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Alexander Spiegelblatts Erinnerungen an seine verlorene bukowinische Heimat.

Es ist ein Verdienst des Otto Müller Verlags, mit der "Jiddischen Bibliothek" Texte zugänglich zu machen, die ohne schützendes Reihendach am hektischen Buchmarkt unserer Tage schwer einen Ort finden würden. Als Band sechs ist nun Alexander Spiegelblatts Erinnerungsbuch an seine verlorene bukowinische Heimat erschienen.

Geboren 1927, gehört Spiegelblatt einer Generation an, die viele Traditionen und viele der Originale, an denen diese untergegangene Welt so reich war, nicht mehr selbst kennen gelernt hat. Es ist so eine doppelte Wehmut, die den ersten Teil der Lebensgeschichte bis zur Vertreibung im Oktober 1941 prägt.

Da ist das Bedauern, vieles nur aus ungenau erinnerten Erzählungen der Großeltern wiedergeben zu können. Und da ist das geduldige Bemühen, erzählend der vielen Opfer des faschistischen Terrors zu gedenken, die alle beim Namen genannt werden wollen. Im Lesen mag die Vielzahl der Figuren zunächst verwirren. Erzähltechnisch sind sie alle von Bedeutung, "sogar noch als Schatten im Gehirn rangeln sie sich um eine Zeile". Mit dem Okular des Uhrmachers, dem Arbeitsgerät des Vaters, dessen Beruf der Sohn übernehmen wird, versucht der Autor sie alle zu fokussieren, sie erzählend wieder zum Leben zu erwecken.

Der zweite Abschnitt des Buches schildert die Zeit der Vertreibung der Juden nach Transnistrien, einem Landstrich zwischen Dnjester und Bug. Ließ sich der Antisemitismus in Spiegelblatts Jugend noch durch ein ausgefeiltes System der Bestechung abfedern, lernte die rumänische faschistische Verwaltung von den Deutschen rasch, dass die totale Enteignung den schnelleren Weg der Profitmaximierung darstellt. Auch wenn für die organisierte Vernichtung der Juden in Transnistrien nicht mehr Zeit blieb, setzte das Regime erschreckend effektiv auf den massenweisen Tod durch Hunger, Seuchen und psychische wie physische Entkräftung. Auch Paul Celans Eltern fanden hier den Tod.

Spiegelblatt, der 1964 nach Israel auswanderte, spricht in rücksichtsloser Offenheit die unheilbaren Wunden dieser Jahre an. Unheilbar sind nicht nur die erlittenen Demütigungen, Todesängste und Schrecken; genauso unheilbar sind die Erfahrungen der Abstumpfung und Verrohung, die auch die Opfer des Terrors veränderten. Es geht um die "innere, nagende Wahrheit" eigenen schuldhaften Verhaltens, die bleibende "Falten in der Seele" zurückließ.

"Ich weiß wohl, dass wir im Kampf um die nackte Existenz alle verhärteten", schreibt er, und so richtet er sein Okular denn auch mit besonderer Liebe und Detailgenauigkeit auf jene Personen, die sich aus dieser Verhärtung heraushoben, die selbstlos und unter Lebensgefahr Akte der Solidarität und Nächstenliebe setzten. Ihnen ein Denkmal zu errichten war wohl auch eine Schreibmotivation für diese späten und spürbar schmerzlichen Lebenserinnerungen.

Durch das Okular eines Uhrmachers

Von Alexander Spiegelblatt. Aus dem Jidd. von Armin Eidherr

Otto Müller Verlag, Salzburg 2003

283 Seiten,geb., e 26,70

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