das Schicksal der arabischen Akademiker. Nach Abschluß ihres Studiums sind diese nicht bereit, zu den primitiven Lebensbedingungen ihrer Heimatdörfer zurückzukehren. Das Lebensniveau in Nazareth, Akko und Jaffa ist nicht viel höher. Hier erlitt der Plan der israelischen Regierung, eine junge arabische intellektuelle Führerschicht heranzuziehen, Schiffbruch, obwohl diese arabischen Studenten große Erleichterungen zu ihrem Studium erhielten.

Das Ziel der arabischen Akademiker ist, das Land zu verlassen und entweder in Europa oder Amerika Karriere zu machen oder in das israelisch-jüdische Wirtschafts- und Gesellschaftsleben eingegliedert zu werden.

Um als Araber nicht aufzufallen, muß diese intellektuelle Schicht sich völlig assimilieren. Dies geschieht nicht nur in der Sprache und Kleidung, oft werden die Namen gewechselt, und viele treten zum Judentum über, um jüdische Frauen zu heiraten.

Hoffen auf Nasser

Eine kleine Schicht der arabischen Akademiker ist zu diesem Assimilationsprozeß nicht bereit. Aus diesem Grund ist es ihnen schwer, im jüdischen Sektor Arbeit zu finden, anderseits sind sie nicht bereit, ins Dorf zurückzukehren, wo es nur Arbeitsmöglichkeiten als Lehrer oder Ärzte gibt.

Der Einfluß dieser Gruppe ist verhältnismäßig klein, doch das Potential der Verbitterung einer Minderheit ist groß und die Gefahr besteht, daß die El-Ard-Gruppe, deren Mitgliederzahl sich heute auf einige Dutzende beläuft, auf Tausende anwachsen kann.

In den Televisionsübertragungen aus Ägypten wird ständig für die El-Ard-Gruppe propagiert. Der Staat Israel hat beschlossen, energisch gegen diese Gruppe vorzugehen, um die Gefahr im Keim zu ersticken. Die El-Ard-Gruppe pocht aber auf ihre demokratischen Rechte und wandte sich sogar an die UNO zwecks Unterstützung.

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