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Seines Reiches wird kein Ende sein

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Seit der Himmelfahrt Jesu Christi geht die Welt auf das Jüngste Gericht zu. Die Verheißung des Herrn: „Ich komme bald!“ wird nach 2000 Jahren immer schwerer verständlich, und die einzig sichere Erwartung in der Weltgeschichte droht überlebt zu werden. Die noch hoffen, sammeln sich um die eine Stimme in der Wüste: um den Papst zu Rom. Dem heiligen Petrus hat der Herr seine Kirche anvertraut — diese Gemeinschaft der Heiligen im Glauben und den sieben Sakramenten —, daß er und seine Nachfolger die Christen über diese „kleine Weile“ bis zur Verantwortung vor den letzten Richter führen. Es ist wie ein Symbol solch hohen, äußersten Amtes, daß seit einigen Jahrhunderten die Papste in der Sixtinischen Kapelle gewählt und gekrönt weiden: vor dem gewaltigen Gemälde Michelangelos vom „Weltgericht“ wird die Nachfolge Petri übergeben. Bis zu diesem Jüngsten Tage wird die Kirche bestehen und wird der heilige Petrus die Kirche geleiten. Alljährlich am Tage der Krönung steht der Summus Pontifex, der Hohe Brückenbauer zwischen Zeit und Gericht, am Opferaltar vor dieser mahnenden Bildwand. Hier am Beginn eines jeden Pontifikatjahres steht das hohe gemeinsame Ziel in eindringlichen Gestalten und Farben vor dem Gekrönten.

Zum fünfzehnten Male wird in diesem Jahre S. H. Papst Pius XII. sein Amt und seine Wege davor prüfen und die unerbittliche Mahnung in das kommende Jahr mitnehmen.

Geht von der jugendlichen Kraft des in Ueberhöhe erscheinenden Gott-Menschen Segen und Ja oder Nein und Fluch aus? Die in vorstoßendem Winkel erhobene Rechte des Richters wirkt gleich viel Willkomm wie Verwerfung unter den Scharen der zum Gericht Gerufenen. Die letzten fünfzehn Jahre der Kirche auf Erden gingen in solcher Spannung aus Freude und Furcht dahin. Kriegszeiten, dämonisierte Völker und Seelen, Katastrophen und Verrückungen auf allen menschlichen Gebieten bedrohen Länder und Leben. Sicher ist nur das letzte Ziel, das Weltgericht. Dies zu verkünden, darauf vorzubereiten, die Gerechtigkeit des zürnenden Gottes aufzuhalten und die göttliche Erbar- mung zu beschleunigen, ist Amt und persönlicher Wunsch des Papstes.

Sich seiner ungeheueren Aufgabe und erstaunlichen Würde zu versichern, stellte ihm Michelangelo die beiden Ovale des Deckengewölbes links und rechts der Front vor Augen. Auf der einen Seite bringen wuchtig wehende Engelgestalten das Kreuz, auf der anderen Seite eine Säule. Das Kreuz des Herrn und die Geißelsäule — die Zeichen unserer Erlösung und des christlichen Beginns. Das Kreuz ist aber zugleich das Richtmaß für das, was vor dem letzten Richter bestehen kann. Und die Geißelsäule ist aber auch jene Stütze des apokalyptischen Tempels, die nicht mehr verrückt werden wird, die den Namen Gottes, den des neuen Jerusalem und den Ewigkeitsnamen des Christus trägt — Zeichen der Vollendung. (Apok. 3, 12.) Zwischen Erlösung und Vollendung hat der Summus Pontifex die Christen zu führen. In diesen beiden Zeichen wird er Sieger sein.

