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Sehnsucht nach Heimat — aber immer im Exil

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50 Jahre Zweite Republik - wie fühlt sich heute ein Intellektueller jüdischer Herkunft in Osterreich?

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50 Jahre Zweite Republik - wie fühlt sich heute ein Intellektueller jüdischer Herkunft in Osterreich?

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Er wurde hochgelobt und gnadenlos verrissen. Doch mit Widersprüchen und Zwiespältigkeiten hat Robert Menasse längst leben gelernt: für die einen ein Nestbeschmutzer, für andere einer, der Österreich liebt, weil er sich mit dem Land ernsthaft auseinandersetzt; manche halten ihn für einen großen österreichischen Schriftsteller, andere können mit seinen Essays und Romanen nichts anfangen; einige bezeichnen ihn als jüdischen Intellektuellen, und wieder andere als katholischen Muttermörder.

Bis heute wehrt er sich gegen jede Zuordnng: „Ich kann mich nicht dagegen wehren, irgendwem oder irgendwohin zugeordnet zu werden, aber bisher haben sich alle Zuordnungen gegenseitig aufgehoben. Tatsache ist, daß ich keinem ,Lager' und keiner Seilschaft angehöre. In Österreich bedeutet das, daß mir jede Seilschaft unterstellt, ich gehöre einer anderen an. So kommt man plötzlich zu Freunden, die man nicht einmal als Feinde akzeptieren würde, und zu Feinden, mit denen man keine Probleme hat, weil man von ihnen nichts weiß.”

„Römisch-Mosaisch”

Zwiespältigkeiten durchziehen sein Leben wie ein roter Faden. Geboren ist er 1954 in Wien, sein Vater war ein assimilierter Jude, seine Mutter Taufschein-Katholikin. Nachdem sich seine Eltern getrennt haben, verbringt er als Vierjähriger viel Zeit bei den väterlichen Großeltern, die NS-Zeit und Krieg in Wien im Untergrund überlebt haben; andere Verwandte sind emigriert.

Von bestimmten jüdischen Traditionen fühlt er sich heimatlich angesprochen: dialektischer Witz, ein realistischer, kreativer Blick auf die Welt, das Erzählen von Geschichten, ein breites episches Denken. Die Großeltern vermitteln ihm, daß Assimilation nicht Angleichung bedeutet. Trotzdem hat in seiner Sozialisation der Katholizismus die größere Bolle gespielt. Er bezeichnet sich selbst als „römisch-mosaisch”, und das ist wohl nur in Österreich möglich. Eben deshalb ist ihm in Österreich alles vertraut und gleichzeitig fremd. „Ich liebe diese Zerrissenheit, sie ist ein Spalt, durch den man hinter die Oberfläche sehen kann. Auch deshalb liebe ich dieses Land so sehr; weil ich hier so viel sehe!”

Aufgewachsen ist er im Alltag der Zweiten Bepublik nach dem Staatsvertrag, und er erinnert sich an die Stimmung, die „irgendwie von Pastellfarben geprägt war: die erste Einbauküche der Eltern, die Vorhänge im Wohnzimmer, die Tütchenlampen, die Farben der Gemeindebauten, die damals entstanden sind. Die Kindheit war pastellfarben, obwohl sie nicht glücklich war”.

Im Gymnasium waren viele Lehrer Nazis, die Atmosphäre war voller Ressentiments gegen Außenseiter, „sozialen Abschaum” und ähnliches. Sein Schreibstil wurde auch dadurch geprägt, daß in Österreich jeder politische Diskurs fehlt und nur Geschichten erzählt werden, in einer Atmosphäre der systematischen Entwirklichung. „In Österreich wurde ja nie politisch tacheles geredet, es wurden nur Geschichten erzählt, Märchen, Legenden. Die Zweite Republik war nebenbei und irrtümlich

eine Schriftstellerschule für angehende Romanciers. Seltsam, daß nicht mehr dazu geworden sind ...” Es ist eine beinahe schmerzhafte Liebe zu Österreich, die sich durch alle seine Essays und Romane zieht.

Also - trotz altem - eine österreichische Identität. Gibt es auch eine jüdische? „Jude bin ich nur nach den Nürnberger Rassegesetzen; solange die nicht wieder eingeführt werden, bin ich keiner.” Die Ablehnung ist heftig, scharf, und in Anbetracht der Affinität zu den jüdischen Großeltern - wieder einmal - widersprüchlich.

Lebenslüge: „Erstes Opfer”

Aber es geht um mehr als Widersprüchlichkeit; in Phasen, wo das Vertrauen in die Stabilität der österreichischen Demokratie zur Selbstberuhigung nicht ausreicht, auch hier Schmerzhaftes. „Wovor ich mich wirklich fürchte in Österreich: daß, weil es hier wegen der Lebenslüge des ,ersten Opfers' so gar kein

Bewußtsein von Schuld gibt, mit Leichtigkeit wiederholt werden kann, und daß daher die Geschichte womöglich wirklich wiederholt wird.”

Auch der österreichische Antifaschismus ermöglicht keine Zugehörigkeit, weil er oft nicht anders agiert als der Faschismus, den er bekämpfen will, nämlich unter der Flagge der „political correctness”, also ausschließlich schwarzweiß malend und geisttötend. „Die ,guten Menschen' bekämpfen ja nicht nur das Böse, sondern leider auch das Kühne.” Was bleibt, ist Heimatlosigkeit, übertragen durch die Großeltern und die emigrierten Verwandten. Nicht nur gefühlsmäßig, auch intellektuell und literarisch. „Meine Sehnsucht nach Familie, Heimat und Seßhaftigkeit steht im totalen Widerspruch zu meiner Rastlosigkeit. Kaum angekommen, fahre ich wieder weg. Ich fühle mich immer im Exil. Manchmal sogar dann, wenn ich von einem Zimmer ins andere gehe.”

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