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Sdiwejk im Wandel

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So wie jeder Mensch sind auch ganze Völker einem ständigen Wandel unterworfen. Begabungen kommen, Begabungen versinken; Berufsgruppen werden gefördert, andere vernachlässigt. All das sieht man oft im Ablauf von Jahrhunderten oder Jahrzehnten. In unserer schnellebigen Zeit glaubt man oft die Entwicklung eines Volkes wie in einem Film gerafft zu sehen.

Viele Eigenschaften, die man einst dem Österreicher oder Franzosen als besonders spezifisch zuschrieb, sind längst unaktuell oder zumindest wenig bezeichnend; kaum mehr wird von den Deutschen als „Volk der Dichter und Denker“ gesprochen. Erst recht ein „Volk im Wandel“ sind die Tschechen — gewiß auch die Slowaken —, wobei ein innerer Wandel, ein Wandel auf Grund eigener Maßnahmen ebenso sichtbar wurde, wie vor allem der, der durch den Druck von außen ausgelöst wurde.

Schwejk — oder der dichtende Soziologe

Das Vordergründige des immer wieder neu aufgelegten und in alle möglichen Sprachen übersetzten Werkes vom „Braven Soldaten Schwejk“ von Hašek, das Antiösterreichische, ist längst bedeutungslos geworden; was blieb, ist die Selbstdarstellung eines kleinen Volkes, das im wahrsten Sinne des Wortes ein „Volk von Zivilisten“ ist, was je nach Betrachtungsweise Schimpf oder Lob darstellen kann. Dabei war der Blutzoll des tschechischen Volkes im ersten Weltkrieg hoch; bewußt hat man selbst, aber auch andere, das Überlaufen einzelner tschechischer Einheiten gegen Ende des Weltkrieges übertrieben, ähnlich wie die Heldentaten der tschechischen Legionäre 1919 und 1920 in Rußland. Nach 1918, also im selbsteingerichteten Haus, zeigte es sich, daß man trotz eines erfahrenen Offiziers- und Unteroffizierskorps keine eigene soldatische Tradition zu schaffen wußte. Es waren durchweg tragische Gestalten und tragische Schicksale, ob es nun die Generale štefanilc, Gajda oder Sírový, ob es Generalstabschef Machar, Oberst Moravec oder ob es die Generalsgeneration der Zeit nach 1945 war, die dann nach 1948 rücksichtslos dezimiert wurde.

Wie immer schließlich das Schicksal Ludwik Svobodas, des ersten Generals auf dem Prager Präsidentenstuhl, enden wird, schicksalhaft um- düstert waren schon die ersten 72 Jahre seines Lebens in reichem Maße. All diese Einzelschicksale aber sind nur Symptom eines Volkes, das seine Begabungen vorweg auf anderen Gebieten als auf dem militärischen sieht.

Der gefährliche Sprung in die Selbständigkeit

Das 50-Jahr-Jubiläum der Republik Österreichs und das parallele Jubiläum der Tschechoslowakei hat mehr als in allen bisherigen Jahrzehnten wieder das denkwürdige und schicksalsschwere Jahr 1918 in den Mittelpunkt gestellt. Mögen auch die offiziellen Feiern der Tschechen und Slowaken umdüstert gewesen sein; die alte wie die junge Generation hat sich doch ausführlich mit dieser Zeitenwende auseinandergesetzt und oft sehr ehrlich die Frage gestellt, ob es purer Zufall und ob es nur die Böswilligkeit der großen Nachbarn der Tschechen in West und Ost war, daß sie von diesen 50 Jahren nicht einmal die Hälfte, nämlich nur 23 Jahre, wirklich frei und selbständig Wirken konnten. Das Soll keine billige Rechtfertigung des alten Österreich sein, von dem der englische Historiker Parr nicht allzu verständnisvoll erklärte, „die einzige Bedeutung eines österreichischen Staates war für die Habsburger, daß sie ihn besaßen, und für die übrige Welt, daß es ihn gab“.

Die Österreich-Freundlichkeit des heutigen Tschechen hängt zweifellos nicht nur mit dem heutigen Nachbarland und dem heutigen Österreicher zusammen, sondern zum Teil auch mit einer Neueinschätzung des alten Österreich. Anders war es in den zwanziger und dreißiger Jahren. Ein gewiß völlig unverdächtiger, prominenter Zeuge, Amerikas bester Ostexperte, Botschafter Kennan, der 1939 zur US-Botschaft nach Prag kam, schrieb in seinen eben erschienenen Erinnerungen: „Meine Sympathien lagen bei Österreich, für die so wenige ein gutes Wort übrig hat ten und die vor allem von den Tschechen mit solcher Feindseligkeit abgelehnt worden waren. Ich fand, daß die Tschechen vieles von dem, was ihrer Hauptstadt und ihnen selbst zur Zierde gereichte, der langen Verbundenheit mit Wien verdankten und daß es ihnen wohl angestanden hätte, das zuzugeben.“ Der damals junge George F. Kennan spürte 1939 schon sehr deutlich, was sich erat jetzt abzeichnet: Mögen sie Österreich bekämpft und mitzerstört haben, die Masaryks und Kramarachs — sie alle, die Männer der ersten Generation, nahmen sehr vieles und Gutes aus Österreich in ihre neue Republik mit, was von der nachfolgenden Generation — repräsentiert etwa durch Benesch — nicht mehr gesagt werden kann, die kaum noch Bindungen zu Österreich hatte.

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