Der gegenwärtige Papst hat sich für diesen Weg unter den Schutz Mariens gestellt. Auf Michelangelos Gemälde vom „Weltgericht“ sitzt Unsere Liebe Frau unter der richtenden Rechten ihres Sohnes. Ihr Blick ist

Verehrung gewidmet. Darum hat er als unfehlbarer Lehrer des Glaubens die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel feierlich als Glaubenssatz der Welt verkündet: damit die Menschen in der Zeit einer Ueberkultur des Leiblichen eine Hoffnung hätten — die Garantie für die Auferstehung des Fleisches, in der die Würde des Menschenleibes be ebenso nach innen gewandt wie nach unten auf den Tumult des Gerichtes. Es ist der Blick der Geheimnisreichen, die betet und bittet. In solcher Form nimmt Papst Pius XII. die Verehrung Mariens auf: von ihr lernt und lehrt er das innere Gebet und die Güte nach außen; — die schrecklich-schöne Einsamkeit in Christus und die „gütige, milde, süße“ Hinkehr zu allen und jedem; — die Liebe, die aus dem Kreuze stammt und ins Gericht des Herrn führt. Darum hat der Heilige Vater Papst Pius XII. die Welt, und Rußland im besonderen, dem unbefleckten Herzen der Gottesmutter geweiht. Darum hat er das gegenwärtige Jahr ihrer besonderen schlossen liegt. — Maria, die vor der Erbsünde Bewahrte und mit Leib und Seele in den Himmel Aufgenommene, ist des päpstlichen Amtes Hilfe und Fürbitterin.

In massiver Wucht der Alterswürde malte Michelangelo auf die andere Seite des Weltenrichters die Gestalt des heiligen Petrus. Mit fast grimmiger Geste reicht er aus beiden Händen die riesigen Schlüsseln des Himmelreiches seinem Meister zurück — wartend auf das Urteil über seine Verwaltung. Des heiligen Petrus? Der Nachfolger weiß, daß hier sein eigenes und seines Amtes ganzes Ende sein wird. Ist er immer und überall Hirt und

Lehrer, Fels der Christen? Papst Pius XII. ist Seel-Sorger „aus Passion“. Nicht die Verwaltung der verschiedensten Aemter und Aufgaben allein; nicht die unnahbare Ferne seines geheiligten Amtes und einer weltlichen Souveränität; nicht die Regierung der Kirche durch beamtete Organe — sondern die persönliche Sorge um die ihm anvertrauten Seelen geben ihm Bestand vor dem Richter. Das allen Gemeinsame und das, worauf es ankommt, läßt sich nicht durch Organisationen, Verordnungen und Reden allein leisten. Was die Seelen bewegt und zu allen Seelen in alle Welten durchdringt, ist das stellvertretende, büßende Gebet des Vaters der Christen. Die hohe, weiße, schlanke Gestalt des Heiligen Vaters in der Grazie des römischen Rhetors und dem Atem einer langen, gekonnten Tradition scheint jedesmal wie von weit her zu kommen — aus geheiligten Bezirken, aus dem Gebet. Sein Zauber und seine Weisheit, seine Würde und seine Menschenfreundlichkeit stammen aus dieser ersten und wichtigsten Form seiner Seel-Sorge — ob sie sich nun in den unzähligen Audienzen auswirkt oder in den ernsten Ansprachen an die Christenheit durch das Radio. — Seelsorge ist es, wenn der Papst mit den Völkern Konkordate abschließt, um die gemeinsamen Aufgaben von Kirche und Staat zu umgrenzen. Dabei sind die Völker des Ostens und die Söhne in Rußland ihm ebenso wichtig, wie die Angehörigen seiner römischen Diözese, die Italiener ihm ebenso nahe wie alle übrigen Europäer oder Christen der anderen Kontinente. Die unter seinem Pontifikat zu Kardinalen erhobenen Priester aus aller Welt geben davon Zeugnis sowie die Kanonisation von Christen aller Erdteile. — Kein Bereich des kirchlichen Lebens entzieht sich seinem umfassenden Blick und seinem Willen, zu helfen: die Audienzansprachen, Enzykliken, Verordnungen für Klerus und Laien umspannen alle religiösen Lebensbereiche der Gläubigen. Sie stellen Zeiterfordernisse mit den unabdingbaren Forderungen von Glaube und Sitte in Verbindung, wägen ab, warnen, fordern und sind oft väterliche Bitten an seine Söhne. Daß des Heiligen Vaters Sorgen religiös sind und keineswegs politischer Natur, zeigen seine veröffentlichten Gebete. Die Christen vertrauen sich den geheimen, einsamen Gebeten ihres Hirten an — wie er sich im Blick auf den heiligen Petrus des Wortes erinnern mag, die der Herr zu diesem gesprochen hat: „Ich habe für dich gebetet!“ (Lk. 22, 32.) In solcher Seel-Sorge an der Kirche führt Papst Pius XII. seine Herde dem Gerichte des Herrn und dem Gericht über sein Amt zu.

