"Seht doch das Blut in den Straßen"

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Pablo Neruda, Stimme des Volkes und großer Dichter des 20. Jahrhunderts, verdient eine neue Lektüre. Buchausgaben zum 100. Geburtstag.

Wollte man eine Liste der "großen Wörter" des 20. Jahrhunderts erstellen, wären sichere Kandidaten Freiheit, Natur, Liebe, Demokratie und Gerechtigkeit. Aus ihnen entfalten sich die Gedichte von Pablo Neruda. Er gehört zu den großen Dichtern des 20. Jahrhunderts und zu jenen, die den Armen, dem Volk, eine Stimme geben wollten.

Geboren 1904 als Sohn eines armen südchilenischen Eisenbahners, veröffentlicht Neruda 1923 und 1924 Liebesgedichte, deren sprachliche Intensität, Bildhaftigkeit und Eindeutigkeit ihn bekannt machen. Mit der nächsten großen Gedichtsammlung "Aufenthalt auf Erden" (1935) wird er auch außerhalb Chiles berühmt. Nach Jahren als chilenischer Konsul in Burma und Buenos Aires geht er nach Madrid. Er schließt Freundschaft mit der jungen Generation spanischer Lyriker, vor allem mit Federico García Lorca. Dann bricht der Spanische Bürgerkrieg aus. Die schönen Jahre in Madrid sind vorbei, Lorca wird von den Frankisten ermordet. Die Mischung aus Lebensgenuss und Nihilismus, die seine Werke bisher auszeichnete, wird ab nun überlagert von einem eindeutigen politischen Engagement. "Du wirst fragen: Und wo ist der Flieder? / Und die Metaphysik von Mohn zugedeckt? / Und der Regen, der oft die Trommel / seiner Worte schlägt und sie füllt / mit Leere und Vögeln? / ... Und eines Morgens brachen Flammen aus allem / und eines Morgens stiegen lodernde Feuer / aus der Erde, / verschlangen Leben / und seither Feuer / Pulver seither / und seither Blut // ... Banditen mit segnenden schwarzen Mönchen / kamen vom Himmel um Kinder zu töten / und durch die Straßen das Blut der Kinder / floss einfach wie das Blut von Kindern ... Kommt, seht das Blut in den Straßen / kommt seht / das Blut in den Straßen / kommt, seht doch das Blut / in den Straßen!"

Neruda schließt sich während des Spanischen Bürgerkriegs den Kommunisten an. Als Konsul rettet er 2000 Flüchtlingen das Leben, indem er ihre Überfahrt nach Chile durchsetzt. 1945 wird er Mitglied der KP Chiles und 1948 ins Parlament gewählt, muss aber vor der Diktatur Videlas flüchten und geht bis 1952 ins Exil. Dort beendet er sein monumentales Epos, den "Canto General". Vertont von Mikis Theodorakis, konnte das Werk in Chile wegen der Militärdiktatur Pinochets nicht mehr aufgeführt werden. Die Uraufführung fand erst 1975 in Athen statt, nach dem Ende der griechischen Militärdiktatur.

Nerudas Lyrik bewegte die Menschen und hatte Publikum. Als er einmal in Europa zu einem der größten Lyrik-Festivals geladen war, beschwerte er sich über das geringe Interesse. In Chile sei er gewohnt, in Fußballstadien seine Lyrik zu lesen. Nicht nur Gebildete lasen seine Verse, sondern manche Zeilen und Refrains haben in Chile sprichwörtlichen Charakter bekommen. Seine "Elementaren Oden" - Gedichte über scheinbar banale Dinge des Alltags, eine Zwiebel z. B. - erschienen zunächst in einer Tageszeitung im politischen Teil. Neruda war als Lyriker präsent und stilbildend für eine ganze Generation. Heute erlangt er in den USA zunehmend Popularität als die Stimme Hispano-Amerikas. Über die im Verhältnis eher schwache Rezeption des Literaturnobelpreisträgers von 1971 in der deutschsprachigen Literatur gibt der Sammelband mit Gedichten an Pablo Neruda - u. a. von Dorothee Sölle, Erich Fried und Rose Ausländer - Auskunft.

"Ich bekenne, ich habe gelebt", heißt Nerudas Autobiografie. Die grundlegende Bejahung des Lebens in seiner Vergänglichkeit gibt Nerudas Werk Größe. Anhand des neuen Sammelbands "In deinen Träumen reist dein Herz" kann man das nachvollziehen - auch wenn die Gedichte leider nicht in chronologischer Folge angeordnet sind. Mag sein, dass einem heute das sozialistische Pathos mancher Gedichte peinlich ist. Nerudas Parteinahme für die Sowjetunion ist jedoch aus dem historischen Kontext zu verstehen. Und die großen Probleme von Unterdrückung und Elend, die Neruda zeitlebens bewegt haben, sind noch immer nicht gelöst. Sie verschärfen sich eher.

In deinen Träumen reist dein Herz

Einhundert Gedichte von Pablo Neruda

Hg. u. m. Nachw. v. Fritz R. Fries

216 Seiten, geb, e 12,40

Aufenthalt auf Erden

Gedichte von Pablo Neruda

Dtsch. v. Erich Arendt u. Stephan Hermlin. 195 Seiten, kart., e 9,80

"Ein Fest zu feiern und sich zu berauschen ..."

Gedichte an Pablo Neruda. Hg. v. Stefan Wieczorek. 138 Seiten, kart., e 9,80

Alle: Luchterhand Literaturverlag, München 2004

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