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Sdiädelschalen - Kultsymbole

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Heinrich Harrer hat lange dazu gebraucht, um die 350 Objekte seiner Sammlung zu beschaffen: Ein Jahr, in dem er seit der Flucht aus einem indischen Internierungslager in Tibet bei Bauern gearbeitet hatte, ein weiteres, in dem er mit Nomaden über das „Dach der Welt” — das größte Hochland der Erde — gewandert war, fünf Jahre, die er in der für Weiße verbotenen Stadt Lhasa am Hof des Dalai Lama hatte verbringen dürfen, und etliche Monate, in denen er sich vor der drohenden Gefahr aus China mit dem größten Teil seines Besitzes gerade noch nach Nepal hatte absetzen können.

Das macht, alles zusammengerechnet, fast siebeneinhalb Jahre aus. Siebeneinhalb Jahre, die der Bergsteiger und Akademische Skiwelt meister nützte, um das von einer Reihe von gigantischen Bergketten durchzogene Gebirgsland zu sehen, seine Menschen, seine Städte, seine Religion und somit den Lamaismus mit vielen seiner Riten und den dabei unerläßlichen Kultgegenständen kennenzulernen.

Jeden Kultgegenstand und jedes profane Gerät, das Harrer handwerklich einwandfrei erschienen war, hatte er in diesen Jahren gekauft. In Tibet — nach Meinung Harrers gleicht es in seiner Uner- meßlichkeit dem Meer, dem Dschungel oder der Wüste: man muß es lieben oder hassen — genauso wie in Nepal, wo viele, ebenfalls geflohene Lamapriester und -mönche in Geld umsetzten, was an den Mann zu bringen war, vor allem ikonogra-

phisdie Rollenbilder, Amulette und Amulettkästchen.

Dennoch hätte es der nun in Kitzbühel ansässige Kärntner, der einst in Graz studiert hatte, niemals gewagt, allein eine Ausstellung zu planen. Sö haben einen wesentlichen Teil der Vorbereitungsarbeiten Wissenschaftler übernommen, in diesem Fall Direktor Dr. Etta Becker-Donner und der Ostexperte Dozent Dr. Hans Manndorff vom Museum für Völkerkunde, der Generalsekretär der österreichischen Kultur- vereinigung, Herbert Gaisbauer, und der tibetanischen Lama Tethong Rakra, zur Zeit Lehrer im Schweizer Pestalozzi-Kinderdorf Trogen. Sie alle erhielten für die Auswertung und Organisation eine Frist von zwei Monaten.

Das erste, was die Wissenschaftler veranlaßten, war die Vergasung aller 350 Objekte. „Denn”, erklärt Dozent Manndorff, „eingeschleppte Holzwürmer, Motten und Mikroben würden sich für ein Museum katastrophal auswirken.”

Sorgfältige Auswahl der Ausstellungsobjekte

Die nächste Aufgabe der Wissenschaftler bestand dann in der Auswahl und Bestimmung der Ausstellungsstücke, weil schließlich weder Duplikate noch uncharakteristische oder nicht identifizierte Gegenstände einer Ausstellung besonderen Reiz verleihen, zumal einer Ausstellung, die den Besucher primär informieren will über Kunst und Kunstgewerbe, Sitten und Gebräuche dieses fernöstlichen Landes, in dem mehr als 20 Prozent der Männer als Mönche in burgartigen Klöstern in verloren wirkenden Steppen, an einsamen Seen oder in ausgesprochener Ge- birgsverlassenheit leben.

Ein Staat mit so zahlreicher Prieterschaft ist naturgemäß überaus eligiös orientiert und wird folgerichtig theokratisch regiert — daher bestimmen die Gegenstände aus dem amaistischen Kultbereich den Stil der Ausstellung.

Überdies lassen sich gerade hier Kult- und Gebrauchsgegenstände nicht immer scharf voneinander trennen. Denn so wie der Rosenkranz der Tibeter mit seinen 108 Perlen nicht nur zum Beten, sondern auch zum Rechnen und als Schmuck dient, gilt es nicht als Entweihung, dem geehrten Gast die Teeschale aus Jade mit lotusförmi- gem Untersatz und pagodenförmigem Deckel vorzusetzen, die zuvor als Opferschale auf dem Hausaltar gestanden war.

Unerläßliche Tribute des Lama allein sind dagegen Donnerkeil und Tempelglocke. Der Donnerkeil — Harrer besitzt einige Stücke aus Holz und etliche aus Bronze — gilt als Symbol für zahlreiche Götter. Die zumeist versilberte und reich ornamentierte Tempelglocke wieder ruft die Lamapriester, -mönche und -schüler zum Gebet.

„Schon am Eingang der Klöster sind Gebetsmühlen wie diese hier anzutreffen”, sagt Manndorff und nimmt eine silberbeschlagene Gebetsmühle in die Hand: ein drehbarer Zylinder mit Papierrollen, auf denen eine Reihe von Gebeten steht. „Läßt ein Tibetaner die Gebetsmühle rotieren, glaubt er, nun steigen die Gebete schneller, als die menschliche Zunge sie auszusprechen vermag, zu den Himmlischen”, ergänzt Manndorff und weist anschließend auf einige Weihrauchkessel und Weihwasserkannen, Gebetbücher und glänzende, tiefgelbe Schädelschalen, die während der Meditation auf dem Opfertisch des Zeremonienmeisters stehen. Sie riechen infolge des Vergasens höchst unangenehm, genauso wie die zum Tempelorchester gehörenden Knochenflöten mit dem drachenförmigen Schalltrichter und die fast zwei Meter langen Tempelposaunen, die großen, holzgeschnitzten und bunt bemalten Masken, die Kultdolche und Schädelkronen, die Architekt Walter Prankl in den Vitrinen der Parterreräume des Museums arrangiert hat.

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