Dem heiligen Petrus stellte Meister Michelangelo im „Weltgericht“ den Stammvater der Menschheit, Adam, gegenüber. Wie ein vom vielen Leben Ermüdeter stemmt Adam seine Hände auf die Schenkel und wendet sein Haupt auf den größten seiner Söhne: auf den Menschensohn und Richter der Menschheit. Völlig auf IHN gewandt sind seine weißstarrenden, blicklosen Augen: nur von dem neuen Adam kann ihm und seinen Menschenkindern ein gnädiges Leben verliehen werden. Auch dieser Gestalt fühlt sich der Heilige Vater verpflichtet. Er ist nicht nur den Gläubigen ein Hirt und Lehrer. Auf ihn sehen die Augen aller Menschen, Richtungen und Regierungen. Im unsicheren Gewebe der Weltgeschichte ist er heute eine letzte Sicherheit geworden. Pius XII. wurde auch für die Nichtkatholiken zu einer Autorität: er ist „Mehrer des Lebens“, weil er „Siegelbewahrer der Gesetze der Natur“ ist. Mit unbeugsamer Forderung und menschenliebender Mahnung tritt er dort auf, wo die Menschen die Natur fälschen. Wenn auch oft be- hauptet wird, Papst Pius XII. mische sich in Bereiche ein, die nicht seines Amtes sind, so gibt sein Wort doch immer zur rechten Zeit die Weisung zum rechten Gebrauch der Natur. Politiker, irdische Machthaber, Diplomaten, Juristen, Aerzte, Philosophen, Künstler, Pädagogen, Sportler — alle waren schon einzeln und In Gruppen bei Pius XII. Die Ansprachen bei solchen Gelegenheiten zeugen von seiner Kenntnis der einzelnen Gebiete und von der Uebersicht, die ihm sein Amt gibt. Eine weitblickende, nahezu angeborene diplomatische Klugheit und die gewinnende Menschlichkeit machen ihn zu einem großen Fürsten und doch zum Bruder aller Menschen. Im Augenblick der Begegnung mit dem Heiligen Vater gibt es keine „Außenstehenden“ mehr: jeder fühlt sich in die Atmosphäre einer großen Persönlichkeit gezogen, die atidi jenseits der Meinungs- und Glaubensverschiedenheit anziehend wirkt — letztlich weil diese Atmosphäre eine überzeugt religiöse ist. So sind auch Adam und die natürliche Welt eine Aufgabe für den Heiligen Vater — denn es wird eine neue Erde unter einem neuen Himmel geben, wenn das Gericht zu Ende ist, und auf diese hin muß die Natur dieses gegenwärtigen Aeon erhalten und vorbereitet werden.

Wenn Papst Pius XII, am Jahrestage seiner Krönung am Altäre vor dem Bild des „Weltgerichtes“ steht, angetan mit den prunkenden Seiden- und Brokatgewändern seines Amtes; wenn er mehr ein Symbol zu sein scheint als ein Mensęh — sieht er die erstaunten Scharen der Erlösten im Sog der göttlichen Gnade in den Himmel eingehen und die Verdammten im Sturm der Verwerfung in den Nachen Charons, Fährmanns der Hölle, fallen. Der goldene Reif auf dem grauen Haar des Papstes türmt sich in die drei Kronen der Tiara. So steht er einsam und allein vor dem letzten Richter und großen König der Welt. Konnte er die Herde der Verdammten verringern? Das ist an jedem Krönungstage die Frage über Amt und Leben des Papstes. Die dunkeln, traurigen Augen dieses großen Christen leben aus dem Glauben, daß „SEINES — und darum auch seines — Reiches kein Ende ist“.

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